Bald füllte sich der Hof der Burg mit Reitern und Fußvolk. Doch es passten bei weitem nicht alle ins Innere der Feste, so dass ein großer Teil der Kämpfer sich draußen auf dem Feld niederließ. Rudger war zusammen mit Gero hinuntergeeilt, um die Befreier zu begrüßen.
Seine Aufmerksamkeit fiel auf einen stämmigen Ritter. Er saß auf einem mächtigen Streitross. Ein Helm verhinderte den Blick auf sein Gesicht. Ein langer dunkler Mantel umhüllte ihn und fiel herab bis zu den Steigbügeln. Auf einer Seite hatte er ihn über die Schulter geworfen und gab den Blick auf ein langes Schwert frei, das an seinem Gürtel hing. Demonstrativ hatte er die Hand auf dessen Knauf gelegt und blickte herausfordernd in die Runde, als wolle er allen seine Macht demonstrieren.
Gero eilte dem Ritter entgegen und verbeugte sich ehrerbietig. „Euer Gnaden“, begann er mit sichtlich gerührter Stimme. „Euch schickt der Himmel. Wir hatten uns schon fast damit abgefunden, als arme Sünder vor den Stuhl unseres Herrn treten zu müssen. Doch nun wurde uns der Glaube, auf der richtigen Seite zu stehen, zurückgegeben. Dank Euch und Eurer Verbündeten, die sich nicht gegen die Templer gewandt haben.“
„Erhebt Euch, mein Freund“, sagte Waldemar mit lauter Stimme. „Nicht Ihr müsst vor mir das Knie beugen.“ Er nahm den Helm ab und schwang sich behänd vom Rücken des Pferdes. Waldemar war eher von kleinem Wuchs. Doch seine aufrechte, stolze Haltung kompensierte seine geringere Größe gegenüber den anderen Männern. Er mochte ungefähr dreißig Jahre zählen, dennoch haftete ihm eine jugendliche Ausstrahlung an. Er legte Gero, der wie die meisten Templer größer als viele Männer war, den Arm freundschaftlich um die Schultern, auch wenn er sich dabei etwas strecken musste. „Ich bin es, der Euch und Euren Männern, die unerschütterlich in ihrem Glauben sind, Respekt zollt. Lasst uns hineingehen, Meister Gero. Es gibt ein paar Neuigkeiten, über die wir sprechen müssen.“
Die Glocken des Domes von Halberstadt läuteten in der Abenddämmerung. Langsam bewegte sich der Trupp auf den Bischofspalast zu. Waldemar hatte mit Albert ein Treffen arrangiert, bei dem das weitere Vorgehen gegen den Erzbischof von Magdeburg besprochen werden sollte.
Langsam schloss Rudger zu Gero auf, der neben dem brandenburgischen Markgrafen ritt. Die prächtigen Gebäude, welche sich vor dem Areal des Bischofspalastes ausbreiteten, beeindruckten ihn. Obwohl er im Heiligen Land viele Prachtbauten gesehen hatte, war es in seiner Heimat eher selten, dass man steinerne Häuser in Städten errichtete. In der Regel war es die Holzständerbauweise, die hier vorherrschte und das Fachwerk wurde in unzähligen Varianten erstellt.
„Habt Ihr Kunde von Friedrich von Alvensleben?“, fragte Gero den Markgrafen. Noch hatten sie bisher wenig Gelegenheit gehabt, sich ausführlich zu unterhalten.
„Soviel ich weiß, wird er immer noch im Verließ des Erzbischofspalastes gefangengehalten, zusammen mit einigen anderen Templern, die alle aus hiesigen Familien stammen. Burchard ist sich seiner Sache trotz der gerade erlittenen Niederlage immer noch sehr sicher. Obwohl selbst die Bürger der Stadt Magdeburg mehr als aufgebracht ihm gegenüber sind. Ihr habt es selbst erlebt. Sie sind zusammen mit etlichen Bewohnern der umliegenden Dörfer angerückt, um ihn aus Bayernaumburg zu vertreiben. In Magdeburg selbst hat er also keinen guten Stand.“ Waldemar schnaubte abfällig. „Aber das beste habe ich Euch noch gar nicht erzählt“, fuhr er dann grinsend fort. „Schon im August hat unser Bischof Albert die Exkommunikation des Magdeburgers beim Papst durchsetzen können.“
„Ach, wie das?“, entfuhr es Gero erstaunt. Sie hatten in all den Monaten, die sie in der Feste eingeschlossen waren, keinerlei Informationen von außen erhalten. Nur ihr starker Wille und die Gewissheit, dass etliche Landesfürsten der mittleren und östlichen Landesteile zu ihnen standen, hatten ihnen die Kraft gegeben, durchzuhalten.
„Als Burchard, ohne zu fragen, die zwei Kirchen in der Nähe der Burg besetzt und zu seinen militärischen Zwecken umgebaut hat, ist Albert der Kragen geplatzt. Die Kirchen unterstanden seiner Priorität. Die Entweihung der Gotteshäuser als Kampfplatz gegen die eigenen christlichen Brüder, an deren wahrer Schuld er große Zweifel hegt, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“
„Und wie ist Albert die Posse mit der Exkommunikation gelungen?“, mischte sich Rudger in die Unterhaltung ein. Der Markgraf warf ihm einen kurzen, taxierenden Blick zu. Der junge Ritter gefiel ihm. Er strahlte eine gewisse Selbstsicherheit aus. Und obwohl er Rudger nicht kannte, nahm er auf Grund von dessen stolzer Haltung und des Wohlwollens, was ihm Gero von Mücheln entgegenbrachte, an, dass dieser aus einem edlen Geschlecht stammen musste.
„Nun, mein Freund“, begann er wohlwollend. „Mit seiner Gier, den Templerbesitz an sich zu bringen, ohne auf die Weisungen des Papstes zu hören, hat er den gesamten Klerus im Reich gegen sich aufgebracht. Dem Mainzer Erzbischof stach es auch ins Auge, dass Burchard die Anordnungen des Papstes missachtete und damit die Autorität der heiligen Kirche als Ganzes in Frage stellte. Nicht, dass die anderen große Templerfreunde sind, aber ...“
„Bei Gott nicht“, warf Gero dazwischen. „Aber ihnen missfiel es, dass der Magdeburger sich vor der großen Verteilung die besten Pfründe selbst ergattern wollte. Papst Clemens hat die gerichtliche Verfolgung der Templer ausgesetzt, damit geprüft wird, ob sie der weltlichen oder der kirchlichen Gerichtsbarkeit zuzuführen sind. Nun, und so was kann dauern. Jahre, wenn es sein muss. Das erschien Burchard sicherlich zu lang, und er hat kurzerhand selbst die Initiative ergriffen.“
„Ja, und als Albert von Halberstadt seine Amtsbrüder in Köln und Mainz um Unterstützung gegen Burchard bat, haben sie ihm dabei geholfen, die Exkommunikation beim Papst zu erreichen“, ergänzte Waldemar.
„Der Papst erkennt also die Unschuld der Templer an?“, fragte Rudger mit angehaltenem Atem. Sollte der Wahnsinn wirklich vorbei sein?
„Nein, leider nicht“, fuhr Waldemar fort. „Schon im August hat er eine Bulle verabschiedet, dass die Verfolgung der Templer auch im Reich mit aller Macht voranzutreiben sei. Und inzwischen munkelt man, dass sich auch Peter von Aspelt, der Erzbischof von Mainz, der Bulle angeschlossen hat und den Begünstigern der Templer ein Inquisitionsverfahren anhängen will. Noch schert sich der König einen Dreck um die Weisung des Papstes. Auch der französische König ist ihm weitestgehend egal. So dass der Orden hierzulande relativ sicher ist. Allerdings weiß man nicht, wie lange er diese Haltung aufrechterhält.“
Rudger sah, wie seine Hoffnungen zerplatzten. Wie würde der Landgraf von Thüringen, der auch Markgraf von Meißen war, zu den Dingen stehen? Auch zwei von Friedrichs Vettern waren Mitglieder des Ordens. Doch hatte er selbst keine Truppen gesandt, um die Belagerer der Feste Beyernaumburg zu vertreiben. Auch der König hielt sich vornehm zurück.
„Das Beste, worauf wir hoffen können, ist, dass sich auch die anderen Landesfürsten bei der Verfolgung eurer Brüder zurückhalten“, sprach Waldemar Rudgers Gedanken laut aus. „Doch ob sich die Kirchenfürsten und die Klöster daran halten, steht in den Sternen. Viele von ihnen sind papsttreu und wollen ihre Ruhe haben.“ Er schaute Rudger offen ins Gesicht und ein bitterer Zug erschien um seinen Mund. „Nicht immer ist das Denken der Kirchenfürsten gottgefällig.“
„Also ist es reine Bequemlichkeit, wenn sie ohne zu murren den Weisungen ihres Pontifex Maximus folgen“, stellte Rudger fest und sprach dabei mehr zu sich selbst als zu den anderen.
„Oder ihre Gier, sich selbst an unserem Besitz zu bedienen“, meinte Gero bitter. „Ihnen war es schon immer sauer aufgestoßen, dass wir Templer es verstanden haben, vor allem bei Geldgeschäften die Nase vorn zu haben. Der Orden hatte Philipp ja quasi in der Hand.“
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