»Weder noch.« Clarks Augen waren blutrot unterlaufen, »rechtes Fußgelenk.« Clark sackte zu Boden. Mel hatte ihn losgelassen und griff mit seiner Greifzange nach der Kette. Clark hustete und röchelte. Sein Bot setze ihm eine Injektion. Mel hob die Kette direkt vor seine Kameraaugen und musterte sie. »Sarah wollte, dass ich sie dort trage. Sie meinte, dass es Glück bringt. Wo ist mein Körper?« Clark versuchte, wieder zu atmen. Sein Hals war blau von Würgemalen. Mel hätte ihn beinahe getötet. »Er liegt mit den anderen hundert Designern in der Positive Concept. Der Unfall war vorgetäuscht. Castello hat sich ein Lager angelegt. Er braucht euch alle.« Mel war immer noch skeptisch. »Warum hast du meinen Körper nicht gleich mitgebracht?«
»Die Station wurde in einem See versenkt. Ich bin mit einem Freund dort runtergetaucht. Er hieß Jasper und ist jetzt tot.« Mel starrte regungslos auf das Amulett der Kette, in dem das Gesicht seiner Tochter abgebildet war. Nach über vier Jahren hielt er plötzlich einen Teil seines Lebens - in seiner Greifzange.
»Clark, ich habe ein Schiff geortet. Es nähert sich der Conestar 64«, meldete Daisy plötzlich. Clark rappelte sich auf. »Das ist Castello, wir müssen hier sofort weg. Daisy, Blitzstart vorbereiten. Dann holst du den Bot zu dir und klinkst dich bei ihm ein. Flieg ins All und versteck dich auf der Rückseite der Station. Keine Kommunikation mehr, bevor ich dich rufe.«
»Wird ausgeführt, Clark. Dein Schiff ist dann aber völlig unkon-trolliert.«
»Was hast du vor?«, fragte Mel. »Reine Sicherheitsmaßnahme, falls wir hier nicht wegkommen. Daisy können wir dann immer noch wieder einsammeln.«
Castello summte vor sich hin. Als er die Silhouette der Conestar 64 sah, legte er seinen Arm freundschaftlich um Scott. »Na dann werden wir die beiden jetzt mal besuchen. «Scott begriff nicht so recht. »Wer ist denn da noch, außer Clark?«
»Ach, weißt du, der andere war einer meiner besten Leute und sehr undankbar. Sein Gehirn steckt jetzt zum Nachdenken in einem Langzeiterhaltungssystem«, seufzte Castello. »Er lebt also praktisch?«
»Ja«, Castello verdrehte entzückt die Augen und verfiel in einen Singsang. »Ich könnte ihn sterben lassen und wiederbeleben … und sterben lassen und wiederbeleben.« Scott schauderte es. »Mein Gott, was für Qualen.« Castello schaute ihn mit einem sanftmütigen Blick an. »Aber Scott, wenn es uns gelingt, sein kleines Geheimnis zu lüften, wirst du zur Elite aufsteigen.«
»Wirklich?« Scott bekam glänzende Augen. Was für Aussichten. In die Semi Elite hatte er es bisher nur über die Beziehung seiner Eltern geschafft. Nun saß Scott als persönlicher Assistent neben dem Mann, der die Macht hatte, ihm im Handumdrehen die höchste Auszeichnung zu verschaffen. Du wirst so wertvoll, dass dir die Unsterblichkeit per Gesetz verordnet wird. Scott war wie im Trance.
»Tor 1 beschädigt, Schleuse 2 belegt, Schleuse 3 ist frei zur Landung.« Castello schloss genüsslich die Augen, als er die Meldung vom Stationssystem hörte. »Er ist hier. Ich habe ihn.« Scott machte neben dem selbstbewussten, charismatischen Castello eher eine erbärmliche Figur, als sie beide in der Haupthalle hinter den Schleusen standen. »Das hier ist eine ernste, wichtige Mission, Scott. Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Deshalb habe ich dich zu meinem Assistenten gemacht.« Scott schluckte und bekam glasige Augen. »Manchmal braucht es eine gesunde Portion Glück, um so dicht am Erfolg zu stehen«, dachte er sich euphorisch. »Hör zu, du nimmst jetzt diesen Sprengsatz und setzt dich leise und unbemerkt in das Schiff von Clark in Schleuse 2. Dort wartest du, bis ich dir neue Anweisungen gebe. Wir bleiben über Intercom in Kontakt.« Ehrfürchtig blickte Scott zu ihm auf. »Du kannst dich auf mich verlassen, Broke. Keine Sorge.« Dann eilte er in Schleuse 2, in der Clarks Schiff stand und stieg ein.
Mit leisen Schritten lief Castello die Gänge ab. »Hallo Clark, hallo Mel, wo seid ihr.« Er schlug einen Ton an, als würden kleine Kinder Versteck spielen. »Oh, sie haben sich versteckt. Clark, ich habe dein Schiff gesehen«, rief er mit singender Stimme. Keine Antwort. »Schauen wir doch mal in der Zentrale nach, ob wir nicht dort was finden.«
Es gab unzählige Möglichkeiten, sich auf der großen Station zu verstecken. Castello machte auch nicht den Eindruck, als würde er ernsthaft nach ihnen suchen, als er die Treppe zur Zentrale hinaufstieg und dann plötzlich in einem kleinen Nebengang verschwand, in dem er irgendetwas zu tun schien. Scott saß währenddessen brav im Pilotensessel von Clarks Schiff, beobachtete die Displays, von denen er nichts verstand und machte einen wichtigen Gesichtsausdruck. Castello kam nach fünf Minuten aus dem Gang hervor, stieg die Treppe wieder hinab und blieb vor dem Sektor-Block stehen. Dort schob er einen kleinen Chip ein und drückte auf das Intercom. »Clark, ich habe dir zum Abschied etwas Musik dagelassen«, hallte es durch die ganze Station. »Du liebst doch Operntenöre so sehr. Verdi. Ja, es ist wunderbar.« Als das Orchester ertönte, schloss er für einen Moment sinnlich die Augen und schwenkte seinen Kopf im Melodiebogen. Dann ging er plötzlich mit schnellen Schritten zu seinem Schiff, schloss die Luke, startete und gab dem Stationssystem noch eine letzte Anweisung. »Sämtliche Schleusen blockieren.« Durch die Station dröhnte Aida. Es hat der Stein sich über mir geschlossen.
Scott saß leicht verwirrt in der Conestar Ecolight von Clark, als das Stationssystem die Blockade der Schleusen bestätigte. »Broke, äh, was soll ich denn jetzt machen?«, fragte er über Funk an. »Soll ich jetzt mit Clarks Schiff starten? Es wäre das Beste, er könnte sonst abhauen.«
»Du kannst nicht starten, sämtliche Schleusen sind blockiert.« Scott verstand nicht so recht. »Was ... was soll ich denn jetzt mit dem Sprengsatz machen?«
»Scott, meinst du nicht auch, dass du in letzter Zeit zu viele Fehler gemacht hast.«
»Äh ... Broke, es tut mir leid, ich weiß, dass ich wohl mal Fehler gemacht habe«, stammelte Scott. »So? Und wann hast du dein letztes Backup gemacht?«
»Vor drei Tagen genau. Immer pünktlich. Das halte ich genau ein.«
»Kannst du dich noch erinnern, was ich dir über Mel erzählt habe? Sterben und wiederbeleben … und sterben und wiederbeleben.«
»Ich werde mich bessern und tue alles, was du sagst, Broke«, jammerte Scott weinerlich.
»Ganz fest versprochen.«
»Natürlich, Broke. Du kannst dich ganz fest auf mich verlassen.«
»Gut. Dann drücke jetzt mal auf das kleine Knöpfchen vom Zünder, oder ich komme in zwei Tagen mit einem Braincloner hierher und fange bei dir damit an.«
Während Scott die Tränen über das Gesicht liefen, schaute er sich zum ersten mal den Sprengsatz etwas näher an, der eine kleine Abweichung zu den herkömmlichen Modellen aufwies. Er hatte keinen Zeitschalter, sondern lediglich einen kleinen grünen Zündknopf. Scott begriff seine Situation und fing an zu weinen. »Broke … bitte.«
»Du kannst es dir überlegen. Sterben und wiederbeleben …«
Mel kannte die Station bis ins Detail und hatte sich mit Clark zwischen den Gravitationsaggregaten versteckt, die wie ein Störsender wirkten. »Er ist weg. Wir müssen an das Schiff ran. Kannst du die Blockade der Schleusen aufheben?«, fragte Clark. »Castello ist hier auf dieser Station das Mastermind. Seine Anweisungen können von niemand aufgehoben werden. Aber das hier ist eine simple Fabrik und kein Regierungsgebäude. Wir können die Kontrollsysteme kappen und eine manuelle Steuerung bauen. Werkzeug gibt es hier genug.« Sie wollten sich gerade auf den Weg zur Schleuse machen, als eine heftige Explosion die Station erschütterte und in Alarmzustand versetzte. Scott hatte es sich überlegt und auf das Knöpfchen gedrückt.
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