Bei Anna fühlte ich mich einige Zeit auch glücklich ohne Mann, außerdem befand ich mich seit Langem im Tal der tausend Unzulänglichkeiten, was mir die Sicht zur Sonne versperrte. Die Männer verwirrten mich immer mehr. Manchmal glaubte ich, dass sie Angst hatten vor einer Frau wie mir, die sich nicht alles gefallen ließ, ihren eigenen Willen hatte und die man nicht zähmen konnte, weil sie sonst verwelkte und glanzlos wurde. Frauen wie mich mussten sie besiegen, ihren Willen brechen, sie verletzen, damit sie ihre Maske nicht verloren. Zum Glück hatte mich das Leid meiner Mutter in ihrer Ehe etwas stärker gemacht. Ich wusste zumindest, wie ich nicht werden wollte, bescheiden, zumindest nicht so wie meine Mutter, die sich gar nichts gönnte, angepasst, folgsam, still leidend, dem Manne untertan. Auch, wenn wir im Zeitalter der Gleichberechtigung waren, gab es doch immer wieder Ausnahmen, wie zum Beispiel meinen Vater, der ein purer Macho war. Gut, eines hatte sie nach dreizehn Jahren Ehe geschafft: dass sie arbeiten durfte, aber nur, weil mein Vater sein Geld oft verzockte und wir es dringend nötig hatten. Ich hatte nur ein einziges Problem, dass ich manchmal in dieselbe Falle wie meine Mutter tappte, weil sich die Männer gut tarnen konnten und gute Köder für ihre Fallen ausstellten und ich teilweise über meine eigenen Schwächen stolperte, die sich nicht so leicht ausrotten ließen ‒ nämlich die Bequemlichkeit, die Gutgläubigkeit und der riesige Hunger nach Liebe, die mich immer wieder blind machten. Sonst wäre ich auch nie so lange mit Thomas zusammengeblieben, weil es mich immer wurmte, dass er mich nicht Kunst studieren ließ und ich nur zweimal die Woche arbeiten durfte. Ich hätte mich dann auch nicht auf den Spanier eingelassen, der mich sowieso nur enttäuschte. Ich muss zugeben, dass das Südländische schon seinen Reiz hatte, aber hinter seinem Charme, auf den man leicht hereinfallen konnte, verbarg sich meistens ein Macho. Ich wollte aber nicht mehr hereinfallen und enttäuscht werden. Also nahm ich mir vor, gar nicht mehr so viele Gefühle zu investieren, reiner Sex machte doch auch Spaß. Ich lockte die Männer an, bezauberte sie, und wenn ihr Begehren jede einzelne Pore meines Körpers durchdrungen hatte, dann gab ich mich hin, aber nur meinen Körper. Als mein Hunger gestillt war, rannte ich zum nächsten. Es machte mir Spaß, dass mich die Männer nicht durchschauen konnten. Ich spielte meine Rolle perfekt. Ich stillte meinen sexuellen Hunger, aber meine Seele ließ ich verdursten. Manchmal, wenn sie sich unverhofft meldete, weinte ich unsichtbare Tränen in die Kissen, damit der andere es nicht bemerken konnte. Manchmal ging ich auch aus Mitleid mit ihnen ins Bett. Ich hatte Mitleid mit den Männern, aber nicht mit mir.
Ich lernte Annas Bruder Carlos kennen, der wieder von einer seiner Reisen zurückkam. Er war ein netter Mensch und wurde auch für mich wie ein Bruder. Er hatte Anna sehr geholfen, als ihr Vater ihre Mutter verließ, weil sie ihn sehr liebte. Carlos meinte, dass er mal Priester hatte werden wollen, aber die Frauen ihn nicht ließen. Er wollte dann doch auf die Frucht, die Gott erschaffen hatte, nicht verzichten, und darum wurde er eher zum Frauenheld, weil die Frauen ihn liebten und er sie auch. Man hatte auch wirklich das Gefühl, dass man ihm alles anvertrauen konnte. Er hatte so eine gelassene, beruhigende Ausstrahlung, die nichts aus der Ruhe brachte. Für mich löste er zum Glück mehr brüderliche Gefühle aus, und ich war froh, dass wir so gute Freunde sein konnten.
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In den Semesterferien arbeitete ich sechs, manchmal sieben Tage die Woche. Ich lernte eine Menge Leute kennen und hatte jeden Abend einen gefüllten Geldbeutel, mit dem es sich leben ließ. Ich konnte mir all die Dinge leisten, die ich mir vorher nicht hatte kaufen können. Nach der Arbeit ging ich immer noch weg, weil ich danach so aufgedreht war, dass ich nicht schlafen konnte. Erst in den frühen Morgenstunden fiel ich ins Bett und war wie tot.
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Anna lag mit einer Eierstockentzündung im Bett, und ich lernte Patrick kennen. Er war ein guter Tänzer, und ich war mir sicher, dass er sonst auch nicht schlecht sein musste, ich meine natürlich im Bett. Ich fing mein Spiel wieder an, aber ich merkte, dass er es auch gut beherrschte. Ich wollte ihn zappeln lassen, schaffte es aber nicht und vergaß alles um mich, sogar die Pizza, die ich Anna hätte mitbringen sollen. Ich dachte nur noch eins: Pass auf, dass du dich nicht verliebst. Denn ich sah schon wieder den Teufel, der dahinter hämisch grinste. Es war aber schon zu spät, denn er küsste mich, und ich musste aufpassen, dass er mir nicht gleich die Klamotten vom Leib riss. Ich fuhr wie ferngesteuert in seine Wohnung. Er legte etwas Kokain auf den Tisch. Ich hatte das Teufelszeug schon mal mit Anna genommen und zögerte etwas, weil es mir danach nicht ganz so gut gegangen war. Damals hatte ich den zweiten Tag im Bett verbracht, weil sich mein Körper das holte, was das Kokain ihm genommen hatte, nämlich Schlaf; aber schlafen konnte ich nicht, weil mein Herz wie wahnsinnig zu rasen anfing, dass ich dachte, es liefe aus meinem Körper heraus. Musste schlechtes Zeug gewesen sein.
„Nimm es!“, meinte Patrick.
„Ich weiß nicht.“
Ich überlegte, und dann nahm ich es doch. Es dauerte nicht lange, bis ich in seinem Bett landete und meine Lust in vollen Zügen genoss. Wie die Tiere fielen wir übereinander her. Fünf Stunden wurden meine abgründigsten Wünsche erfüllt. Erst gegen Mittag schliefen wir erschöpft ein. Als ich wieder aufwachte, kam ich mir vor wie gesteinigt. Ich versuchte, die letzte Nacht zu rekonstruieren, und konnte gar nicht fassen, was da mit mir passiert war. Ich sah ihn an und hatte das Gefühl, dass ich mich in ihn verliebt hatte. So ein Mist!
Als er aufwachte, gingen wir zusammen frühstücken.
„Wieso hast du mich gestern mitgenommen?“, fragte ich. Ich wollte sofort die Wahrheit wissen und nicht, wenn es zu spät war.
„Alles an dir hat mich irgendwie gezwungen, deine traurigen Augen, dein verlangender Mund, dein rotes Kleid.“
Er grinste. „Mein Schwanz war geradezu verrückt danach, in dich einzudringen.“
Diese Wahrheit war knallhart, und mein Gesicht tränkte sich mit roter Farbe. Ich wusste gar nicht mehr, wo ich hinsehen sollte, und zündete mir verlegen eine Zigarette an.
„Du bist in mich eingedrungen. Und was jetzt? Jetzt kommt die nächste, oder?“
„Nein, ich will mehr. Du nicht?“
„Ich weiß es nicht. Ich meine, ich kenne dich eigentlich gar nicht.“
Er grinste wieder. „Oh, wenn ich an die letzte Nacht denke, dann kommst du mir sehr bekannt vor. Ich glaube, dass es keine Stelle an deinem Körper gibt, die ich nicht kenne.“
Mein Gesicht glühte schon, aber ich musste da durch. Wie würde mein Opa sagen? Bauernbacken.
„Du kennst nur meinen Körper, und den auch nur unter Drogen. Das kann doch nicht alles sein. Du bist kein Typ, der lieben kann, ich meine mit dem Herzen. Das gestern waren doch nicht wirklich wir. Das war nur Schein.“
„Finde ich nicht. Du bist mal ziemlich enttäuscht worden. Es muss nicht immer gleich die große Liebe sein. Manchmal zählt einfach nur Spaß, aber das ist bei euch Frauen immer ein Problem.“
Ich dachte ja genauso, dass man sich nicht zu viel vormachen sollte, dass man das Leben mehr genießen sollte, ohne sich gleich zu binden und das Große zu erwarten. Das Problem war nur, dass ich mich verliebt hatte, und gegen Gefühle konnte man nicht ankämpfen.
„Fahren wir wieder zu mir“, meinte er. „Hier ist alles so unpersönlich.“
Wir standen auf und fuhren los. Ich folgte ihm ja schon wie ein Hündchen, das läufig war.
„Lass dich einfach fallen“, meinte er, und ich ließ mich fallen. Genau drei Tage und drei weitere Nächte ließ ich mich fallen. Ich rannte die ganzen Tage nur in seinen Jogginghosen und seinen T-Shirts herum, weil ich nichts zum Anziehen dabeihatte. Am vierten Tag fuhr ich mit schlechtem Gewissen zu Anna, die sich bestimmt Sorgen machte, weil sie überhaupt nicht wusste, wo ich war.
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