Mich nervte oft, dass er so konsumorientiert war. Er musste ständig etwas Neues haben und war immer unzufrieden, voll materialistisch eingestellt. Ich brachte ihn von diesem Trip nicht herunter. Ich vertraute ihm, denn wir hatten dieselben Interessen, konnten gut miteinander reden und kuscheln. Im Sex schlich sich schnell Routine ein, und ich fand ihn immer langweiliger; darum hatte ich auch nicht mehr so viel Lust dazu, und es wurde immer weniger. Er war eher der zärtliche Typ und ich der leidenschaftliche. Das passte irgendwie nicht so gut zusammen, aber ich gab mich damit zufrieden, denn er gab mir emotionale Sicherheit, und darum wollte ich mich auch nicht von ihm trennen. Vielleicht waren wir auch beide zu bequem, um etwas zu ändern. Ich hatte mich auf diese Liebe eingestellt und wollte es gar nicht mehr anders. Ich passte mich ihm an. Es plätscherte alles gleichmäßig dahin, keine besonderen Höhen, aber auch keine Tiefen. Wir hatten eine gemütliche Wohnung, einen Hund, zwei Katzen, gute Freunde, einen Volvo vor der Haustüre. Seine Mutter vergötterte mich und wollte gleich ein Haus für uns bauen lassen, weil sie noch ein Grundstück hatte. Thomas lehnte ab, weil er nicht neben seiner Mutter wohnen wollte. Das einzige Problem, das wir hatten: Er wollte ein Kind und ich nicht. Ich fühlte mich einfach noch nicht reif dazu. Ich sagte ihm, dass er noch warten müsste, und er drängte mich auch nicht mehr. Ich dachte mir wirklich, dass er mir nie im Leben fremdgehen würde. Aber da hatte ich mich getäuscht, weil er mich mit Sabi, der ich eigentlich vertraute und die ich ab und zu mit nach Hause brachte ‒ sie hängte sich nach der Trennung von Marcel wieder an mich dran ‒, schamlos betrog. Sie erzählte es mir, als wir zusammen essen gingen. Er hatte ihr gesagt, dass sie nichts sagen sollte, aber sie wurde von so einem schlechten Gewissen geplagt, dass sie es mir sagen musste. Ich stand auf und ging. Für mich war die Freundschaft mit ihr zu Ende. Jegliches Gefühl für ihn starb in Sekundenschnelle in einem Bombardement von Messerstichen. Alles, was übrig blieb, war ein sattes Rachegefühl, denn er sollte dafür büßen, dass er mich betrogen hatte, dass er unsere Liebe so leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte. Wir hatten uns drei Jahre alles geteilt, also sollten wir auch das Ende teilen. Das Leid, das ich durch ihn erfahren hatte, sollte er in gleichem Maße durch mich erleben. Er sollte den Tod unserer Liebe genauso spüren, damit wir wussten, dass nichts davon übrig blieb, nicht die kleinste Hoffnung. Ich wollte nicht, dass so ein kleiner Samen übrig blieb und wieder zu wachsen begann, denn die Blume, die daraus entstünde, würde jämmerlich verdursten. Ich erstickte sie gleich im Keim, weil keine Liebe mehr da war. Ich konnte ihn nicht mehr lieben, weil das Vertrauen weg war. Ich nahm also Michael in unsere Wohnung mit. Er war Gitarrist in der Band von Thomas. Wegen Thomas hatte ich all seinen heimlichen Werbungen widerstanden. Das sollte vorbei sein. Er zeigte sehr viel Mitgefühl bei meinem Problem und spielte mein Spiel mit. Die Rache war das Einzige, was mich antörnte, und ich wusste gar nicht, wie lustvoll sie sein konnte, wenn man in ihr badete. Die Vorstellung, dass Thomas gleich zur Tür hereinkam, brachte mich erst recht in Ekstase, und als ich sein entsetztes Gesicht in der Tür erblickte, empfand ich nicht das kleinste Mitgefühl. Es war, als hätte mich ein Fremder angesehen. Als Michael weg war, beschimpfte er mich, eine Hure zu sein. Er schrie wie ein Wahnsinniger herum, schlug mir ins Gesicht und meinte, dass ich alles zerstört hätte. Worauf ich sagte, dass er alles zerstört hätte. Als ich weggehen wollte, hielt er mich am Arm zurück, kniete sich vor mich hin und flehte mich an, dass ich bleiben sollte, doch der Scherbenhaufen war zu groß, als dass man ihn hätte reparieren können. Ich sagte, dass er mich und sich nicht so erniedrigen sollte und dass es kein Zurück mehr gäbe. Als ich ging, weinte ich, aber nicht um Thomas, sondern um mich, weil ich nicht mehr wusste, wohin ich gehörte.
Anna fing mich auf. Sie bot mir gleich an, bei ihr zu wohnen, weil ihre Wohnung sowieso zu groß für sie allein wäre. Ich überlegte nicht lange und zog mit Venus, meinem Hund, den ich von Oma zum achtzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, ein. Sie wollte nicht einmal Miete verlangen, weil es die Eigentumswohnung ihrer Mutter war und sie kein Geschäft damit machen wollte. Ich wollte ihr aber trotzdem monatlich etwas geben. Zum ersten Mal seit Langem fühlte ich mich wieder frei und studierte endlich Kunst. Den Job wollte ich nebenbei weitermachen, denn schließlich brauchte ich auch Geld.
***
Ich lag wie ein Stück Blei in der Hängematte. Mein Kopf dröhnte von der letzten Nacht, und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich da jemals wieder herauskam, außerdem hatte ich Bauchweh von den vielen Kirschen. In drei Stunden musste ich wieder ins Café und auf der Matte stehen. Die Sonne bemühte sich, meinen kalten, übernächtigten Körper zu wärmen. Sie tat so gut nach dieser erfolglosen letzten Nacht, was Männer betraf. Die zwei Spanier, mit denen Anna und ich fast einen Monat wie in Trance verbracht hatten, waren einfach verschwunden, ohne sich zu verabschieden. Wir waren zum Essen verabredet, aber sie kamen einfach nicht. Als Anna anrief, meinte der Bekannte, bei dem sie gewohnt hatten, dass sie schon am frühen Morgen wieder nach Spanien zurückgefahren waren. Ich hasste Abschiedsszenen ja auch, aber das war nun nicht gerade die feine Art. Anna und ich tanzten uns die ganze Nacht den Frust heraus.
„Was guckst du so nachdenklich?“, fragte Anna, während wir zusammen frühstückten.
„Ich koste gerade von meiner Suppe aus Illusionen, gewürzt mit Liebe und Optimismus, und hoffe, dass sie meinen Hunger eines Tages stillen wird.“
„Du wirst daran verhungern, glaube mir. Mein Opa sagte immer, dass einem das Leben schon die Träume aus dem Leib peitscht.“
„Da ist sicher was Wahres dran, aber ohne Träume ist das Leben so sinnlos.“
„Wie sagt man noch: Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume.“
„Ja, es wird an der Zeit, dass ich meine Träume lebe, ich weiß nur noch nicht wie.“
Wir schwiegen eine Weile und ließen uns noch ein bisschen von der Sonne verwöhnen.
„Du denkst an Manuel?“, fragte Anna, als mein Blick sehnsuchtsvoll in die Ferne schweifte.
„Nein, tue ich nicht. Er ist ja gar keinen Gedanken wert.“
„Schnuckelig waren sie ja schon.“
„Ja, sehr schnuckelig. Sie kamen mir vor wie zwei Stiere, und wir waren das rote Tuch. Sie hatten wahrscheinlich genug Übung.“
„Stimmt, sie haben uns hereingelegt, und wir sollten es zu den Akten der lehrreichen Erfahrungen legen.“
„Und am besten ein dickes Schloss daranmachen, weil sie langsam immer dicker werden.“
„Hättest du gedacht, dass uns so was passieren könnte? Ich meine, sahen wir so aus, als könnte man das mit uns machen?“
„Wahrscheinlich schon. Oh, ich würde sie am liebsten ans Bett fesseln und Miss Piggy von meiner alten Schule holen. Sie hat mindestens drei Zentner, nicht gerade die Schönste, aber unheimlich nett, und sie hasst Männer, weil sie von ihrem Stiefvater jahrelang sexuell missbraucht worden ist. Sie erzählte es mir während der Abschlussfeier, wo sie schon einiges getrunken hatte. Sie würde die zwei bestimmt fertigmachen, weil sie so viel Wut im Bauch hat, die für beide reicht. Zum Schluss könnten wir noch ein rotes Band um ihre Eier machen und so fest zuziehen, wie es geht. Zur Krönung noch ein Schleifchen, damit es nicht ganz so erbärmlich aussieht.“
„Ja, das ist gut. Sind wir eigentlich gemein?“
„Ach, nicht gemeiner als die.“
Wir hatten noch einige Einfälle, von denen ich aber nicht weiter erzählen will.
Am nächsten Tag sah die Sache schon wieder ganz anders aus. Als ich Anna in der Küche traf, sagte ich ihr, dass es vielleicht nicht die feine Art war, aber vielleicht doch die rettende, denn wer weiß, was sonst für eine Leidenschaft entstanden wäre. Anna gab mir recht und meinte nur: „Abgehakt.“
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