Das tat ich dann auch. Also, das Bad stürmen!
Matz stand gerade vor dem Spiegel und drückte sich seelenruhig Mitesser an der Stirn aus. »Was willst du?« Er wandte seinen Kopf zu mir, sah mich mit zuckenden Mundwinkeln an, als wäre ich nur irgendeine lächerliche Figur, und widmete sich dann wieder ganz seiner unreinen Haut.
Nun gut, seine Mitesser waren ihm wichtiger als ich – das wollte er mir doch damit mitteilen, richtig? Aber darüber würde ich mich nun nicht aufregen. Vielmehr sollte mir das als Anlass dienen, die Trennung zu beschleunigen, denn mir ging die Kraft aus. In dieser Sekunde erkannte ich es und konnte es wohl kaum länger ignorieren.
»Was ich will?« Ich stemmte die Arme in die Hüften und ließ meinen Kopf energielos nach vorn fallen. »Die Tatsache, wie gut du lügen kannst, macht mich stutzig«, kam ich noch einmal auf den Artikel in der Zeitung zurück. »Noch dazu musste ich erfahren, dass du eine Mietnomade bist und dich durchs Leben schummelst.« Bei diesen Worten war meine Wut in Enttäuschung umgeschwungen. »Aber am schlimmsten war der Moment, in dem ich mir zum ersten Mal eingestehen musste, dass du mich nicht liebst. Nicht nicht mehr , nein, du hast es niemals getan.«
Er ließ Mitesser Mitesser sein und wandte sich mir mit leichenblassem Gesicht wieder zu. In meinen Augen flackerte wütende Entschlossenheit. Endlich hatte er begriffen, dass er bei mir verspielt hatte. Doch vor Entsetzen war er außerstande, etwas darauf zu erwidern, hatte nicht damit gerechnet, dass ich ihm jemals auf die Schliche kommen würde.
»Die ganze Zeit habe ich gedacht, du hättest dich auf eine unangenehme Weise verändert, dabei war unsere ganze Beziehung von Anfang an nur ein fake , was?«
Er blinzelte sich aus seiner Schockstarre. »Ein – was?«
Wollte er mich zum Narren halten? »Ein fake , herrje! Hattest du denn kein Englisch in der Schule?«
Mit einem Mal schrie er: »Doch schon, aber welche Rolle spielt das, wenn wir in Deutschland leben?« Er war vollkommen außer sich, da er sich offensichtlich bloßgestellt fühlte. Mit großen Schritten kam er zu mir herangebraust, weshalb ich fest davon ausging, dass er mir gleich ein paar scheuern würde, doch in seinen Augen flimmerte nur Verzweiflung statt blanker Zorn.
»Ich verlange, dass du ausziehst. Das Thema ist durch. Wir sind durch!« Ich wandte mich zum Gehen ab. Ich sah seine Hand kommen, die beabsichtigte, meine Schulter zu packen, um mich aufzuhalten, doch ich konnte diese rechtzeitig herunterreißen, weshalb er sie verfehlte, und rannte die Treppe hinunter in den Eingangsbereich.
»Du kannst doch nicht einfach die Beziehung beenden!?«, rief er und rannte mir mit wedelnden Genitalien hinterher.
Hastig schlüpfte ich in meine warm gefütterten braunen Stiefel, an dessen äußeren Seiten kleine Bommeln baumelten. »Du siehst doch, dass ich das kann!« Und gleichzeitig fühlte ich mich in meinem Entschluss bestärkt, denn wenn das das Einzige war, was er nach meiner Vorhaltung hervorzubringen wusste, konnte er längerfristig sowieso nicht an meiner Seite bestehen. Oder sollte ich sogar so weit gehen zu behaupten, dass er meiner nicht würdig war?
»Was soll das jetzt? Wo willst du hin?«
Ich griff nach meinem langen Schal und wickelte ihn wirr und unsystematisch um den Hals. »Bitte pack deine Sachen und verschwinde!« Nun warf ich mich in meinen Mantel und stülpte mir meine rote Mütze über. »Sowie ich wieder da bin, will ich dich hier nicht mehr sehen.« Ich öffnete die Tür bewusst weit, um die Kälte hineinströmen zu lassen. Seine Gänsehaut konnte ich bis hierher erkennen. »Falls doch ...« Ich hielt inne. »Lass dich überraschen.«
»Leonie«, rief er mir hinterher. »Verdammte Scheiße!«, fluchte er dann, weil ich fort war.
Ich hatte ihn nicht zu Wort kommen lassen. War das unfair? Hätte das andererseits etwas genützt? Schließlich war ich mir sicher, dass ich diese Beziehung nicht mehr wollte. Und jetzt, wo ich auf dem Weg zu Emmy war, war ich es sogar mehr denn je. Auf einmal fühlte ich mich leicht, sodass mich ein Glücksgefühl ergriff, so, wie ich es das letzte Mal bei unserem ersten Date empfunden hatte. Aberwitzig, nicht wahr? Prompt erinnerte ich mich an Emmys heutigen Worte im Café: »Plötzlich ist dieses Leben, das man einmal so sehr wollte, nur noch eine Qual.«
Mir fiel auf, dass ich nur selten bei Emmy zu Hause gewesen war, weil sie ihre Zeit lieber auswärts verbracht hatte. Ich nahm an, dass es eine Art Flucht aus ihrem Alltagsleben gewesen sein musste.
Ich suchte ihre Nummer aus dem Telefonbuch meines Handys, um sie anzurufen, wollte sie nicht einfach überfallen, schließlich war es schon 22 Uhr. Und seit ich wusste, dass ihre Ehe mit Hannes auch nicht mehr die beste war, fürchtete ich, möglicherweise in einen Streit hineinzuplatzen.
Während ich Emmys Nummer wählte, musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, wie sehr sie mir ans Herz gewachsen war und wie sehr ich jetzt besonders ihre Nähe brauchte.
Hannes öffnete die Tür zu meinem Haus, steckte den Kopf durch einen schmalen Spalt und rief: »Hallooo?« Dann drückte er sie weiter auf. »Jemand da?« Er schaute hinter sich, wo Emmy und ich darauf warteten, dass Hannes uns ein Zeichen gab, sobald die Luft rein war. »Ich glaube, er ist weg.«
Erleichtert atmete ich auf, doch Emmy traute dem Braten nicht. »Wenn der sich so einfach abfertigen lassen hat, will ich nicht mehr Emmy heißen.« Sie drängte sich an Hannes vorbei und lief den Flur entlang. Hannes folgte ihr instinktiv. Vorsichtshalber blieb ich vor der Tür stehen und verfolgte die Sicherstellung meiner Räumlichkeiten mit Spannung.
Emmy: »Wohnzimmer: Check!«
Hannes: »Küche: Check!«
»Abstellkammer?«, rief ich.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Hannes erwiderte: »Check!«
Inzwischen war Emmy im Obergeschoss angelangt. »Schlafzimmer: Check!«
Und Hannes ebenfalls. »Badezimmer: Check!«
Allmählich wagte ich einen Fuß ins Haus zu setzen. Dabei fiel mir auf, dass die beiden vergessen hatten, im Gäste-WC nachzuschauen, das gleich am Eingang lag. Ich schloss die Haustür hinter mir und blieb vor dem Gäste-WC stehen.
»Ankleidezimmer: Check!«, rief Emmy. Und ein entzücktes »Ui« folgte sogleich. »Woher hast du denn dieses Kleid?« Sie musste das festliche meinen, das ich letzte Woche erstanden hatte und an Heiligabend anzuziehen gedachte. Nun, da es mit Matz aus war und das Festessen mit seiner großen Familie ins Wasser fiel, wusste ich gar nicht mehr, wo und mit wem ich diesen Tag verbringen würde. Ich hatte das Kleid auf einem Kleiderbügel an die Zimmertür gehängt, damit ich nicht vergaß, es zuvor in die Reinigung zu bringen. Es war aus empfindlicher Seide und ich hatte keine Ahnung, wie man es entsprechend wusch. Schande über mich!
»Aus Carla Indihs Boutique.«
»Oh Mann, das muss ein Vermögen gekostet haben«, klang Emmy frustriert. Sie kam zum Flur im Obergeschoss heraus und hielt sich das Kleid vorn an den Körper.
»Nein, eigentlich nicht. Es war um fünfzig Prozent reduziert.«
»Na ja, wenn es vorher achthundert gekostet hat, sind fünfzig Prozent eher Peanuts, fürchte ich.«
Durchaus war Carla Indih für ihre teure, doch dafür qualitativ hochwertige Mode bekannt. Das hieß jedoch nicht, dass sie nicht auch Mode für den kleinen Geldbeutel anbot.
»Es hat ursprünglich dreihundertfünfzig gekostet.«
»Herrgott, Mädels!«, kam nun auch Hannes aus dem Gästezimmer auf den Flur gehetzt und musterte seine Ehefrau skeptisch von oben bis unten. »Ich glaube, wir waren hier noch nicht fertig, oder?« Er räusperte sich und wies aufs Gästezimmer. »Check!«
»Klasse, Hannes!« Emmy warf ihm einen strafenden Blick zu.
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