Petra Hillebrand
Kurzgeschichten und Impulstexte für Abschied, Tod und Trauer
Mit Zeichnungen der Autorin
Du DU wer dich gekannt weiß was uns fehlt wer dich geliebt spürt was uns hält
Reise über den Horizont
Sehnsucht nach mehr
Danke, Opa!
Die Gipfelstürmer
Beim Namen gerufen
Die Frage
Vom Sterben
Tunnel ins Licht
Bunte Erinnerungen
Der Baum und das Blatt
Weg zu dir
Letztes Frühstück zu zweit
Worte an dich
Von Sonne, Mond und Sternen
Heller als die Sonne
Bis zum Ende des Regenbogens und wieder zurück
Brücke ins Paradies
Die Siegerin
Nach Hause
Von der Hoffnung der Seidenraupen
Warum
Abschiedsworte im Herbst
Der Ahornbaum
Du fehlst uns
Irgendwann vielleicht
Der Atheist
Alles und nichts
Schlafes Bruder
Die Filzkugel
Für dich
An der Schwelle des Lebens
Was uns erdet
Abschied von Lucie
Wenigstens ein bisschen
Das Apfelbäumchen
Noch ehe du kamst
Für immer in unseren Herzen
Die Suche nach dem glücklichsten Menschen
Erfüllung
Trauerwolken
Danke, Papa!
Wider die Angst
Danke, Oma!
Engelsflügel
Leb wohl, kleiner Engel
Fluchtende
Windzeichen
Als du gingst
Sternengeflüster
wer dich gekannt
weiß
was uns fehlt
wer dich geliebt
spürt
was uns hält
Ein Fischer spürte, dass sein Leben langsam mühsam wurde. Bisher war er täglich mit seinem Boot hinausgefahren, um die Netze auszuwerfen. Nun, da er alt und müde geworden war, beschloss er, sein Boot mitsamt der Fischereilizenz seiner Tochter zu übertragen.
Er räumte sein Haus auf und brachte auch den Garten auf Vordermann. Als er alles erledigt hatte, begann er sich zu verabschieden.
Besonders schwer fiel ihm der Abschied von seinen Enkelkindern. Ihnen ging es ebenso, denn sie liebten ihren Opa über alles. Außerdem waren sie sehr klug und bedrängten ihn mit Fragen.
„Opa“, fragte die Enkeltochter, „wenn du stirbst, wirst du dann wirklich nichts mehr sagen können?“
„So ist es“, antwortete der Fischer. „Das ist auch der Grund, warum es mir so wichtig ist, jetzt mit euch zu reden. Ihr könnt mir Fragen stellen, so viele ihr wollt. Ich werde versuchen, auf jede eine Antwort zu finden.“
Sein Enkelsohn zupfte ihn am Ärmel. „Wenn du dich nach deinem Tod nicht mehr bemerkbar machen kannst, wie sollen wir dann wissen, dass du noch in unserer Nähe bist?“
Der Fischer nahm seine Enkel und ging mit ihnen zum Strand. „Ihr werdet mich spüren. Hört ihr die Wellen? Sie kommen und gehen und sind stets in Bewegung. Fühlt ihr den Wind auf eurer Haut? Er streicht über euch hinweg, begibt sich auf eine weite Reise und ist trotzdem da. Riecht ihr die Meeresbrise, die mit Salz, Tang und Fischen gewürzt ist? Wenn ihr am Strand die Augen schließt, werdet ihr sie einatmen. Und wenn ihr dabei an mich denkt, wird es euch vorkommen, als stünde ich direkt neben euch.“
Seine Enkeltochter hatte noch eine wichtige Frage an ihn. „Das mit dem Leben nach dem Tod, Opa, – wie sollen wir uns das vorstellen?“
Der Fischer sah lange aufs Meer hinaus. Plötzlich erhellte sich sein Gesicht und er zeigte nach vorn.
„Seht ihr das Schiff, das dort fährt? Bald wird es hinter dem Horizont verschwinden. Und trotzdem wird es weiterfahren. Nur eben auf einem Teil des Meeres, den wir nicht einsehen können. So ähnlich könnt ihr euch das mit dem Weiterleben nach dem Tod vorstellen. Wenn jemand stirbt, geht er über den Horizont hinaus, aber niemals für immer fort. Er bleibt in der Nähe seiner Lieben, ist für diese aber nicht mehr sichtbar.“
„Wirst du das Meer dann noch spüren können?“, fragte der Enkelsohn.
Da lächelte sein Opa, denn das war eine Frage, die er sich auch schon gestellt hatte.
„Die Wellen werden mich tragen. Der Wind wird mich streicheln und mir das Gefühl geben, frei wie eine Möwe zu sein. Und mir wird alles sehr vertraut vorkommen. Denn das Leben ist wie das Meer. Es besteht aus unzähligen kleinen Teilen, die zusammenfließen. Und das, was am Ende dabei herauskommt, ist so gewaltig, dass es weit über den Horizont hinausreicht.“
am Anfang
die Luft zum Atmen
ein und aus
wie Ebbe
und Flut
am Ende
mit einem Seufzen
der Tod
dazwischen
ein Sprudeln
wellenschlagend
bis zum Horizont
das Leben
und tief in uns
die Sehnsucht
nach mehr
Danke, Opa,
…dass du für mich da warst und mir immer das Gefühl gegeben hast, in deinem Haus willkommen zu sein,
…dass du in mir die Begeisterung fürs Schwammerlsuchen geweckt hast,
…dass du an einen Gott geglaubt hast, dessen unerschütterliche Liebe alle Menschen miteinander verbindet, und dass du mir immer wieder davon erzählt hast,
…dass du so vieles für mich repariert hast. Das hat mir gezeigt, dass es für fast alles eine Lösung gibt, selbst dann, wenn es erst gar nicht so aussieht.
Danke, Opa,
…dass ich mich in deiner Nähe so wichtig fühlen durfte,
…dass du mit mir gelacht und das Leben genossen hast,
…dass du versucht hast, mir alle Warum-Fragen zu beantworten, und ehrlich zugegeben hast, wenn dir auf eine besonders knifflige Frage keine Antwort einfiel.
Ganz besonders bedanken möchte ich mich aber für deine große Liebe, die mich immer auf meinem Weg begleiten wird.
Was müsste an diesem Text geändert werden, damit er Ihrem Großvater entspricht? Wofür möchten Sie Ihrem Opa Danke sagen?
Einst lebte am Fuße eines hohen Berges eine weise, alte Frau. Sie war gastfreundlich und hatte für alle ein offenes Ohr.
Es hatte sich herumgesprochen, dass sie nicht nur gut zuhören, sondern auch interessante Geschichten erzählen konnte. Viele kamen, um sich von ihren Erzählungen inspirieren zu lassen, und klopften an die Hüttentür. Manchmal mussten sie sich auf die Holzbank vor der Hütte setzen und warten, denn die alte Frau war oft schon früh am Morgen unterwegs zum Gipfel. Wenn sie dann wiederkam, war sie gut gelaunt und hatte für alle eine stärkende Jause parat.
Nach der Stärkung in der Hütte schulterten die Gipfelstürmer ihren Rucksack und wanderten los. Sie hatten viele Möglichkeiten, den Berg zu besteigen, und mussten sich für eine Variante entscheiden. Manche Wege waren steil, andere boten angenehme Rastplätze oder atemberaubende Ausblicke. Es gab moosbewachsene Pfade unter Bäumen und Wege, die über sonnenbeschienene Almwiesen führten. Manchmal waren auch Hindernisse wie reißende Bäche oder tiefe Schluchten zu überwinden. Alle, die unterwegs zum Gipfel waren, mussten ihrem Instinkt folgen. Denn Wegweiser gab es keine.
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