1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 »Meine Güte«, stöhnte er und begann damit, ein Kleidungsstück nach dem anderen abzustreifen. Anscheinend wollte er ein Duschbad nehmen. Verständlich, denn er stank nach zu viel Alkohol und zu viel Nikotin. »Übertreib doch nicht so maßlos, nur weil ich vorgegeben habe, uns sei ein bisschen Geld geklaut worden.«
Allmählich stellte ich mir die Frage, wie ich das all die Zeit mit ihm aushalten konnte. Ich schien ganz vergessen zu haben, dass er nicht von Anfang an so kindisch war und an meinen letzten Kräften zehrte.
»Ein bisschen? Zwanzigtausend Euro nennst du ein bisschen??« Angespannt und mit aufgerissenen Augen stand ich da und warf dramatisch die Arme in die Höhe. »Ein bisschen???«
Wieder stöhnte er. Doch dieses Mal erwiderte er nichts. Schweren Herzens musste er sich eingestehen, dass er wohl gerade derjenige war, der übertrieben hatte.
»Außerdem rede ich nicht von dem Tresor-Märchen, ich rede von dem ganzen Artikel.« Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. »Da wäre zunächst einmal das Bild von mir. Was fällt dir ein, denen ein Bild zu geben, auf dem ich vierundzwanzig bin?« Inzwischen hatte ich mich von meinen blonden Haaren verabschiedet und trug sie brünett. Deshalb konnte ich mir schon denken, was ihn dazu veranlasst hatte. Er hatte noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er eine Vorliebe für Blondinen hatte. Hinzu kam, dass ich zu jener Zeit dem Magerwahn verfallen war und bei einer Größe von eins neunundsechzig gerade einmal achtundvierzig Kilo gewogen hatte.
Seelenruhig und splitterfasernackt stand er nun vor mir. »Ich hatte einfach kein anderes parat, Mann.« Er hatte kein anderes parat? Überall standen hier irgendwelche Bilder von mir herum, somit hätte er nur nach rechts oder nach links greifen müssen. Gut, auf ihnen war ich nicht allein zu sehen, aber eine Zeitungsredaktion hätte mich da ja bestimmt fein säuberlich herausschneiden können.
»Willst du mich verarschen?«, brüllte ich ihn an.
Er kniff die Augen fest zusammen, um mir zu signalisieren, dass ihm beinahe das Trommelfell geplatzt wäre.
Dann zeigte ich auf seinen Nachttisch. »Wie wäre es mit diesem Bild gewesen?« Schön, es war von mir mit Herzchen und Sternchen via Photoshop romantisch herausgeputzt worden, aber immer noch besser als eine sechs Jahre alte Fotografie, auf der ich den Anschein erweckte, dass ich ein schwerwiegendes Drogenproblem gehabt hätte.
»Machst du Witze? Du regst dich über das Bild auf?« Er ließ sich auf dem Bett nieder, da er ahnte, dass die Auseinandersetzung einige Zeit beanspruchen würde und seine Dusche noch warten musste.
»Nein! Ich meine, ja! Ich meine, ich rege mich über alles auf! Wie konntest du angeben, dass wir verlobt sind?«
»Warum nicht? Haben wir denn nicht schon einmal über Kinder und das Heiraten gequatscht? Ist das plötzlich nicht mehr aktuell?« Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien er sich ernsthaft zu wundern.
»Ich weiß ja nicht, welchen Planeten du dein Zuhause nennst, aber diese beiden Themen sind schon lange nicht mehr aktuell. Oder hast du mein Ultimatum schon wieder vergessen?«
»Du meinst, dass ich mir einen Job suchen soll?« Ich bestätigte das mit einem Kopfnicken. »Ich habe dir doch gesagt, dass ein Job keinen Sinn ergäbe, denn wenn erst einmal ein Kind im Haus wäre, müsste sowieso einer von uns beiden zu Hause bleiben und es hüten.«
Es machte mich immer rasender, wie er sich alles so zurechtbog, wie es ihm gerade passte. Denn es ging mir in erster Linie um eine gewisse Bodenständigkeit, die mit einem Job einherginge. Was sollte ein Kind mit einem Vater anfangen, der sich gegen jede Verantwortung und jede Pflicht sträubte, als würden diese Eigenschaften innerhalb eines Jahres tödlich enden? Ich wollte einem Kind lediglich die Stabilität bieten, die es verdiente.
»Matz, wir sind nicht verlobt!«
»Na gut! – Darf ich endlich duschen gehen?«
Wollte er mich absichtlich auf die Palme bringen oder fühlte er sich meiner wirklich so sicher? »Und warum hast du dich in dem Artikel als Held verkauft? Ich konnte ja schon froh sein, dass du dir beim Verrücken des Schranks nicht das Rückgrat gebrochen hast.« Ich wollte aus Wut anfügen: »Du Schlappschwanz«, aber das kam mir dann doch sehr unsachlich vor.
Diese Äußerung schien auch schon ganz ohne den ordinären Ausdruck an seinem Stolz zu kratzen, denn plötzlich fuhr er vom Bett hoch und stellte sich mir bedrohlich nahe. Er schaute von oben auf mich herab. »Du musst mich jetzt auch nicht schlechter machen als ich bin, verstanden?«, zischte er durch die Zähne.
Ich ließ mich nicht einschüchtern. »Verstehst du das nicht? Der ganze Artikel ist komplett gelogen. Ich war weder stundenlang in der Kammer eingesperrt noch hast du die Polizei gerufen noch haben wir je einen transportablen Tresor besessen ... Mein Schreibtisch hat nicht einmal einen Rollcontainer. Er ist aus massivem Holz und hat nur eine Schublade vorn unter der Tischplatte. Ich meine, da stimmt einfach vorne und hinten nichts, und wenn das die Polizei herausfindet, bist nicht nur du, sondern auch ich dran.«
»Da kommen wir der Sache schon näher.« Skeptisch zog er eine Augenbraue nach oben und massierte sich das Kinn mit dem Zeigefinger und Daumen. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte man meinen können, er wäre unter die Detektive gegangen. Ich blickte ihn fragend und auffordernd zugleich an, während er seine Erleuchtung in einer Kunstpause ausgiebig zelebrierte. »Es geht hier mal wieder einzig und allein um dich. Du-du-du-du-du!«
Und das war die Erleuchtung?
Fassungslos schüttelte ich den Kopf und wandte mich von ihm ab. »Du hast recht«, gab ich überspitzt von mir, damit er die Ironie in meiner Stimme klar und deutlich heraushören konnte (sicher war sicher), »der größere Egoist von uns beiden bin selbstverständlich mal wieder ich.« Geschäftig fummelte ich über eine Kommode, um mich davon abzuhalten, ihm die Augen auszukratzen oder ihm einen kräftigen Tritt in die Weichteile zu verpassen oder ihm eine der drei Tischlampen in diesem Raum über den Kopf zu braten.
»Ist es nicht so? Die einzige Person, die hier ständig irgendwelche Anforderungen stellt, bist doch du!«
»Pfff!«, stieß ich empört aus, und es war mir egal, dass mir hierbei ein paar Speicheltropfen nach allen Seiten entwichen. »Anforderungen, was? Ich nenne das schlicht und ergreifend den Appell an einen gesunden Menschenverstand. Schlimm genug, dass ich mich an deiner Seite wie deine Mutter und nicht wie deine Lebenspartnerin fühlen muss.«
»Lass meine Mutter aus dem Spiel!« Nackt wie er war, stampfte er durch den Korridor ins Bad. Dabei schaukelten seine Kronjuwelen hin und her und verleiteten mich zu der Vorstellung, sie in einen Schraubstock einzuspannen und Matz zum Winseln zu bringen.
Ist der so doof oder tut er nur so?, fragte ich mich, als ich ihm hinterherdackelte wie der letzte Depp. »Es geht hierbei doch nicht um deine Mutter, verdammt ...« RUMS! Er schlug mir die Tür vor der Nase zu, gerade als ich Luft holte, um seine Unterstellung für null und nichtig zu erklären.
Er machte es mir wirklich einfach. Ich hatte befürchtet, ich müsste über meinen Schatten springen, um der Beziehung das inzwischen heiß ersehnte Ende zu setzen, doch allmählich schwand auch noch der letzte Hoffnungsschimmer, was meine Gewissensbisse ein für alle Mal mattsetzte.
Wutschnaubend klopfte ich an die Tür und schrie: »Es geht darum, dass ...« Wie beknackt war ich eigentlich? Nicht nur, dass er sehr wohl verstanden hatte, dass es hier nicht um seine Mutter ging, noch dazu hatte er nicht einmal die Tür verriegelt. Also, was tat ich hier? Warum ließ ich mich so rotzfrech ausbremsen, anstatt einfach das Bad zu stürmen und ihm den Marsch zu blasen?
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