Gina legt den Kopf schief und sieht mich einen Moment ernst an. »Ich habe das geahnt. Schon eine Weile. Männer wie er sind nie treu. Es tut mir leid für dich, aber er ist ein Arschloch, das sag ich jetzt schon so lange, wie wir uns kennen.«
Ich nicke zaghaft und weiche ihrem mitleidigen Blick aus. Sie sagt die Wahrheit. Wir kennen uns jetzt schon seit fünf Jahren. Tom und Olivia leiden beide an einem Gendefekt, der bei beiden ein paar Monate nach der Geburt festgestellt wurde. Ich habe Gina in der Uniklinik kennengelernt, wo Olivia und Tom im selben Zimmer lagen.
»Lass dich scheiden, du brauchst ihn nicht.«
»Das geht nicht, das weißt du.«
»Er kann dir Olivia nicht wegnehmen.«
»Doch, kann er.«
Gina lässt die Faust auf den Tisch knallen und schüttelt den Kopf. »Du bist seit Jahren sauber. Dass du als Teenager mal abhängig warst, ist längst vergessen. Keinen interessiert das mehr.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
Außerdem ist das nicht der einzige Grund, warum er mir Olivia wegnehmen könnte. Er hat Macht über mich, und wenn er diese ausspielt, dann komme ich für lange Zeit ins Gefängnis und sehe Olivia erst wieder, wenn sie längst erwachsen ist. Für mich gibt es keinen Weg aus dieser Ehe heraus, nur weiß Gina das nicht. Niemand weiß es, nur Richard.
»Wahrscheinlich wird er nicht mal versuchen, das geteilte Sorgerecht zu bekommen. Er interessiert sich doch gar nicht für Olivia.«
Ich verziehe schmerzhaft das Gesicht, weil Gina recht hat. »Trotzdem ist er besitzergreifend, er lässt nichts los, was ihm gehört. Sonst hätte er mich längst gehen lassen.«
Gina schiebt ihre rabenschwarzen Haare hinter ihre Ohren und sieht mich ernst an. »Willst du einfach weitermachen? So tun, als wäre nichts geschehen?«
»Das muss ich wohl. Er wird seine Kandidatur nicht aufs Spiel setzen mit einer Scheidung.«
Das wird er wirklich nicht. Diese Ehe existiert doch nur, um sein Ansehen und seine politische Karriere vorwärts zu bringen. Natürlich weiß davon niemand. Nicht einmal meine Freundin. Obwohl ich manchmal glaube, dass sie mehr ahnt, als sie sollte.
Katelyn
Es ist zehn Uhr morgens, als es an der Tür klingelt. Olivia ist noch etwa zwei Stunden in der Schule. Diese Zeit nutze ich immer für den Haushalt und um zu kochen. Heute kann ich mich kaum auf irgendetwas konzentrieren, weil ich mich immer wieder frage, was mein Mann gerade tut. Und mit wem. Als er gestern Abend nach Hause gekommen ist, war es, als würde ich daran ersticken, nichts zu sagen. Die Worte waren immer da. Haben mir im Hals gesteckt und wollten an die Oberfläche. Sie haben mich gedrängt, den Mund zu öffnen, aber ich konnte nicht. Die Angst, Richard würde mir Olivia nehmen, wenn es zur Trennung käme, war größer. Also habe ich geschwiegen, habe versucht, so zu tun, als wäre alles wie immer. Bin mit ihm ins Bett gegangen, habe neben ihm geschlafen und mit ihm gefrühstückt. Habe zugesehen, wie er Olivia ignoriert. So wie er es immer tut. Er sieht sie nie an, spricht nicht mit ihr. Obwohl er sie so wenig in seiner Nähe haben will wie Dreck an seinen Schuhen, würde er nie zulassen, dass wir beide ihn verlassen. Eine Scheidung und eine kaputte Familie machen sich nicht gut für seine politische Karriere.
Ich öffne die Tür und erstarre, als nicht der Postbote vor mir steht, sondern der Mann, der in mein Auto gefahren ist.
»Jackson? Was machen Sie hier?«, frage ich erstaunt und ignoriere, dass mein Herz für einen Schlag aussetzt.
Jackson sieht mich mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht an. Er hält mir die Hand hin, die ich flüchtig ergreife. »Ich komme, um Sie und ihr Auto in die Werkstatt zu begleiten.«
Ich blinzle verwirrt. »Das hätten Sie nicht tun müssen.«
»Irgendwie schon«, sagt er. »Ich fühle mich einfach wohler, wenn ich weiß, dass alles wieder in Ordnung kommt. Außerdem muss ich Frank in den Hintern treten, damit er Ihnen einen Leihwagen gibt. Sie brauchen doch ein Auto, oder?«
»Ehm … ja. Stimmt.«
Da unser Haus etwas außerhalb der Stadt liegt, bin ich wirklich auf ein Auto angewiesen, aber vielleicht hätte ich Richard auch überreden können, mir einen seiner Wagen mit Chauffeur zur Verfügung zu stellen.
»Ich hole nur schnell meine Handtasche und die Schlüssel.«
Jackson schiebt lächelnd die Hände in die Taschen seiner Lederjacke und tritt einen Schritt von der Tür zurück. »Ich werde hier warten«, sagt er mit einem Tonfall, der keinen Zweifel daran lässt, dass er mir droht, ja nicht an Flucht zu denken. Ich schließe die Tür hinter mir und lehne mich erschöpft dagegen. Ich kann nicht fassen, dass er einfach so hergekommen ist. Warum hat er das getan? Was hat er sich dabei gedacht? Und warum flattert es in meinem Magen, bei der Vorstellung, dass er vor dieser Tür steht?
Auf wackligen Beinen gehe ich die wenigen Schritte bis zur Garderobe und ziehe mir meine dünne Jacke über, nehme meine Handtasche und schlüpfe in ein paar bequeme Ballerinas. Ich werfe einen flüchtigen Blick in den Spiegel und stecke eine Strähne zurück in eine der Haarklammern. »Also dann«, flüstere ich meinem Spiegelbild zu, dessen Wangen deutlich gerötet sind. Ich atme tief ein und stoße die Luft geräuschvoll wieder aus. Ich fühle mich irgendwie komisch. Viel zu komisch. Jackson ist ein fremder Mann. Und doch muss ich mir eingestehen, dass ich die leichte Nervosität auch irgendwie aufregend finde. Es fühlt sich gut an, wie er mich ansieht, wie er mit mir flirtet und immer dieses Lächeln aufsetzt, wenn er sich über etwas amüsiert, das ich gesagt habe. Aber es verunsichert mich auch. Weil das hier nicht sein darf.
Vorsichtig öffne ich die Tür. Er steht noch immer da, die Lippen zusammengekniffen, die Hände in den Taschen. Als er mich bemerkt, sieht er auf. Da ist es wieder, dieses Lächeln, das meinen Magen zucken lässt.
»Sie sehen auch heute wieder wunderschön aus«, sagt er.
»Und dabei habe ich nicht einmal Make-up aufgelegt«, antworte ich mit kühlem Tonfall. Ich will auf jeden Fall verhindern, dass er bemerkt, wie unruhig ich mich in seiner Nähe fühle.
»Das brauchen Sie auch nicht. Frauen wie Sie haben es nicht nötig, ihr Gesicht zuzukleistern. Sie sind eine natürliche Schönheit.«
Er steht vor mir und mustert mich genau. Sein Blick fühlt sich an wie eine Liebkosung. Ich schlucke nervös.
»Können wir dann?«, frage ich harsch. Ich muss versuchen, Abstand zwischen uns zu bringen, weil ich nicht weiß, wie ich mit alldem hier umgehen soll. Er löst so verwirrende Gefühle in mir aus. Ich fühle mich zu ihm hingezogen und das ist auf keinen Fall richtig.
»Ich fahre mit meinem Auto vor, Sie folgen mir.« Er zögert, dann zwinkert er mir grinsend zu. »Und bumsen Sie mich nicht an.«
Er betont die Doppeldeutigkeit seiner Worte, aber ich ignoriere sie. »Keine Sorge, ich werde eine Lkw-Länge Abstand zu Ihnen halten.« Ich gehe an ihm vorbei zur Auffahrt, wo sein SUV neben meinem kleinen Beetle steht. Ohne abzuwarten steige ich in mein Auto und warte darauf, dass Jackson losfährt. Als er sich endlich vor mich setzt, atme ich erleichtert aus.
Ich folge Jackson zur Werkstatt, wo er seinem Freund die Sachlage erklärt. Der sieht sich meinen Beetle an und auch Jacksons SUV, dann bestellt er irgendwelche Teile und schickt uns in das Café gegenüber, damit er in Ruhe meinen Leihwagen vorbereiten kann. Und schon wieder sitze ich an einem Tisch bei Kaffee mit Jackson. Und dieses Mal habe ich keine Chance, das Gespräch ins Geschäftliche umzuleiten oder es abzubrechen, weil meine Tochter von der Schule kommt. Ich bin ihm ausgeliefert. Ihm und seinem aufmerksamen Blick, der mich zu erforschen scheint.
»Sie hätten das wirklich nicht tun müssen«, sage ich, um die Stille zu durchbrechen. »Ich hätte allein hergefunden.«
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