Happy Day
BAND 1
der Kurzroman-Reihe
Katie Volckx, Jahrgang 1979, geboren in Berlin, doch zu Hause in der Nähe von Osnabrück, widmet sich ganz dem Schreiben von Liebeskomödien und Jugendbüchern. Schon immer hatte sie einen Hang zum Schreiben, doch erst mit Mitte dreißig wagte sie die Möglichkeiten des Selfpublishing zu nutzen und veröffentlichte ihr erstes Buch. In ihren Büchern geht es reichlich überspitzt und trocken zu, daher sind insbesondere ihre Komödien stets mit einem Augenzwinkern zu verstehen.
Wenn nur ein einziger Tag dein ganzes Leben verändert.
Auf Joanas Handywecker war wie immer Verlass. Auf die Minute genau wurde sie aus ihrem wunderschönen Traum mit Milan gerissen – wie so oft exakt an der schönsten Stelle, kurz bevor er seine lustvollen, feuchten Lippen, die einen wunderschönen runden Amorbogen hatten, auf die ihre presste. Nie war sie über diesen Punkt hinausgekommen, so, als würde eine höhere Macht einfach dazwischentreten. Offenbar hatte sie nicht einmal in der Sache mit ihren eigenen Träumen ein Wörtchen mitzureden.
Mit verklebten Augen tastete sie nach ihrem Handy auf dem Nachttisch, um dem Klingeln endlich Einhalt zu gebieten. Es war weniger ein Klingeln, mehr ein Lied, und zwar die Miss-Marple-Titelmelodie. Seit unzähligen Jahren begleitete diese sie nun schon, und sie hatte es noch immer nicht satt, denn in Joana steckte ebenfalls eine kleine Miss Marple. So war sie auch zu dieser Titelmelodie gekommen. Den Kosenamen hatte ihr Adrian, ein Exfreund, verpasst. Ein Gutes, was dieser Bastard zu der Beziehung beigetragen hatte.
Blind drückte sie das Geräusch weg. Der dünne Schleier vor ihren Augen hüllte ihre Umgebung in Nebel. Leichter Schwindel überkam sie, und das im Liegen. Es war ihr Kreislauf, der sie einmal mehr im Stich ließ. Das passierte immer dann, wenn sie in froher Erwartung ihrer Menstruation war. Der Schwindel war quasi ein integraler Bestandteil von den Standardbeschwerden. Ebenso ihre Fressattacken. Um sieben in der Früh war jedoch beileibe nicht daran zu denken, vielmehr löste allein der Gedanke an Essen Übelkeit in ihr aus.
Egal! Es nützte alles nichts – allmählich musste sie zur Tat schreiten. Sie sah einer Menge Arbeit entgegen, nicht nur an ihrer äußeren Erscheinung, auch an ihrem Arbeitsplatz.
Nur langsam kam sie auf die Beine. Schnelle, hektische Bewegungen wären jetzt riskant. Ihr Kreislauf musste zunächst einmal wieder ins Lot kommen. Doch als sie sich erhob, schnellte das Blut empor, als stünde sie auf dem Kopf. Sie taumelte leicht und kurz wurde ihr schwarz vor den Augen. Mit einer speziellen Atemübung holte sie sich von ihrer Panik, die kurz aufgetreten war, wieder herunter. Wenn das so weiterginge, würde sie wohl oder übel im Büro anrufen und sich krank melden müssen. In der Regel lief es darauf hinaus.
Den Weg ins Badezimmer hatte sie unfallfrei gemeistert. Nun musste sie nur noch den Mut aufbringen, sich ihrem Spiegelbild zu stellen. Es war gewiss keine unvertraute Aufgabe, doch an anderen Tagen blühte ihr nicht eine solch zertrümmerte Visage. Nur an Tagen wie diesem wusste sie, was sie im Spiegel erwartete. Und das war wirklich kein schöner Anblick, war gar unzumutbar, redete sie sich geradezu ein. An und für sich könnte das ein weiterer gewichtiger Grund sein, sich für heute krankzumelden, meinte sie. Genau genommen würde sie ihren Arbeitskollegen ja einen Gefallen damit erweisen, wenn diese sie nicht derart entstellt zu Gesicht bekämen. Demzufolge müssten sie ihr doch direkt dankbar dafür sein!
Doch auch wenn sie sich nun dahingehend selbst beackert hatte, kam sie um eine ausgiebige morgendliche Pflege nicht umhin. Ein frisch nach Minze riechender Atem, und sei es nur am Telefon, konnte durchaus das Selbstvertrauen stärken.
Sie betrachtete ihr Spiegelbild eingehend: geschwollene Augenringe, eingefallene Wangen, herunterhängende Mundwinkel und blässliche Haut. Und als wenn das nicht genug wäre, funkelte ihr auch noch unverfroren ein großer Pickel mitten auf der Stirn entgegen. Wenn sie es nicht besser wüsste, könnte sie meinen, ihr blickte eine achtzigjährige Frau entgegen. Tatsächlich hatte sie erst vor fünf Wochen ihren sechsundzwanzigsten Geburtstag gefeiert.
Sie näherte sich dem Spiegel, um den Pickel ins Auge zu fassen, und berührte diesen leicht mit dem Zeigefinger. Sie war dafür, das rote, schmerzende Ungetüm schnellstmöglich zu eliminieren.
Nachdem sie im Bad fertig war, ging sie in die Küche, genauer an die Tiefkühltruhe, um sich ein Kühlakku herauszunehmen und den Schwellungen im Gesicht entgegenzuwirken.
Nebenbei machte sie die Kaffeemaschine bereit zum Start. Zwei Tassen Kaffee mit einem Schuss Milch bewirkten Wunder bei ihr, auch bei Schwindelgefühlen. Daraufhin checkte sie ihre Nachrichten auf dem Handy. Zu ihrer Überraschung hatte sie lediglich einen Guten-Morgen-Gruß von ihrer besten Freundin Greta erhalten, mit der Bitte, sie unverzüglich anzurufen, sobald Joana von den Toten erwacht war. Bislang fühlte sie sich außerstande, nur einen geraden Satz herauszubringen, andererseits schien es dringend zu sein. So wählte sie Gretas Nummer, ehe sie es sich anders überlegen konnte.
»Na du, wo drückt denn der Schuh?« Sie ließ sich auf das Sofa fallen, sank tief hinein und legte den Kopf auf die Lehne zurück, während sie weiterhin darum bemüht war, ihr Gesicht zum Abschwellen zu bewegen.
»Du wirst nie erraten, wer sich bei mir gemeldet hat.« Greta klang unverschämt munter, im Hintergrund klimperte Geschirr, das sie neben des Telefonats aus der Spülmaschine in die wengefarbenen modernen Hängeschränke einsortierte.
Joanas Ohren reagierten heute besonders empfindlich darauf, darum reduzierte sie die Lautstärke über einem Knopf an ihrem Handy.
»Robert Pattinson?«
»Ha-ha«, machte Greta. Joana zog sie gelegentlich damit auf, denn während Greta den Schauspieler anbetete wie einen Heiligen, fehlte Joana gänzlich das Verständnis dafür. Ihr Heiliger war nun mal aus Fleisch und Blut und hieß Milan. »Im Ernst, da kommst du nie drauf.«
Joana betete, dass diese Unterhaltung nicht in einer Rätselratestunde enden würde, denn dafür war es eindeutig zu früh. »Süße, sprich dich aus, ich bin heute Morgen ein bisschen unmotiviert.«
»Adrian.«
»Adrian?« Blitzartig saß Joana aufrecht, das Kühlakku neben sich auf dem Polster. »Was wollte er?« Und das von ihr?
»Er hat mich um ein Date mit ihm gebeten.«
Joana verschlug es fast die Sprache. »Warum?«
Und Greta geriet ins Stottern. »Woher soll ich das wissen?«
Ein Hallodri war Adrian schon immer gewesen, jedoch hatte er nie Interesse an Greta gezeigt. Optisch war sie das genaue Gegenteil von Joana: sie war blond und kurzhaarig, Joana brünett und langhaarig, sie war hochgewachsen und pummelig, Joana klein und gertenschlank, ihre Kleidung war sehr speziell und bunt, Joanas eher konventionell bis bieder. Ja gar ihre Nasen wichen insofern voneinander ab, als Gretas groß und Joanas klein gewachsen war.
»Und gehst du mit ihm aus?«
»Mensch, Joana, als ob! Hab ihn mir erst einmal vorgeknöpft.«
»Der hat Nerven!«
Zwar lag die Trennung schon fast zwei Jahre zurück, dennoch hatte er nicht das Recht, sich an Greta heranzumachen. Sie und Joana waren praktisch wie Schwestern. Somit war Greta tabu.
Joana wollte nicht in den Kopf, weshalb er ausgerechnet jetzt von sich hören ließ. Verheimlichte Greta ihr etwa etwas? Sehr unwahrscheinlich, was Gretas nachfolgender Satz untermalte: »Zum Teufel mit dem!«
Bemerkung am Rande
Greta war eine Marke für sich. Keine verkörperte Individualität so recht wie sie. Nicht einmal einen Einkaufswagen schob sie wie ein gewöhnlicher, geistig gesunder Mensch vor sich hin, sondern absolvierte fortwährend irgendwelche akrobatischen, undefinierbaren Figuren darauf. »Einkaufen ist so öde«, pflegte sie immer zu sagen. Dass ihre Mitmenschen es zuweilen bizarr bis gruselig fanden, wie sie sich mit einem stattlichen Alter von siebenundzwanzig verhielt, ließ sie völlig kalt.
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