Die verschlafene Stimme von Maier meldete sich, als Hell es schon aufgeben wollte. „Ja, wer stört um diese Zeit meinen Schönheitsschlaf?“
„Ich, Oliver Hell. Ich will gar nicht lange um den heißen Brei herumreden. Warum hatten Sie mit Jakob Gauernack ein Treffen am gestrigen Abend?“
Maier gähnte. „Gauernack? Der ist nicht gekommen.“ Er schmatzte vor sich hin. „Hmh, woher … woher wissen Sie von meinem geplanten Treffen mit Gauernack?“
„Aus seinem Handy“, antwortete Hell. Er zögerte, dem Reporter direkt die Wahrheit zu gestehen.
Maier horchte auf. „Aus seinem Handy? Stimmt was nicht? Ist was passiert?“
Hell verspürte weiter einen Wiederwillen, den Reporter einzuweihen. Wer weiß, vielleicht würde er es vorziehen zu schweigen, wenn er erst erfahren hätte, was passiert war.
„Was wollten Sie von Gauernack?“
„Kommen Sie, Hell. Sie haben das Handy des Staatsanwaltes. Aber Sie wissen nicht, warum er sich mit mir treffen wollte. Ich wäre ein beschissener Journalist, wenn ich da nicht hellhörig würde. Was ist passiert?“
„Erst Sie, Maier. Erzählen Sie mir die Wahrheit. Sie haben mich damals schon auf Gauernack angesprochen. Was ist der Grund für ihr Treffen gewesen?“
Hell hörte, wie der Reporter auf eine Tastatur eintippte.
„Kennen Sie das? Sie warten auf eine große Chance und sie kommt einfach nicht?“ Er tippte weiter.
„Was ist los, Maier? Wollen Sie mich hinhalten?“
„Nein, Herr Kommissar, das will ich nicht. Ich möchte nur keinen Schwachsinn berichten“, sagte er und Hell bemerkte, wie seine Stimme sich veränderte.
„Was?“
„Ich verspreche Ihnen, ich sage Ihnen den Grund für unser Treffen, wenn ich mir sicher bin. In Ordnung?“
„Was wollten Sie von Gauernack? Maier, meine Geduld ist beinahe aufgebraucht“, sagte Hell in einem genervten Tonfall.
„Sie verstehen mich nicht, Hell. Nicht ich wollte etwas von ihm. Er wollte etwas von mir. Er hat mich vor ein paar Monaten angerufen, um mir eine Story anzubieten.“
Der Tonfall der Worte Maiers hatte etwas Gehetztes. Hell fiel es sofort auf.
„Ach. Dann wollten Sie mich damals nur ködern nach der Pressekonferenz?“
„Ich sagte ja, es war eine Chance, die sich dann wieder in Luft aufzulösen drohte. Gauernack war plötzlich wieder verschwiegen. Erst vorige Woche kam er wieder auf mich zu. Und gestern hat er mich angerufen. Wenn ich noch Interesse hätte, dann sollte ich ihn zurückrufen.“
„Hat er ihnen was gesagt? Einen Grund?“, fragte Hell. Kein Zweifel, der Reporter hatte eine heiße Spur und er würde dem Kommissar nichts sagen, was ihm diese Spur und die dazugehörende Story verderben würde.
„Nein, er sagte nur, er würde mir etwas Wichtiges mitbringen zu dem Treffen. Was ist passiert?“
Hell hörte den Wiederhall seiner Stimme, als er sagte, „Jakob Gauernack hatte einen Autounfall. Er ist tot.“
Es herrschte für ein paar Sekunden eine angstvolle Stille. Doch Maiers nächster Satz ließ Hell erschaudern. „Durchsuchen Sie das Auto. Ich bin mir sicher, das, was er bei sich hatte, war der Grund für diesen Unfall.“
Hell hielt inne und presste das Handy an sein Ohr. „Es war ein Unfall, Maier. Der Unfallgegner kam von der Straße ab. Es hätte jeden treffen können, der dort entlangfuhr.“
Auf die Stirn von Oliver Hell traten Schweißperlen. Nicht nur, wegen der Hitze der Nacht. Er stellte sich vor, Maier könnte Recht haben.
„Und wenn nicht, Herr Kommissar? Wenn es ein Mordanschlag war? Was dann?“
Eine Schweißperle löste sich und lief in Hells Augenbraue. Er wischte sie mit einer mürrischen Handbewegung weg.
„Haben Sie eine Ahnung, was Gauernack bei sich trug?“
„Nein. Eine CD, einen Memory-Stick. Fotos. Ich habe keine Ahnung. Sie sind der Polizist, nicht ich.“
„In Ordnung, ich werde die notwendigen Schritte einleiten. Wann können wir uns sehen? Ich meine, wenn Ihnen noch etwas eingefallen ist?“
„Wenn ich einen klaren Kopf habe, dann melde ich mich. In Ordnung?“
Das Telefonat war beendet. Um wieder klar denken zu können, hätte Hell seinen Kopf am liebsten in einen Eimer mit Eiswürfeln gesteckt. Konnte Maier mit seinen Andeutungen wirklich die Wahrheit sagen?
Wo war Wrobel? Hell ging ins Haus zurück. Er fand ihn in der Küche, wo der Ermittler dabei war, seinen Ermittlungskoffer auszupacken.
„Tim, habt ihr im Wagen Gauernacks seine Aktentasche oder seinen Laptop gefunden?“
„Wir haben alles, was im Audi war, in die KTU verbracht. Warum? Was ist?“
Hell sprach ohne Wrobel anzusehen, „Ich habe mit Maier telefoniert. Er behauptet, dass Gauernack sich mit ihm treffen wollte, weil er ihm etwas Vertrauliches übergeben wollte.“
Wrobel staunte. Nicht nur über das, was Hell sagte, viel mehr darüber, dass Hell diesen Reporter kannte. „Was denn?“
Hell spürte die Verzweiflung wachsen. „Er weiß es nicht. Er weiß auch nicht, um was es überhaupt ging. Gauernack hatte ihn kontaktiert, sagt er.“
„Warum fragst Du nach Gauernacks Unterlagen?“, fragte Wrobel und in seiner Stimme schwang so etwas wie Vorahnung mit.
„Maier hat die Vermutung geäußert, der Unfall könne kein Unfall gewesen sein.“ Hell spürte, sein Herz machte einen Hüpfer. Nicht im übertragenen Sinne, sondern wortwörtlich.
Sollte es wirklich sein, dass sie im Haus eines Mordopfers standen und über ein mögliches Verbrechen an ihrem Kollegen, dem Staatsanwalt Gauernack sprachen?
„Wie soll das denn abgelaufen sein?“, fragte Wrobel irritiert. Er schüttelte nur ungläubig den Kopf, „Gauernack war unterwegs in einer Kolonne von Autos. Bergauf. Der Unfallgegner kam ihm entgegen. Ebenfalls in einer Kolonne. Bergab. So etwas kann man nicht planen. Nicht in aller Welt glaube ich daran.“
Wrobel rückte seine Brille zurecht, die er nur trug, wenn er selber einen Tatort untersuchte. Hell sah den Zweifel in seinen Augen. Er sah aber ebenfalls, wie Wrobel bereits weiter dachte. Das war nichts Neues. Er war nicht umsonst Leiter der KTU. Seine Position verdankte er nicht nur seiner beruflichen Qualifikation, sondern auch der Tatsache, dass er ständig alle Ergebnisse in Frage stellte. Die Beweise sagen uns, was geschehen ist. So sagte er immer. Aber manchmal sind sie auch doppeldeutig.
„Du hast Recht, Tim. Für mich ist es auch unverständlich. Vielleicht wird es verständlicher, wenn wir Gauernacks Unterlagen finden.“ Hell drehte sich um, dann verharrte er aber in der Bewegung, „Wie heißt eigentlich der Unfallgegner? Und wo ist er?“
Wrobel schaute an ihm vorbei. Er sah aus, als sei er beim Kekse klauen von seiner Mutter erwischt worden.
„Keine Bremsspur“, stotterte er, „Der BMW ist ungebremst in den Audi von Gauernack gerauscht.
Hell schlenderte durch die Küche und wirkte dabei, als überlegte er, was er als nächstes essen würde. Dabei war er nur hochkonzentriert.
„Das bedeutet aber noch keinen Mordanschlag“, sagte er.
„Nein, aber in Verbindung mit den neuen Erkenntnissen ergibt sich ein neues Verdachtsmoment.“
„Ja, das mag wirklich sein. Wie war der Name des Mannes?“, fragte Hell erneut.
Wrobel blinzelte mehrmals, als müsse er sich erst erinnern.
„Stephan Gericke ist sein Name. Die Rettungssanitäter haben ihn in die HELIOS-Klinik nach Siegburg gebracht. Mehr als ein Schleudertrauma sollte er aber nicht erlitten haben.“
Hell hob seinen Arm hoch um das Ziffernblatt der Uhr ablesen zu können. Viertel nach zwei.
„Wenn er nur ein Schleudertrauma hat, dann bleibt er sicher nicht lange dort. Ich schicke einen Streifenwagen vorbei, der ihn zum Verhör abholt“, sagte Hell, der gähnend für einen Moment die Augen schloss.
„Ja, es wird in zwei Stunden wieder hell, dann können wir noch einmal die Straße absuchen“, sagte Wrobel, „Ich werde auch gleich im Büro Bescheid sagen. Sie sollen die Habseligkeiten von Gauernack mit besonderer Sorgfalt überprüfen.“
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