„Ich bin ja nicht allein gegangen. Immerhin hat mich Bruder Anselm begleitet“, verteidigte sich Matilda.
Rudger lächelte. „Genau das habe ich Vater auch gesagt. Er war jedoch der Meinung, dass unser lieber Anselm...“ Er hielt inne und zwinkerte seinem Freund zu.
„Was soll das heißen?“, ereiferte der junge Ordensmönch sich, der bis jetzt still neben Wito gestanden hatte. „Glaubt er, dass ich nicht in der Lage bin, einer hohen Frau Beistand zu leisten, wenn es von Nöten ist?“
„Nun, ich hätte schon auf dich aufgepasst“, hänselte Rudgers Mutter ihn. Doch das schelmische Lächeln in ihren Augen zeigte Anselm, dass sie es im Spaß meinte. Der junge Mönch mochte zwar von schmächtiger Statur sein, doch war er kein Schwächling, denn der tägliche Umgang mit häuslichem Gerät in Hof und Garten des Ordenshauses hatten seine Muskeln durchaus gestärkt. Und einen Stock wusste er trefflich zu schwingen, denn das hatte ihm Rudger beigebracht, so dass er einen Angreifer ohne weiteres in die Flucht schlagen könnte.
„Und was willst du hier, Anselm?“, fragte Rudger ernsthaft.
„Ich werde nicht in Ywen bleiben, Rudger“, begann der Mönch. „Warte.“ Beschwichtigend hob er die Hände, als der junge Ritter ihn mit einem fassungslosen Ausdruck auf dem Gesicht unterbrechen wollte.
„Ich habe es mir genau überlegt. Als ich mit unserem Ordensmeister Friedrich und den anderen Ritterbrüdern dort unten im Verlies des Erzbischofs saß, hatte ich mit Gott und der Welt bereits abgeschlossen. Unsere wundersame Rettung aber gab mir meinen Glauben zurück. Und so habe ich geschworen, mein Leben als Mönch weiterzuführen, in den Reihen des Deutschen Ordens. Ich wollte Pater Wito um Vermittlung bitten, dass er für mich einen Platz im Kloster in Zschillen aushandeln kann, da er selbst von dort hierhergekommen ist.“
Rudger blickte fragend zu Wito. Er wusste zwar, dass dieser eigentlich ein Augustinermönch war, jedoch nicht, dass er aus Zschillen kam „Ich habe Bruder Anselm das Angebot gemacht, mich für ihn zu verwenden“, sagte dieser.
Ihre Kirche in Ywen errichteten die Siedler einst selbst. Da die Bauern nicht ohne geistlichen Beistand sein wollten, baten sie ihren Grundherrn, sich an den Bischof von Meißen zu wenden. Dieser verfügte, dass Mönche aus dem Kloster Zschillen diesen Dienst mit versahen. Aber die Pfarrer von Ywen wechselten oft. Als Zschillen in den Besitz des Deutschen Ordens überging, spendete der den Bauern einen Schrein mit der Heiligen Ursula und fortan stand ihre Kirche unter dem Schutz dieser Märtyrerin, ohne ihr jemals geweiht worden zu sein.
„Ach. Und wann hast du beschlossen, aus Ywen wegzugehen? Oder besser, wann wolltest du es mir sagen?“, fragte Rudger und schaute Anselm herausfordernd an. Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. „Wir sind doch gerade erst hier angekommen.“
„Mein Entschluss stand bereits am ersten Abend fest, als ich gesehen habe, wie viele Mäuler hier zu stopfen sind und deiner Mutter die Sorge ins Gesicht geschrieben stand, wie sie die vielen neuen Esser satt kriegen soll.“
Rudger schaut nun erstaunt zu seiner Mutter. „Und da habt Ihr es nicht als notwendig erachtet, mit mir selbst zu sprechen? Denn letztendlich bin ich es gewesen, der alle hierhergebracht hat.“
„Rudger“, verteidigte sich Matilda. „Ich wollte dich nicht kränken mit meiner Sorge. Irgendwie werden wir es schon schaffen. Das Wichtigste für mich ist doch, dass du am Leben bist. Aber Anselm hat mich heute am frühen Morgen gefragt, ob ich jemanden wüsste, der ihn nach Zschillen bringen kann. Ich fragte ihn, warum? Doch er sagte nur, er möchte Mönch bleiben und in den Deutschherrenorden eintreten. Ich versprach ihm, mit Vater Wito zu sprechen, da dieser aus Zschillen zu uns gekommen ist. Doch habe ich jetzt erst Zeit gefunden und Anselm gleich mitgenommen.“
Resigniert ließ Rudger die Schultern nach unten sinken. Er nickte langsam mit dem Kopf. Er war traurig und fragte sich, warum Anselm ihm seinen Entschluss nicht selbst mitgeteilt hatte.
„Nun, wenn ihr alles besprochen habt, können wir uns ja jetzt auf den Rückweg machen. Es schneit immer heftiger, und auch wenn es nur ein kurzes Stück ist. Der Pfad führt am Mühlgraben vorbei und ich habe wahrlich keine Lust, in das eisige Wasser zu geraten, nur weil der Weg nicht mehr zu erkennen ist.“ Dann schaute er Anselm mit ausdruckslosem Gesicht an. „Wann willst du aufbrechen, Anselm?“, fragte er tonlos.
„Ich werde erst abwarten, wie die Antwort aus Zschillen ausfällt. Und jetzt im Winter, wo die Straßen schlecht passierbar sind, könnte das einige Zeit in Anspruch nehmen.“ Ein zaghaftes, entschuldigendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
„Dann ist ja alles gesagt“, meinte Rudger und wandte sich zum Gehen. „Kommt Ihr, Mutter“, bedeutete er, ohne sich umzuwenden. Ob Anselm ihm folgte oder hier bei Pater Wito blieb, war ihm im Moment herzlich egal.
Doch Anselm entschied sich, mit zum Gutshof zurückzugehen. Der Pater besaß noch weniger Vorräte als der Gutsherr selbst, denn er war von der Gnade der Bauern hier abhängig, die im Gegenzug für seine Seelsorge für seinen Unterhalt zu sorgen hatten.
Den Heimweg legten sie schweigend zurück. Es dauerte nur wenige Minuten und sie erreichten den Gutshof. Der Torwächter schloss ihnen die kleine Tür auf und wünschte ihnen eine gute Nacht. Er würde hier noch ein paar Stunden ausharren, bevor ein Kamerad kam, um ihn abzulösen. Die Zeiten waren im Moment relativ friedlich. Kriegshandlungen gab es hier schon seit langer Zeit nicht mehr und es war deshalb recht unwahrscheinlich, dass jemand das Anwesen überfallen würde. Doch auf Grund der Tatsache, dass es keine Zugbrücke gab, ließ Ulrich das Tor Tag und Nacht bewachen.
Vor der Tür nahmen sie ihre Umhänge ab und schüttelten sie aus. Sie würden sie über Nacht in der Halle zum Trocknen ausbreiten müssen.
Ulrich erwartete sie bereits und seine Miene drückte seinen Unmut darüber aus, dass Matilda nach dem Dunkelwerden den Hof verlassen hatte. Schon wollte er sie deshalb zur Rede stellen, da fiel ihm die starre Miene seines Sohnes auf. Verwundert schaute er ihn fragend an. Rudgers Freunde saßen zusammen mit den vier Waffenknechten von Ywen an der Tafel in der Nähe des Kamins. Um die Kälte aus der Halle fernzuhalten, hatte Ulrich zwei Holzkohlebecken im Raum aufstellen lassen. Der beißende Rauch zog sich in Schwaden an die Decke, wo er wabernd zum Stillstand kam. Rudger, der beileibe nicht verwöhnt war in der Wahl seiner Wohnstätten, tränten die Augen.
„Wollt Ihr uns alle umbringen, Vater?“, schnauzte er. „Der Dunst hier drin haut den stärksten Mann um.“
„Nun übertreibe mal nicht“, konterte Ulrich. „Sag mir lieber, was dich so verärgert, dass du ein Gesicht machst, als wäre der Satan hinter uns her.“
„Vielleicht ist der Antichrist ja wirklich unter uns“, antwortete Rudger bissig und schaute in Anselms Richtung.
„Jetzt überspannst du aber den Bogen“, sagte Endres, der bislang noch kein Wort gesagt hatte, tadelnd. Ihm erschien der Entschluss Anselms ja auch etwas überstürzt. Aber der Junge war kein Krieger. Was sollte er auch anderes tun, als wieder in ein Kloster zu gehen? Und eigentlich war sein uneigennütziger Entschluss, der Familie Ulrichs nicht weiter zur Last zu fallen, doch recht lobenswert. Nun ja, Rudger war halt etwas empfindlich, weil ihn Anselm nicht vorher um seine Meinung gefragt hatte. Aber das rechtfertigte nicht seine schlechte Laune. „Du tust unserem jungen Bruder mit solcherlei Gerede zutiefst unrecht.“ Damit ließ er seinen Freund einfach stehen.
„Du versündigst dich, Rudger“, mahnte ihn auch seine Mutter. „Was ist nur in dich gefahren?“ Nachdenklich ließ sie ihren Blick auf ihrem Sohn ruhen. Rudger schaute trotzig wie ein Knabe zu Boden. „Komm Anselm“, fuhr sie an den Mönch gewandt fort. „Setz dich zu uns ans Feuer. Gerlis wird uns einen gewürzten Wein bringen, damit wir uns aufwärmen können. Es war recht kalt draußen.“ Sie winkte der Magd zu, die mit einer Handarbeit am Ende des Tisches saß.
Читать дальше