„Was ist eine schreckliche Vorstellung?“, hörte sie hinter sich die bekannte Stimme ihres Mannes, leidend, leidenschaftslos, fad. Sie erschrak, weil er in ihrem Schlafzimmer stand, das kam schon lange nicht mehr vor. „Er will doch nicht etwa?“…Weiter kam sie nicht. „Wo hast du die heutige Tageszeitung gelassen?“, fragte er besorgt, weil er offensichtlich der Meinung war, sie sei nicht gekommen.
„Im Kühlschrank“, erwiderte sie. „Im Kühlschrank?“, wiederholte er irritiert. „Was tut eine Zeitung denn im Kühlschrank?“.
„Sie kühlt sich ab, was macht denn ein Kühlschrank? Er kühlt“. Warum muss eine Zeitung gekühlt sein?“, fragte er verstört. Sekundenlang war Schweigen angesagt. Sie hatte tatsächlich die Zeitung im Kühlschrank versteckt, weil es einfach ein gutes Versteck war. Wer sucht denn eine Zeitung im Kühlschrank?
„Warum nicht im Kühlschrank“, antwortete sie gelangweilt und musste sich umdrehen, damit Ludwig nicht sah, wie es sie vor Lachen durchschüttelte.
„Bist du denn bereits auf dem Wege zur Demenz?“, fragte ihr Mann beinahe besorgt.
„Das wäre gar nicht gut, Brigitte, du musst zum Arzt, wenn du öfter solche Anwandlungen hast. Außerdem antwortet man auf eine Frage nicht mit einer Gegenfrage, noch dazu auf diese“. Verunsichert legte er ihr noch einmal den Gang zu einem Arzt ans Herz.
„Arzt“…das war für sie das Stichwort. „Ich gehe ein paar Tage ins Krankenhaus und lasse mich durchchecken. In dieser Zeit bitte ich Waltraud, auf Ludwig aufzupassen“.
Ihren Mund umspielte ein spöttisches Lächeln. Die Idee mit Zeitung und Kühlschrank war allerdings gar nicht so schlecht. „Aufpassen“, das hört sich beinahe an, als müsste Waltraud Babysitten. Jetzt lachte sie sogar über ihre Gedankengänge.
Ludwig war jetzt zerknirscht, er sah Brigitte bereits im Gitterbett, wie sie vor sich hin dämmerte.
„Jedoch bis es so weit ist mit dem Gitterbett, komme ich noch zum Handkuss“. Er fuhr sich mit seiner Rechten durch sein dünn gewordenes braunes Haar, so dass sich unbewusst ein paar Strähnen hochstellten und er aussah wie einer der Gebrüder Max oder Moritz. Das wiederum veranlasste Brigitte zu einem Lachanfall.
Er überkam sie so plötzlich, wie ihr Mann so jäh vor ihr stand. Sie konnte sich nicht beherrschen. Der Anblick war zu komisch.
„Brigitte“, schrie jetzt Ludwig nicht nur besorgt, sondern ziemlich erzürnt. „Brigitte, was ist denn los mit dir? Du machst mir Angst und bange. Solche Anwandlungen kenne ich nicht von dir. Das ist ganz und gar nicht lustig. Also bitte hör auf mit dem Theater, sonst …“
„Was sonst?“, konterte Brigitte und ihr Lachen war zu einem Grunzen geworden.
„Willst du mir etwa drohen?“ Sie wandte sich zu ihrem Schminktisch um, begann etwas zu suchen, das es nicht gab, nur um ihn aus dem Zimmer zu kriegen. „Es ist alles mit mir in Ordnung, ich musste nur an die eingekühlte Zeitung denken“ und neuerlich bekam sie einen Lachanfall, dass ihr das Adressbuch aus der Hand zu Boden fiel. „Eine eingekühlte Zeitung dient dazu, die hitzigen Beiträge für die Leser nicht zu heiß werden zu lassen“, erklärte sie unter einem neuerlichen Lachanfall, weil diese Begründung so gut zu ihrem cholerischen Mann passte.
Jetzt musste sogar Ludwig lachen, was in letzter Zeit sehr selten vorkam, so spaßbefreit wie er sich seit Monaten gab. Sein Bauch, durch das Nichtstun zu einer ordentlichen Kuhle geworden, schwabberte dabei auf und ab. Lachend drehte er sich um und verließ das Zimmer.
„Wenigstens ist seine Laune wieder passabler, und ich muss mir nicht mein Date mit Paolo abschminken. Und Waltraud habe ich gefunden. Ein richtiger Glückstag für mich.“ Sie schmiedete bereits Pläne, wie sie im Haus alleine wohnte, während ihr Göttergatte mit seiner Göttin Hestia in deren Wohnung lebte. „Sie wird ihn richtiggehend einkochen“, lächelte sie bei dem Gedanken. Von Kochen hielt Brigitte schon ursprünglich nie sehr viel, manches Mal hatte sie sich dieser Kunst hingegeben, erfolglos, wie sie selbst zugab. Mit der Zeit erarbeitete sie sich auch hier einige Lorbeeren, weil Ludwig darauf bestand, seine Firmengäste zu Hause zu hoffieren.
„Dieses Kohlgemüse einst hatte es in sich“, wieder lachte sie laut auf, als sie sich in diese Erinnerung begab.
Ludwig liebt Kohl, vor allem wenn ein schönes Stück Fleisch dazu serviert wird.
Damals war ihre Ehe noch so halbwegs in Ordnung, obwohl die Tendenz zu deren Ende bereits an manchen Tagen spürbar war. Sie wollte ihm eine Freude bereiten und ihm nach seiner anstrengenden Arbeit etwas Gutes zum Essen bereiten, damit sie nicht noch ein Restaurant aufsuchen mussten.
Genau nach Rezept ihrer Mutter begann sie mit den Vorbereitungen. „Ist eh ganz einfach, die Kocherei“, murmelte sie vor sich hin, während das Gemüse vor sich hin köchelte.
„Jetzt noch die Einbrenn, alsdann müsste es hinhauen“, dachte sie und nahm einen Löffel, um zu kosten.
„Oh mein Gott“, schrie sie, das ist so was von versalzen, da ist mir glatt das Salzfass in die Brühe gerutscht. Macht nichts, Mutter sagte einmal, wenn etwas versalzen ist, kann man unter Umständen mit Essig retten.“
Rasch suchte sie nach dem Essig. Zum Glück wurde sie fündig, denn ihr Haushalt war kein richtiger Haushalt im Sinne einer ordentlichen Hausfrau. Sie leerte eine große Portion hinein, danach machte sie sich an die Einbrenn.
Als diese nach ihren Vorstellungen die Farbe hatte, die sie haben musste, rührte sie die Einmach in den Kohl und rührte, wie sie es von Mutter wusste, gut durch, damit keine Klumpen entstehen konnten. Damit hatte sie sich allerdings verschätzt, denn das ganze Kunstwerk wurde zu einem Klumpen. Ein dicker Knödel tat sich vor ihren Augen auf.
„Offensichtlich habe ich zu viel von diesem Mehlpapp gemacht“, tröstete sie sich, wegen diesem Fauxpas. Werde ich halt mit Wasser aufgießen, dass der Knödel zu einem Brei wird. Ist nicht so schlecht wegen dem vielen Salz, wenn Wasser hinzu kommt. Dann haben wir noch länger davon, friere was ein, und Ludwig freut sich, wenn er noch einmal Kohl kriegt.“
Der Knödel wurde tatsächlich zu einem dicken Brei, einem richtigen Mehlpapp, vom Kohl war nicht mehr viel zu sehen, aber das abgebratene Fleisch dazu würde dem Gericht sicherlich die nötige Note verleihen. „Vier Hauben werde ich dafür nicht kriegen, es reicht auch eine“, bemerkte sie zu ihrer Zufriedenheit.
Liebevoll richtete sie Ludwig einen Teller voll mit dem Kohlgemüse, bzw. Mehlpapp an. Ludwig sah etwas irritiert auf seinen Teller, wollte allerdings die Arbeit seiner Frau noch mit keinem Wort herabwürdigen.
„Das schmeckt ... Brigitte hing an seinen Lippen. „Das…“ er hustete, schluckte, „da hast du … verschluckte sich und rang nach Luft … wohl Seife mitgekocht, Lavendel oder Rose, welche hast du denn erwischt?“, stotterte Ludwig als er wieder zu Atem kam und versuchte den Brei runter zu würgen.
„Weder noch, sondern Tannenwipfelseife“, erwiderte Brigitte zornig, wandte sich um und verließ den Raum. Damit hatte sie gleichzeitig die Kunst des Kochens beendet.
Mit Tannenwipfelseife im Kohlgemüse kann man nicht reüssieren.
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