Die zweite Nachricht kommt von einer Hotelangestellten aus dem Süden. Sie erzählt, dass Gäste eines gewissen Zimmers immer wieder von polternden Geräuschen, Kratzen an den Wänden und kalten Luftzügen berichten, seitdem ein Gast sich vor ein paar Jahren dort drinnen erhängt hat. Bei ihren Erläuterungen denke ich sofort an Kitty, das ist ein Auftrag für sie. Ich notiere mir die Telefonnummer und Adresse und schreibe in ein paar Stichworten auf, worum es geht. Dann falte ich das Papier und schreibe oben Kittys Namen drauf.
Der dritte Anrufer ist wieder einer der Sorte, die ich nicht sonderlich ernst nehmen kann und die mir zugleich fürchterlich auf die Nerven gehen. Ein junges Mädchen mit piepsiger Stimme versucht möglichst cool und lässig rüberzukommen, doch die Nervosität ist deutlich im Zittern ihres Soprans zu hören. „Hey, Scarlett, hier im Dorf erzählt man sich, dass du eine ganz Große in Sachen Hexenkunst bist, und ich wollte mal fragen, ob du mir und meiner Clique was beibringen kannst.“
„Oh nein“, seufze ich und lege meinen Kopf auf das kühle Kalenderblatt vor mir. Seit ein paar Wochen kommen immer wieder Anfragen von Jugendlichen, die irgendwo meinen Namen aufgeschnappt haben und denken, ich wäre eine Wicca, oder gehöre sonst einer Naturreligion an, in die ich sie einweihen könnte. Die meisten von ihnen wollen einfach nur ihre Eltern schocken oder sich von den anderen in ihrer Klasse abheben. Ein ernstes Interesse an einer Religion oder der Natur, habe ich noch bei keinem Anrufer festgestellt. Zu Anfang traf ich mich noch mit einigen der Jugendlichen. Doch sobald sie ihren Kaugummi auf die Straße spuckten und mir in ihren wallenden schwarzen Mänteln entgegen kamen, mit dem lustigen Aufnäher „ Just legalize it “ und ein paar gestickten Hanfblättern darunter, war mir klar, mit welcher Sorte Jugendlicher ich es zu tun hatte. In der Regel horchte ich sie dann nur etwas aus, und wenn sie mir so harmlos erschienen wie sie aussahen, verabschiedete ich mich und sah meine Pflicht als erledigt an. So lange sie keine Dämonen beschworen oder schwarze Messen abhielten, sollten sie meinetwegen tun und lassen was sie wollen.
„Wir kennen die Basics und so, aber vielleicht willst du ja mal bei unserem Zirkel vorbeischauen und uns ein paar Spells zeigen, oder was auch immer.“
Automatisch verdrehte ich die Augen. Sie kennen die Basics, sie haben einen Zirkel und wollen ein paar Spells lernen. Da hat wohl jemand mal wieder die Fernsehwelt mit der Realität verwechselt. Ohne ihrem Gebrabbel noch weiter zu lauschen, drücke ich die Vorspultaste und höre mir die Sorgen der nächsten Anrufer an. Eine ältere Frau fragt höflich nach unserer Schamanin Naomi, da sie mit ihrer verstorbenen Schwester Kontakt aufnehmen möchte. Seitdem unser Computergenie Jason uns eine Website eingerichtet hat, auf der all unsere „Dienstleistungen“ gelistet sind, hat Naomi immer mehr zu tun. Viele wollen mit Verstorbenen sprechen oder glauben, ein Fluch läge auf ihnen oder ihrem Haus. Naomi kommt dann und löst den Fluch, oder überbringt Botschaften der Toten in wundervollen und würdevollen Zeremonien. Es ist uns allen lieber, wenn die Kunden die Hilfe eines Schamanen in Anspruch nehmen, anstatt sich selbst an ein Ouija Board zu setzen oder Gläserrücken auszuprobieren. Denn solche Aktionen sind noch nie gut ausgegangen! Die wenigsten wissen, dass sie so ein Tor zur Unterwelt öffnen und Dämonen und andere dunkle Wesen dadurch zu ihnen sprechen und sich als geliebter Verstorbener ausgeben. Wenn wir so etwas vermeiden können, indem wir den Klienten unsere Schamanin Naomi vorbeischicken, dann haben wir schon eine Menge getan.
Ich gehe noch die letzten Nachrichten durch, mache mir Notizen und verteile potenzielle Aufträge an meine Teammitglieder. Danach stecke ich die Zettel mit den Aufträgen in meine Tasche, lösche das Band des Anrufbeantworters und schalte ihn wieder ein, bevor ich mich auf dem Weg zum Booh , der Stammkneipe für Dienstleister der Parapsychologie, mache. Da dieser Ort für alle Teammitglieder wie ein zweites Zuhause ist, hinterlege ich dort die Zettel mit den Aufträgen in einem kleinen Körbchen auf der Ecke des Tresens. Jeder der kommt, wirft einen Blick hinein und schaut nach, ob ein spezieller Auftrag für ihn, oder ein freier Auftrag, den ich niemand speziellem zuordnen konnte, drin ist. Dieses System funktioniert recht gut, auch wenn Jason sein Möglichstes tut, dieses Zettelsystem zu digitalisieren. Doch so lange Jo, Berny und ein paar andere ältere Teammitglieder sich weigern, ein Smartphone zu nutzen, werden wir wohl bei dem Zettel-System bleiben.
Als ich gerade auf dem Rückweg bin, klingelt mein Handy. Ich fahre mit dem sperrigen Bulli rechts ran und nehme ab.
„Hey, Süße, ich bin´s. Störe ich gerade? Es dauert auch nicht lange“, beginnt die Stimme meiner besten Freundin Carmen zu plappern und ich kneife die Augen zusammen. Beinahe hätte ich vergessen, dass sie und ihr Freund, der gleichzeitig ihr Chef ist, heute Abend zu uns zum Essen eingeladen sind.
„Bill verträgt keine Nüsse, er hat eine Nussallergie. Ich weiß ja nicht was du kochen willst, aber es darf nichts mit Nüssen sein, weißt du? Erdnüsse sind am Schlimmsten, davon schwillt sein Gesicht richtig an und wird knallrot. Ich hab´s einmal miterlebt und das will ich wirklich nicht nochmal sehen. Es war widerlich!“
„Okay“, sage ich, doch sie redet schon weiter, über Walnüsse, Haselnüsse und Desserts mit Nusscreme.
„Selbst Eis mit Nüssen verträgt er nicht, obwohl ich ja bezweifle, dass da auch nur etwas anderes als Nussaroma drin ist. Ich meine, echte Nüsse sind bestimmt nicht im Eis. So wie Erdbeeren auch kaum im Erdbeerjoghurt zu finden sind, man muss sich ja nur mal die Zutaten auf der Rückseite durchlesen. Meistens steht da nur was von Aroma, aber nicht von Erdbeeren!“
„Ist Bill auch gegen Erdbeeren allergisch?“, hake ich ein wenig verwirrt nach und trommle mit den Fingern auf dem Lenkrad.
„Nein, nein, nur gegen Nüsse. Aber Nüsse in jeglicher Art und Form, weißt du?! Bill bat mich, dir das zu sagen, nicht dass du nachher so viel Mühe mit dem Kochen hast, und er es gar nicht essen darf. Das wäre ja auch wirklich schade. Er lässt dich im Übrigen schön grüßen und freut sich schon, dich und Chris heute Abend kennenzulernen“, säuselt sie übertrieben aufgeregt.
„Du hast ihm aber nichts von-“, beginne ich, doch sie antwortet bereits, bevor ich den Satz zu Ende sprechen kann.
„Nein, nein, natürlich nicht. Das würde er sowieso nicht verstehen. Ich meine, wer versteht das schon?“ Sie kichert kurz hysterisch. „Ich verstehe diese ganze Hexen-Sache ja selbst nicht! Also nein, ich habe ihm nichts davon erzählt, das ist auch nichts für ihn. Also, ich meine dieses ganze Esoterische, das ist nichts für ihn.“
Ich seufze. „Es hat nichts mit Esoterik zu tun, Carmen“, erkläre ich, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist. Aber ich mache ihr keinen Vorwurf. Wie soll sie die Tatsache, dass ich eine Druidenhexe und mein Freund ein Mannwolf ist, auch verstehen?
„Das weiß ich doch, aber es bleibt unser Geheimnis, ja? Wir sagen Bill nichts von dieser Hexensache, okay?“
„Nein, auf keinen Fall.“
Ich höre sie erleichtert seufzen. „Dann ist ja gut. Also, Süße, keine Nüsse. Dann bis später, ich freu mich schon!“
„Ich mich auch“, sage ich und versuche es auch so zu meinen. Dann legen wir auf. „Keine Nüsse und kein Hexenkram für Wilhelm “, sage ich zu mir selbst und spucke seinen wahren Namen förmlich aus. Er heißt Wilhelm, nennt sich aber Bill, weil das jugendlicher und frischer wirkt, sagt Carmen. Ich kenne ihn zwar nur aus Carmens Erzählungen, aber es fällt mir schwer, unvoreingenommen zu bleiben. Er betrügt seine Frau, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat, seit Jahren mit Carmen. Ihre Beziehung findet hauptsächlich bei der Arbeit statt, wo sie als seine Sekretärin fungiert. Dass sie sich mal außerhalb der Arbeit treffen, ist nur auf Geschäftsreisen möglich, oder wie jetzt, da seine Frau zur Kur ist. Aber Carmen liebt ihn und deswegen werde ich ihn heute Abend bei uns willkommen heißen, auch wenn ich eigentlich nur herausfinden will, was mit dem See hinter Chris´ Haus los ist.
Читать дальше