„Was uns letztendlich auch zum Verhängnis geworden ist“, knurrte Rudger verärgert.
„Nur, dass der Orden keine unermesslichen Reichtümer angehäuft hat, wie es die meisten vermuten. Wir haben immer alles in unsere Unternehmungen gesteckt. Und nicht zuletzt der Papst und die Herrscher des Abendlandes haben davon profitiert“, verteidigte sich Gero.
„Was euch allerdings auch nichts genützt hat, mein lieber Gero“, meinte Waldemar lapidar.
In der Zwischenzeit waren sie am Bischofpalast angekommen. Rudger hatte schon davon gehört, dass ein Amtsvorgänger Alberts während des vierten Kreuzzuges vor über einhundert Jahren bei der Plünderung Konstantinopels große Reichtümer ergattert hatte und sie nach Halberstadt bringen ließ. Der Schatz, welcher in den Tiefen des Doms lagerte, sollte den Gerüchten nach unermesslich sein, was Rudger angesichts der prächtigen Steinmetzarbeiten und der vielen wunderbaren Glasfenster am Dom, die die Geschichte der Bibel nachzeichneten, ohne weiteres glauben mochte.
Im Hofe des Palastes trennten sie sich von Waldemar. Meister Gero und seine Brüder erhielten in einem Nebengebäude ein Quartier zugewiesen. Waldemar wollte sich mit dem Bischof und einigen Abgesandten der Fürsten treffen und sie später über den Ausgang der Gespräche informieren.
„Was hast du Rudger?“, fragte Endres seinen Freund. „Du starrst seit einer Ewigkeit auf die Tür zum Audienzsaal. Ganz so als würdest du sie durch pure Willenskraft zwingen wollen, aufzugehen.“
Rudger atmete tief durch. Seit Stunden standen sie hier vor der Tür zu den Räumen des Erzbischofs. Am frühen Vormittag waren Markgraf Waldemar und Fürst Albert von Brandenburg zu Burchard gegangen, um mit ihm über die Bedingungen einer Freilassung Friedrichs von Alvensleben und seiner Mitgefangenen zu verhandeln. Nun war es bereits Nachmittag und noch immer hatte sich keiner blicken lassen.
Dann endlich waren hinter der Tür zum Audienzsaal Stimmen zu hören. Rudger und Endres gesellten sich zu Meister Gero, Jorge und Valten, die auf einer Bank unter einem der großen bleiverglasten Fenster saßen. Der Komtur erhob sich etwas umständlich. Die letzten Monate hatten an seiner Kraft gezehrt. Doch gab er sich noch lange nicht geschlagen und seine Miene zeigte eine tiefe Entschlossenheit.
„Nun denn“, begann er. „Wollen wir beten, dass, wenn jetzt diese Tür aufgeht, Friedrich von Alvensleben erscheinen wird.“ Hoffnungsvoll schweifte sein Blick zum Eingang des Audienzsaales. Dennoch spürten die jungen Templer das Gefühl der Unsicherheit, das von Gero ausging.
Die Flügel der Tür schwangen auf. Der Erzbischof von Magdeburg trat mit versteinerter Miene heraus, dicht gefolgt von Albert und Waldemar, auf deren Gesichtern ein zufriedener Ausdruck lag.
„Wo ist Friedrich?“, fragte Endres. „Sie werden doch nicht etwa gescheitert sein?“
„Schau dir Waldemar an. Er grinst wie eine Katze, die den Sahnetopf entdeckt hat. Bestimmt ist er frei“, gab Rudger zurück.
Burchard blieb stehen und winkte einen seiner Ritter, die vor der Tür Stellung bezogen hatten, zu sich heran. Flüsternd redete er eine Weile auf den Mann ein, dessen Miene Verwunderung ausdrückte. Dann verbeugte dieser sich und eilte durch eine kleine Seitentür aus dem Saal. Burchard nickte den Fürsten kurz zu, dann verschwand er wieder und die Tür zum Audienzraum schloss sich hinter ihm.
Mit großen Schritten kam Waldemar auf sie zu. Ein breites Lächeln zeigte sich jetzt offen auf seinem Gesicht. „Wir haben ihn!“, rief der Markgraf von Brandenburg voller Überschwang. „Friedrich wird in diesem Moment freigelassen. Und mit ihm alle Ordensbrüder, die seit dem Frühjahr verhaftet worden sind.“
Teil 2
YWEN
Ywen
Dezember 1308
Der Schnee türmte sich fast meterhoch im Hof des Anwesens. In diesem Jahr hatte es einen zeitigen Wintereinbruch gegeben und seit Tagen herrschten Minusgrade. Es würde ein schwerer Winter werden, denn ein kalter Sommer und ein verregneter Herbst hatten die Ernte schlecht ausfallen lassen und die Scheunen nur halb gefüllt.
Heske saß in der Halle des Gutshauses an ihrem Spinnrad vor dem Kamin und summte leise vor sich hin. Zu ihren Füßen spielte ihr jüngerer Bruder mit seinen hölzernen Rittern, die ihm der Großknecht Hannes an den langen Herbstabenden geschnitzt hatte. Sie sahen allesamt verdächtig wie Tempelritter aus. Zwei hohe Kerzenleuchter neben ihrem Sessel verbreiteten mit ihrem sanften Licht eine gewisse Behaglichkeit.
Als lautes Rufen und Gelächter im Hof zu hören waren, huschte ein Lächeln über Heskes Gesicht. Gleich würde die Tür aufgehen und ihr Bruder mit seinen Freunden hereingepoltert kommen.
Ihre Gedanken schweiften zurück. Rudger war vor einigen Tagen mit vier anderen Männern hier in Ywen erschienen, drei Rittern und einem jungen Mönch. Die Familie Ulrichs von Ywen hatte sich gerade um den Kamin versammelt, die Mägde und Knechte waren bereits auf ihre Lager im hinteren Teil der Halle gekrochen, als jemand so heftig unten an der Wehrmauer gegen das Tor schlug, dass sie selbst hier in der Halle es wahrgenommen hatten. Ulrich von Ywen war mit gezogenem Schwert hinausgeeilt, begleitet von seinen Waffenknechten, in der Annahme, dass Räuber das Anwesen überfallen wollten. Sein ältester Sohn Arnald, der sie alle hätte beschützen können, war seit Wochen nicht zu Hause. Er trieb sich mit Heinrich von Schellenbergs Erben Hencke herum. Wahrscheinlich waren sie irgendwo oben im Gebirge, wo der Schellenberger Spross eine Burg besitzen musste.
Als nach einer ganzen Weile keiner zurückkehrte, machten sich die Frauen Sorgen und schlichen sich leise zur Tür. Doch staunten sie nicht schlecht, als im Hof eine Gruppe Männer mit ihren Pferden stand, die von ihrem Vater aufs herzlichste begrüßt wurde. Scheu betrachtete Heske die Ankömmlinge, die allesamt von hohem Wuchs waren und deren Rösser größer zu sein schienen, als die, die im Stall ihres Vaters standen. Mit einem Schrei war Heskes Mutter Matilda auf die Ritter zugerannt und hatte den größten unter ihnen in ihre Arme gerissen. Der Mann ließ die stürmische Begrüßung ohne Gegenwehr über sich ergehen und küsste Matilda auf die Wangen. Dann fiel es Heske wie Schuppen von den Augen und sie erkannte ihren Bruder, den sie seit über fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Rudger stellte ihnen seine Begleiter vor, drei seiner Ritterbrüder und Bruder Anselm, einen Ordensmönch aus Wichmannsdorf.
Natürlich hatten sie hier auf Ywen von den Ereignissen gehört, die das Abendland erschütterten. Ihr Vater lag mit dem obersten Richter des Pleißenlandes, Heinrich von Schellenberg, in Korrespondenz. Dieser hielt ihn über die Begebenheiten im Reich auf dem Laufenden. Ulrich von Ywen hatte seine Familie beruhigt und ihnen erzählt, dass der deutsche König sich nicht an der Verfolgung der Templer beteiligen würde. Von der Belagerung der Burg Beyernaumburg und dem Kampf der Templer gegen den Erzbischof von Magdeburg hatte er ihnen nichts erzählt, wollte er Frau und Kinder nicht beunruhigen. Später, als ihr Bruder und seine Freunde in der Halle saßen, erfuhren sie allerdings ausführlich von den jüngsten Ereignissen. Heske dankte im Stillen Gott dafür, dass er ihren Bruder gerettet hatte. Ihre Mutter schien allerdings nicht gerade begeistert zu sein, vier weitere Esser über den Winter bringen zu müssen. Doch die Freude darüber, dass ihr Sohn am Leben war, ließ Matilda bald ihre Sorge vergessen.
Mit Schwung wurde die Tür aufgerissen und der Lärm holte Heske zurück in die Gegenwart. Rudger und drei seiner Freunde kamen unter großem Gelächter und sich gegenseitig spielerisch schubsend herein. Ihre Stiefel waren voller Schnee, der jetzt in der Wärme der Halle zu schmelzen begann und um ihre Füße große Pfützen bildete. Heske sah sie mit hochgezogenen Brauen streng an, wagte jedoch nicht, das Wort zu ergreifen. Noch immer hatte sie ein wenig Angst vor ihrem Bruder, der sie durch seine bloße Anwesenheit einschüchterte, so groß und stattlich wie er ihr erschien. Doch auch das Aussehen der anderen Männer trug nicht wesentlich dazu bei, sie zu beruhigen. Besonders der eine – wie hatte ihn ihr Bruder genannt? Endres, ja, so hieß er. Immer wieder sandte sie ihm verstohlene Blicke zu. Die düstere Ausstrahlung des Mannes ließ sie erschauern. Aber sie verspürte eine gewisse Faszination, wenn sie ihn heimlich beobachtete, und sie bemerkte, dass es kein Gefühl der Furcht war, was sie bei seinem Anblick durchfuhr. Er war groß gewachsen wie ihr Bruder. Doch war er im Gegensatz zu diesem eher schlank und geschmeidig. Gestern hatte sie beobachtet, wie er und Rudger sich, um in Form zu bleiben, einen Schwertkampf lieferten, und sie bewunderte das Spiel seiner Muskeln und die Eleganz, mit der er sich bewegte.
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