Für sie zählte nur eines: Spaß. Selbst wenn sie das Klo putzte und mit der Hand tief im Abfluss steckte, sang sie von der Liebe und dem Sonnenschein und vergaß nicht, den Moment für eine spezielle Poübung zu nutzen. Und das liebte Joana so an ihr.
Adrian und Greta waren nie miteinander ausgekommen. Bei jeder ihr bietenden Gelegenheit hatte sie Joana einzubläuen versucht, dass andere Mütter ebenfalls schöne Söhne hatten, sowohl außen als auch innen. Doch was konnte Joana für Gretas persönliche Abneigung gegen Adrian? Zumindest hatte es lange Zeit danach ausgesehen.
Bis zu dem Tag, als er Joana eines Besseren belehrt hatte.
Welch ein Glück, dass Joana ihren Vorgesetzten zu ihrem Freundeskreis zählen konnte. Da war sie klar im Vorteil. Seine Privatnummer hatte sie ihm bereits an ihrem ersten Arbeitstag vor zwei Jahren abringen können. Schon auf den ersten Blick hatte er Gefallen an ihr gefunden, das hatte jeder Blinde sehen können. Joana nutzte das seither für ihre Zwecke aus, nicht ohne Maß und Ziel, doch gern zu Anlässen wie diesen.
»Edward, bist du schon im Büro?«
Er rang nach Luft, so schwer, als ob er einen Marathonlauf absolvieren würde.
»So gut wie. Der Scheißaufzug ist defekt, und nun muss ich über das Treppenhaus in den achten Stock galoppieren. Das ist die Hölle, sag ich dir.«
Dass es die Hölle für ihn war, konnte sie sich lebhaft vorstellen, denn Edward pflegte nicht gerade den gesündesten Lebensstil. Er hatte gut und gerne zwanzig Kilogramm Übergewicht, qualmte wie eine Lokomotive, feierte und genehmigte sich regelmäßig einen und bekam mehr Arbeit auf den Schreibtisch als Schlaf. Das waren nur einige der Gründe, aus denen er als Mann an Joanas Seite gnadenlos ausschied. Avancen hatte er ihr schon zur Genüge gemacht, hatte gelockt mit seinen wohlsituierten Verhältnissen. Doch das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er im Prinzip ein armer Teufel war.
Bei dieser Laune, die er heute mit sich führte, blieb nur zu hoffen, dass Joana mit ihrem honigsüßen Getue erfolgreich sein würde.
»Hör mal, kannst du mich heute entbehren?«
»Tu mir das nicht an, Jo, ich brauche dich hier dringend«, jammerte er kläglich. »Du weißt, der Auftrag frisst uns auf, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, tut mir leid.«
Sie hasste es, wenn er sie mit Jo ansprach. Zwar mochte der Kosename naheliegen, doch ihr persönlich war er zu maskulin. Jo! Welche Frau gab sich damit zufrieden? Na schön, bei Edward ließ sie Milde walten. Vielmehr musste sie das tun, wenn sie sich weiterhin Vorteile sichern wollte.
»Mir ist wirklich elendig zumute, Edward, weiß der Geier, wie ich den heutigen Tag überstehen soll.«
»Nun stell dich nicht so an, Mädel, an einem Freitag!«
»Dass das Wochenende bevorsteht, ändert nichts an meinem desolaten Zustand.«
Er hielt inne. Nur sein Schnaufen war zu hören. »Jetzt hör mir mal zu, Jo, es ist mir scheißegal, wo es schon wieder zwickt und zieht. Fakt ist, ich brauche dich hier. Wenn du um acht nicht hier auf der Matte stehst und lieber krank feierst, zieht das ernsthafte Folgen nach sich. Haben wir uns verstanden?«
Eine Woge der Übelkeit stieg in ihr hoch. Ernsthafte Folgen? Er würde ihr doch nicht etwa den Stuhl vor die Türe setzen? Durfte er das denn so einfach? Auf jeden Fall entfaltete die Drohung seine Wirkung.
»Also schön, dann komme ich eben.«
Das Leben hatte sie gelehrt, bittere Pillen zu schlucken, wenn man es eines Tages zu irgendetwas bringen wollte. So würde sie den unerwünschten Begleiterscheinungen ihrer Menstruation trotzen. Wenn sie dem nicht Herrin würde, was dann?
Allerdings blieben ihr bis acht Uhr nicht einmal mehr zwanzig Minuten. Allein der Arbeitsweg beanspruchte mit dem Auto so viel Zeit. Dass sie den Wettlauf mit der Zeit verlieren und dort zu spät einschweben würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Das ließ nur einen Schluss zu, und zwar den, die Verzögerung so gering wie möglich zu halten.
Mit quietschenden Reifen fuhr Joana in ihrer kleinen grünen Blechbüchse vor ihrer Arbeitsstätte vor. Sie hatte sich um achtzehn Minuten verspätet.
Atemlos stürzte Joana auf die sich schließenden Aufzugtüren zu und rief laut: »Haaalt!« Seitwärts, mit eingezogenem Bauch und erhobenen Händen, konnte sie sich gerade noch durch den schmalen Spalt knautschen, jedoch hatten ihre Brüste, die größenmäßig für gewöhnlich nicht besonders in Erscheinung traten, eine der Türen gestreift und dafür gesorgt, dass diese sich automatisch wieder öffneten. Sie packte der Schreck, was zur Folge hatte, dass sie mit einem ihrer tiefschwarzen schlichten Pumps verkehrt auftrat, mit dem hohen Absatz in der Türschwelle hängen blieb und mit dem Rücken voran in die Kabine stolperte.
Sie musste wirklich einen unvergesslich ulkigen Anblick geboten haben. Glücklicherweise gab es nicht viele Zuschauer, denen sie hätte Vergnügen bereiten können. Um genau zu sein, war außer ihr nur ein einziger Fahrgast anwesend, der ihrer Aufmerksamkeit vorläufig entging.
Langsam schlossen sich die Türen wieder, dieses Mal ohne erwähnenswerte Zwischenfälle, während sie ihre weiße Bluse und den schwarzen Rock glattstrich und den Kragen ihres Blazers wieder zurecht zog. Dabei betrachtete sie sich im matten Stahl einer Tür, die ihre Gestalt immerhin in groben Zügen widerspiegelte. Besser als nichts, dachte sie.
Erst hierbei wurde ihr wieder schlagartig bewusst, dass sie nicht allein war. Die Silhouette des zweiten Fahrgastes zeichnete sich ebenfalls undeutlich ab. Über ihre rechte Schulter warf sie einen Blick hinter sich auf die Person. Doch als sie erkannte, mit wem sie in den achten Stock unterwegs war, wandte sie den Blick rasch wieder nach vorn. Mit großen Kuhaugen starrte sie ihr verwaschenes Spiegelbild an, während ihr das Herz vor Aufregung bis zum Hals schlug. Andererseits warf es nicht gerade das beste Licht auf sie, wenn sie nun keinen Piep von sich gäbe. Ein anständiger Gruß müsste schon drin sein.
»Guten Morgen, Milan.« Sie presste die Worte unter Anspannung heraus.
»Morgen«, brummelte er hervor und machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Gott sei Dank hatte Joana am Hinterkopf keine Augen, sie hätte es sich gewiss zu Herzen genommen.
Er schwieg, sie schwieg. Alles war wie immer.
Um ihre unbequeme Lage zu überspielen, fixierte sie die rote Etagenzahl, die gerade auf drei sprang, und pfiff leise vor sich hin.
Das Verhältnis zwischen Joana und Milan war eines der besonderen Art. Sie begegneten sich mit Vorsicht. Sobald sie sich in einem Raum aufhielten, herrschte eine frostige Atmosphäre. Jedoch ging es nicht von Joana aus. Sie war sich im Klaren darüber, dass Milan die Fäden ihrer Beziehung in der Hand hielt. Solange ordnete sie sich ihm unter und himmelte ihn aus der Entfernung an.
Ob er von ihrer heimlichen Zuneigung zu ihm Kenntnis hatte, wusste sie nicht. Die Möglichkeit bestand sehr wohl, wenn sie die Tatsache berücksichtigte, dass sie sich in seiner Gegenwart regelmäßig wie ein Trampel aufführte. Allein seine Anwesenheit machte sie dumm wie Bohnenstroh und trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht.
Normalerweise war Joana überall gern gesehen und Männerherzen flogen ihr nur so zu. Sie war umgänglich, verträglich, schlichtweg eine Seele von Mensch. Was ihm an ihr nicht behagte, konnte sie nicht annähernd ausmachen. In seiner Gegenwart löste sich ihr Selbstwertgefühl in Wohlgefallen auf. Nichts von dem, was sie war, blieb übrig. Alles, was sie bei ihm war, war ein kleines Häufchen Elend.
Und doch hatte Amors Pfeil sie mitten ins Herz getroffen. Da war zum einen seine atemberaubende äußere Erscheinung, ein Bild von einem Mann: ein Meter neunzig groß, durchtrainiert bis in den kleinen Zeh und strotzte vor Gesundheit. Obwohl sie gertenschlank war und es für sie auch sonst keinen großen Anlass zur Beschwerde gab, fühlte sie sich neben ihm hässlich wie die Nacht. Außerdem trug er Glatze – offensichtlich aus modischen Gründen, denn diese war mit Stoppeln gesprenkelt, dicht und schwarz, und er hatte einen sehr eigentümlichen, hypnotischen Duft an sich, dezent, unaufdringlich, wie frisch aus dem Meer.
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