Und der Jungfernkranz, und die veilchenblaue Seide, und das Spiel mit Tanz und Lust und Liebesfreude werden bald von ihr übernommen; ihre Stimme hält und berichtigt die Melodie, die er verstümmelt. Sie ist musikalisch und apfelsüß. Ihre Beine, wie sie über seinem rührigen Schoß liegen, zucken ein wenig – er streichelt sie. Da liegt sie in die rechte Sofaecke gekuschelt, beinahe hingeräkelt – Lola, die Halbflügge, die ihre paradiesische Frucht verspeist, durch ihren Saft hindurchsingt, einen ihrer Pantoffel verliert, die Ferse ihres bloßen Fußes mit der heruntergerutschten Socke gegen den Stapel alter Illustrierter links von ihm auf dem Sofa reibt –, und jede ihrer Bewegungen, jedes Wenden und Biegen hilft ihm, das Geheimsystem der taktilen Übereinkunft zwischen der Schönen und dem Biest zu verbergen und zu verbessern – zwischen seinem geknebelten, berstenden Unhold und der Holdheit ihres Grübchenkörpers in seinem unschuldigen Kattunkleid.
Unter seinen huschenden Fingerspitzen fühlt er, wie der winzige Flaum an ihrem Schienbein sich ganz leicht sträubt. Er verliert sich in der glimmenden und doch gesunden Glut, die wie ein Sommerglast um die kleine Dolores hängt. Wenn sie doch bliebe, wenn sie nur bliebe … Als sie sich anhebt, um das Kerngehäuse ihres abgenagten Apfels in den Kamin zu werfen, schiebt sich ihr junges Gewicht, schamlose unschuldige Schenkel und rundes Hinterteil, in seinen gespannten, gequälten, heimlich arbeitenden Schoß; und plötzlich überkommt seine Sinne eine geheimnisvolle Wandlung. Er gelangt auf eine Seinsebene, wo nichts gilt außer dem Lustgebräu, das in seinem Körper gärt. Was als genussreiche Dehnung seiner innersten Wurzeln begann, wird zum glühenden Prickeln, das sich jetzt in einem Zustand absoluter Sicherheit, Zuversicht, Zuverlässigkeit befindet, der nirgends sonst im bewussten Leben zu finden ist. Nun, da die tiefe, heiße Süße gesichert und auf gutem Wege zur äußersten Verzückung ist, weiß er, dass er sich zurückhalten darf, um die Glut zu verlängern.
Mit einem überraschten Seitenblick stellt er fest, dass die beiden Damen, in ihre Moden vertieft, momentan ihren Tisch und offenbar auch das Zimmer verlassen haben, offenbar, um weiter ihrer Garderobe nachzuforschen, und er dankt seinem Schicksal dafür. Lolita ist ganz mit sich selbst beschäftigt. Die einverstandene Sonne pulst in den bereitgestellten Pappeln; sie sind wunderbar und himmlisch allein; er beobachtet sie – rosig, golden bestäubt – hinter dem Schleier seiner beherrschten Lust, die sie nicht wahrnimmt, die ihr fremd ist, und die Sonne liegt auf ihren Lippen, und ihre Lippen formen anscheinend noch immer die Worte ihres Wir-winden-dir-den-Jungfernkranz-wir-führen-dich-zu-Spiel-und-Tanz-Reimgeklingels, das sein Bewusstsein nicht mehr erreicht. Alles ist jetzt bereit. Die Nerven der Lust liegen blank. Die Krauzeschen Korpuskeln geraten in eine Phase der Raserei. Der geringste Druck würde genügen, das ganze Paradies zu entfesseln. Er hat aufgehört, Henri der Hund zu sein, der triefäugige, degenerierte Köter, der den Stiefel umklammert, welcher ihm gleich einen Tritt geben wird. Er ist dem Bereich des Lächerlichen entrückt, jenseits von Vergeltungsmöglichkeiten. In seinem selbstgeschaffenen Serail ist er ein strahlender, kraftstrotzender Türke, der, seiner Verfügungsgewalt voll bewusst, absichtlich den Augenblick hinausschiebt, in dem er die jüngste und zarteste seiner Sklavinnen genießen wird. Am Rande des Wollustabgrundes schwebend (dies Ausbalancieren eines physiologischen Gleichgewichts, das sich mit gewissen Kunsttechniken vergleichen lässt), echot er fortwährend Worte, die ihm der Zufall eingibt – winden dir, Jungfernkranz, Spiel und Tanz, veilchenblaue Seide, Lust und Liebesfreude –, wie jemand, der im Schlaf spricht und lacht, und dabei gleitet seine glückliche Hand, so hoch wie der letzte Schatten von Anstand es nur irgend zulässt, ihr sonniges Bein hinauf. Am Tage vorher hat sie sich in der Diele an der schweren Kommode gestoßen und „sieh doch nur!“ – keucht er, und die Damen sind noch immer aus dem Zimmer – „sieh nur, was du gemacht hast, was du dir da getan hast, ach, sieh doch nur!“; denn da ist, er schwört es, wirklich eine gelblich-violette Stelle auf ihrem holden Nymphchenschenkel, den die mächtige, behaarte Hand des Sultans massiert und langsam umfasst, und da sie nur sehr spärliche Unterkleidung trägt, scheint nichts seinen muskulösen Daumen daran zu hindern, die heiße Vertiefung ihrer Leiste zu erreichen – so wie man ein kicherndes Kind kitzelt und streichelt – nur so – und „sieh doch nur!“ – und: „ach, das ist gar nichts“, ruft sie mit plötzlich schriller Stimme, und sie windet und dreht sich und wirft den Kopf zurück, und ihre Zähne liegen auf ihrer glitzernden Unterlippe, als sie sich halb von ihm abkehrt, und sein stöhnender Mund erreicht fast ihren bloßen Nacken, während er die letzte Zuckung der längsten Ekstase, die Mensch oder Monstrum je erfahren hat, an ihrer linken Gesäßhälfte verebben lässt … –
Unmittelbar danach (als ob er mit ihr gerungen und sein Griff sich gerade gelockert hätte) rollt sie vom Sofa und springt auf die Füße – vielmehr auf ihren Fuß – und neugierig den beiden Damen entgegen, die gerade mit den Schuhkartons, die Morelle mit dabei hat, auf dem Arm ins Zimmer kommen. Da steht sie und blinzelt mit heißen Wangen und verwildertem Haar, und während sie zuhört oder spricht, gleitet ihr Blick so flüchtig über ihn hin wie über die Möbel, und sie klopft die ganze Zeit mit dem Pantoffel, den sie in der Hand hält, gegen die Tischkante. Gelobt sei Gott – denkt er –, sie hat nichts gemerkt!
Mit einem buntfarbigen seidenen Taschentuch, auf dem ihre Augen im Lauschen flüchtig ruhen, wischt er sich den Schweiß von der Stirn und ordnet, in eine erlöste Euphorie versunken, seine königlichen Gewänder. Sie steht noch am Tisch, quengelt mit ihrer Mutter herum, als er, lauter und lauter singend, und en passant – in Angst, sie könnten den Lustschweiß unter seinen Achseln riechen – nach der Toilette fragend, die Treppe hinauffliegt und die Tür hinter sich schließt. Mit Toilettenpapier wischt er sich die Spuren seines Abenteuers vom Leib … –
Ich entnahm diese für das Liebesleben der Erotiker aller Zeiten typische Stelle Wladimir Nabokovs Roman Lolita , der im Amerika seiner Zeit des Pornografieparagraphen wegen verboten war und nur unter dem Ladentisch gehandelt werden durfte. Der Fortgang der Geschichte ist dort nachzulesen. Das Lolita-Syndrom ist Henri so vertraut wie irgendeinem. Lolita ist wie Lottchen von der Landwehr, oder eine säkularisierte Form von Dina, der Sichem verfiel. Die Parthenophilie ist das erotisch-sexuelle Interesse Erwachsener an pubertären Mädchen. Aus sexualwissenschaftlicher Sicht ist diese Neigung nicht mit Pädophilie zu verwechseln, bei der das begehrte Objekt noch im präpubertären Stadium ist. Da die Pubertät aber gerade die Geschlechtsreifung bedeutet, ist nichts natürlicher, sozusagen fast tautologisch, dass das sexuelle Interesse des Mannes darauf abfährt. Im Gegensatz zur Pädophilie ist die Parthenophilie „eine sexualbiologisch erwartbare Reaktion“ und „kann nicht als Störung der sexuellen Präferenz kategorisiert werden“. Da das Sexualstrafrecht der zivilisierten Staaten, aus sozusagen kulturellen Rücksichten, den sexuellen Kontakt Erwachsener mit Unter-Sechzehnjährigen verbietet, steht das Gesetz hier sozusagen um circa drei bis vier Jahre im Gegensatz zur natürlichen Ordnung der Dinge (die womöglich aber wie immer nur eine natürliche Unordnung ist).
Indes: Ein normaler Mann, dem man ein Gruppenbild von Schulmädchen oder Pfadfinderinnen mit der Aufforderung zeigt, er solle die Reizvollste aussuchen, wird nicht unbedingt das Nymphchen unter ihnen wählen. Man muss ein Künstler sein, und ein Wahnsinniger obendrein, ein tiefmelancholisches Geschöpf, dem das heiße Gift in den Lenden kocht und eine Wollustflamme unablässig in der elastischen Wirbelsäule lodert (ach, wie sehr man sich zu ducken und zu verkriechen hat!), um sofort, durch untrügliche Anzeichen – die leichtgeschwungene Raubtierkontur eines Backenknochens, den Flaum an schlanken Gliedern und andere Merkmale, die auszuplaudern mir Verzweiflung, Scham und Tränen der Zärtlichkeit verbieten – den tödlichen kleinen Dämon unter den gewöhnlichen Kindern herauszuerkennen … Da steht sie, von ihnen unerkannt und ihrer phantastischen Macht selbst nicht bewusst.
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