Knapp sechs Stunden später, mitten in der Nacht, musste ich an dem verlassenen Bahnhof feststellen, dass es kein freies Zimmer auf die Schnelle zu buchen gab. Ich war fassungslos. Ich überlegte hin und her und entschied mich dann, ein Taxi zu ordern, was mich zur Kaserne brachte. Die würden mich sicherlich nicht vor den Toren stehen lassen, wenn ich die Nacht schon ankam und einen Platz zum Schlafen suchte.
Nein, sie ließen mich wirklich nicht stehen, dennoch gab es für mich keinen Platz zum Schlafen. Stattdessen befand ich mich in einem … Verhörraum, gab es das heute überhaupt noch? Und ich wurde immer und immer wieder gefragt, wer ich war und was ich hier wollte.
»Herr ..«
»Sergeant Miles«, verbesserte mich der Kerl sofort.
»Genau, also Sergeant Miles«, begann ich von Neuem. »Wenn Sie in meinem Trolley nachschauen, da finden Sie das Schreiben, dass ich hier angenommen wurde. Das hab ich aber Ihrem Kollegen auch schon erzählt, und dem davor und …«
»Miss Summer«, begann er und diesmal unterbrach ich ihn.
»Frau Summer, bitte.«
Er stützte sich auf dem Tisch vor mir ab und seine Gesichtsfarbe nahm einen ungesunden Rotton an. »Miss Summer, Sie befinden sich hier auf amerikanischem Boden in einer amerikanischen Einrichtung. Bei der Sie, wenn man Ihnen Glauben schenken darf, heute in einer Stunde als Kadett anfangen werden. Also heißt das ab sofort, weder Frau, noch Miss, sondern nur noch Kadett Summer, haben wir uns verstanden?«
Ich nickte hektisch und war froh, als er sich wieder erhob und nicht mehr so nah mit seinem Gesicht an meinem war. Dank seiner Zeitangabe wusste ich nun, dass ich seit fast sechs Stunden hier saß, mir alle Knochen wehtaten und ich vor Müdigkeit fast umfiel.
Die Tür ging auf und der Sergeant wurde hinausgewunken. Wenn ich nicht bald einen Kaffee bekam, würde mein Kopf vornüber fallen und ich schlief augenblicklich ein.
Als die Tür aufgerissen wurde, zuckte ich zusammen. Noch mehr zuckte ich allerdings beim nun folgenden barschen Ton zusammen. »Kadett Summer, aufstehen und folgen.«
Meine Knochen protestierten, aber ich stemmte mich langsam hoch.
»Geht das nicht schneller?«, spie Miles aus und Spuckefäden flogen wie Geschosse auf mich zu. Fast, wenn ich nicht so steif gewesen wäre, hätte ich mich auf den Boden fallen lassen. So musste ich hilflos mit ansehen, wie sie auf meiner Jacke landeten und ich verzog angewidert das Gesicht. Trotzdem beeilte ich mich, hinter Miles herzukommen, der mir draußen meine Koffer in die Hand drückte. Ich ächzte und wollte gerade die Vorrichtung zum Ziehen der Gepäckstücke herausholen, als ich schon wieder angebrüllt wurde. »Kadett, Sie tragen gefälligst die Koffer per Hand! Wer meint, so ne Scheiße hier mitbringen zu müssen, soll sie auch schleppen.«
»Okay«, gab ich kleinlaut zurück.
»Kadett! Wie heißt das korrekt?«
Verdammt, warum schrie er die ganze Zeit?
»Äh, okay, Sir?«
Er trat wieder ganz dich an mich heran und beugte sich zu mir herab. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast und trotzdem schrie er. »Das heißt: Jawohl, Sergeant!«
»Jawohl, Sergeant!«, brachte ich mit fester Stimme hervor, und er schien endlich zufrieden zu sein. Ich dagegen bereute gerade zutiefst, mich hier überhaupt beworben zu haben.
Ich wusste nicht, wie lange ich ihm über das Gelände der Kaserne folgen musste, aber als wir endlich an der Baracke ankamen, die wohl ab sofort mein Zuhause sein würde, war ich nassgeschwitzt und fix und fertig. Schweratmend ließ ich die Koffer in dem mir zugewiesenen Zimmer fallen. Immerhin schien es ein Einzelzimmer zu sein.
»Kadett Summer. Stillgestanden!«
Stöhnend richtete ich mich gerade auf und starrte den Sergeant an.
»Sie haben eine halbe Stunde zum Auspacken, sich einzukleiden und vor das Bett zu treten. Dort warten Sie, bis ihr Ausbilder Sie abholt.« Er wollte gerade gehen und ich die Schulter sinken lassen, zog sie aber sofort wieder hoch, als er sich noch einmal zu mir umdrehte. »Ach und Summer«, nun war ein fieses Grinsen zu erkennen, »spätestens morgen, werden Sie bittend und bettelnd auf den Brustwarzen hier herausgekrochen kommen. Wir brauchen Kadetten, keine Pussys. Verstanden, Pussy Summer?«
»Jawohl, Sergeant«, brüllte ich und er zuckte leicht zusammen. Mein Kampfgeist war geweckt!
»Fuck«, fluchte ich heute schon zum x-ten Mal. Meine flache Hand schlug dabei so heftig auf den kleinen Tisch, dass die Kaffeetasse, die darauf ihr Dasein fristete, die braune Flüssigkeit über die halbe Tischplatte verteilte. »Fuck Böblingen!«, stieß ich erneut aus.
Nur weil mein Dad, Command Sergeant Major Roger Thomas, meinte, ein Auslandsaufenthalt würde meinem Lebenslauf ganz gut stehen, hatte ich mich vor sechs Monaten nach Deutschland versetzen lassen. Aber fucking Böblingen war der weitaus beschissenste Ort, an dem ich mich befinden konnte. Ich war Soldat der US Army und saß hier in einem Kaff sondergleichen fest.
Miles steckte seinen kurzgeschorenen Kopf zur Tür herein. »Hey, Torture, kommst du voran?« Müde schaute ich auf die Uhr, die links von mir an der Wand hing. Schief. Weil ich während einer kurzen psychischen Indiskrepanz ein Duell mit selbiger gehabt hatte.
»Joar, geht schon«, gähnte ich gänzlich ohne Manieren und begutachtete den Stapel Akten, der sich immer noch vor mir türmte.
»Ich mach Schluss für heute. Hab morgen früh die neuen Kadetten zur Einweisung.«
»Ich weiß, ich hab die hier grad alle auf dem Tisch liegen. Ein unfassbarer Haufen … also Kadetten, nicht Akten«, schnaufte ich und winkte mit einer lapidaren Handbewegung hinter meinem Kollegen her. Sergeant Liam Miles und ich waren hier von Anfang an für die Kadettenausbildung zuständig. Wir hatten damals ein paar Startschwierigkeiten. Wahrscheinlich weil wir beide Kampfhähne sind, die immer besser sein wollen, als der jeweils andere. Aber ich hatte ihm schnell klar gemacht, dass ich meinen Spitznamen ›The Torture‹ nicht von ungefähr hatte. Seitdem hielt er zu mir und die Fresse, wenn es Unstimmigkeiten gab. Die gab es selten, denn ich hatte ohnehin immer recht, auch wenn wir vom Dienstgrad her auf einer Ebene standen. Liam war das so ziemlich egal. Nationalstolz und Ehre hin oder her, er war mit Leib und Seele Soldat, aber wenn sein Dienst vorbei war, ging er zu seiner Frau und seinem Sohn, die ein wenig außerhalb des Stützpunktes wohnten. Da konnte er dann wieder den Boss spielen.
Vor ein paar Stunden war Staff Sergeant John Moore, mein direkter Vorgesetzter, in mein Büro gerauscht, um einen Stapel Akten fallen zu lassen. »Dies sind die Unterlagen der neuen Kadetten, die morgen früh um sieben hier antreten. Machen Sie sich mit denen vertraut, damit Sie wissen, wer oder was auf Sie zukommt.« Bevor er ging, führte er standesgemäß die rechte Hand leicht schräg an seine Schläfe. »Sergeant Thomas«, nickte er und drehte mir wieder den Rücken zu. Mein Salutieren sah er nicht mehr. Aber es war mir schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass mich das nicht interessierte. Ich salutierte einfach.
Nachdem ich mir einen neuen Kaffee aus der Filtermaschine eingeschenkt hatte, machte ich es mir wieder an dem kleinen Tisch gemütlich. Sofern man von gemütlich in dem Büro eines US Army Soldaten, der weder Frau noch Kinder vorzuweisen hatte, sprechen konnte. Alles war ziemlich karg. Mit den Pflanzen führte ich gerade ein Experiment durch, wie lange sie wohl ohne Wasser über die Runden kämen. Ich war ohnehin lieber draußen auf dem Übungsplatz.
Stöhnend griff ich mir die nächste Akte und schon beim Öffnen konnte ich einen leichten Würgereiz kaum unterdrücken. Wer zur Hölle ließ solche Spackos zur Armyausbildung zu? Dürr wie eine Bohnenstange, blass wie eine Packung Reiswaffeln und der Blick ... na ja ... mit dem würde ich garantiert meinen Spaß haben. Steve, den Namen musste ich mir für später merken.
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