„Siehst du, Vater, wir hätten Eneyde gestatten sollen, mit uns zu reiten. Wie Ihr seht, ist Heske auch da“, meldete sich jetzt Hencke zu Wort. Eigentlich hieß der Sohn des Schellenbergers genau wie sein Vater, Heinrich. Um jedoch Verwechslungen auszuschließen, rief ihn alle Welt Hencke, genau, wie ihn seine Mutter zu nennen pflegte, die aus der Nordmark kam und dem Geschlecht der früheren Grafen von Stade entstammte. „Ich grüße Euch, Ulrich von Ywen. Heske.“ Er deutete eine Verbeugung an und lächelte dem Mädchen zu.
Endres Faust ballte sich in seinem Handschuh wie von selbst zusammen. Dieser Kerl schien Heske ganz gut zu kennen, wie der vertrauliche Ton, den er anschlug, zeigte. Er würde doch nicht gar mit dem Mädchen verlobt sein? Doch nein, davon hätte ihm Rudger mit Sicherheit erzählt. Allerdings passte es ihm überhaupt nicht, mit welchem Blick Hencke Ulrichs Tochter anschaute.
„Und ihr seid also die Helden von Beyernaumburg?“, wandte sich Hencke nun freundlich an Rudgers Begleiter. „Man hat so einiges gehört hier im Hinterland. Die Zeiten, dass bei uns in der Gegend wirklich mal was Aufregendes passiert, scheinen vorbei zu sein“, sagte er mit Bedauern in der Stimme.
Rudger stellte seine Freunde dem Schellenberger und dessem jüngeren Bruder vor. Clement schien das völlige Gegenteil von Hencke zu sein. Er war von mittelgroßer Statur und seine braunen Haare fielen ihm in Wellen über die Schultern. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zusammenzubinden oder, trotz der Kälte, unter einer Kappe zu verbergen. Sein hübsches, jungenhaftes Gesicht war einnehmend und der Blick aus seinen blauen Augen wirkte aufrichtig.
Gemeinsam ritten sie in den Wald hinein, der sich hinter den Feldern von Ywen bis in das Tal der Zschopau hinabzog. Große, mächtige Tannen wechselten sich mit alten Eichen ab. Doch schienen diese immer weniger zu werden, und oft standen tote Bäume zwischen den anderen, deren Äste hin und wieder mit gewaltigem Krachen herabfielen. Gerade jetzt im Winter war es nicht ungefährlich durch den Wald zu reiten, wenn der schwere Schnee auf ihnen sie zum Brechen brachte.
Schon nach wenigen Minuten hatten sich kleine Grüppchen gebildet. Ulrich und Heinrich ritten etwas hinter den anderen her, in ein ernsthaftes Gespräch versunken. Rudger, Endres, Valten und Heske bildeten zusammen mit Clement den Mittelteil der Jagdgesellschaft, während Hencke zusammen mit Rudgers Bruder Arnald und Jorge vorangeritten war. Rudger schien es, dass sich der junge Schellenberger und sein Freund auf Anhieb gut verstanden. Eine leise Eifersucht nagt in seinem Inneren.
Eigentlich waren sie sich sehr ähnlich, Hencke und er. Nicht, was das Aussehen betraf, obwohl sie beide hochgewachsen und von kräftiger Statur waren. Heinrichs Sohn hätte mit Sicherheit einen guten Templer abgegeben, was seine körperlichen Eigenschaften betraf. Doch da endeten die äußerlichen Ähnlichkeiten zwischen Rudger und Hencke auch schon, denn der Schellenberger Spross hatte rabenschwarzes Haar und tiefblaue Augen, und man munkelte, dass er das Ebenbild seines Urahns Falk von Schellenberg wäre. Doch woher die Leute das wussten, war Rudger ein Rätsel, denn keiner von ihnen kannte den Ritter von Schellenberg mehr persönlich, da er bereits vor nahezu einhundert Jahren gelebt hatte. Die markanten Gesichtszüge Henckes wiesen eine gewisse Härte auf und an ihm war nichts Weiches oder Versöhnliches.
Hencke war ein rauer Geselle, keinem Kampf abgeneigt. Das bewies er oft genug, da er jeden Streit nahezu magisch anzuziehen schien, allerdings auch fast immer als Sieger daraus hervorging. Die Leute begegnetem ihm mit großem Respekt, wenn nicht sogar Angst, da er für seine Schwertkunst und seinen tödlichen Umhang mit dem Morgenstern bekannt war. Aber war er bei weitem kein Griesgram, sondern ein eher fröhlicher Geselle. Auch wenn er oberflächlich zu sein schien, kannte Rudger ihn besser. Der Sohn Heinrichs wusste durchaus, wem er Loyalität schuldete. Das Wort seines Vaters war für ihn Gesetz, auch wenn es ihm meist sehr schwerfiel, sich daran zu halten. Nicht zuletzt deshalb hatte er oben im Dunkelwald einem Grenzadeligen eine kleine Burg abgekauft oder in Pacht genommen. Ehemals nur ein steinerner Turm zum Schutz der Grenze nach Böhmen hatte Hencke sie ausbauen lassen und einen Palas errichtet. Jetzt hielt er sich meistens dort auf. Böse Zungen behaupteten, dass es sich dabei um ein Raubritternest handelte, doch Rudger glaubte nicht daran. Auch konnte er sich nicht vorstellen, dass sich sein Bruder einem Räuber anschloss. Nicht, dass er dazu nur zu feige gewesen wäre, nein, das Erbe von Ywen war ihm zu wichtig, als dass er es aufs Spiel gesetzt hätte. Und auch, wenn Rudgers Vater der Meinung war, dass Arnald kein Interesse am Hof hätte, wusste Rudger es besser. Er war überzeugt davon, dass sein Bruder nur auf den Tag wartete, wo er sich als Gutsherr aufspielen konnte.
Die Sonne neigte sich im Westen schon langsam dem Horizont zu und ihr rotes Licht verhieß neuen Niederschlag in den nächsten Tagen. Rudger schaute gebannt auf den Schnee, der durch den Schein der Sonnenstrahlen blutrot schimmerte. Dem jungen Templer wurde etwas unheimlich zumute. Der Schrei eines Greifvogels ließ ihn zusammenzucken. Ihn hatte schon den ganzen Tag eine innere Unruhe ergriffen, die er sich nicht erklären konnte.
Die Treiber aus Schellenberg errichteten am Waldrand ein kleines Lager. Heske, die sich in der Gesellschaft der Ritter ein wenig langweilte, ging ihnen zur Hand, und bald brannte ein lustiges Feuer, um das sie sich alle versammelten. Die erlegten Wildschweine, zwei Rehböcke und ein halbes Dutzend Hasen lagen in einiger Entfernung zum Abtransport bereit. Die Jagd hatte sich gelohnt und sowohl die Schellenberger als auch die Leute aus Ywen würden eine Weile genug zu essen haben.
Heinrich spendierte einen kräftigen Imbiss und ein Weinschlauch machte die Runde.
„Wie kommt es, dass Ihr immer so einen köstlichen Tropfen in Eurem Keller habt“, fragte Ulrich. „Der rote Wein, den mir hin und wieder ein Händler aus Chemnitz bringt, ist bei weitem nicht so wohlschmeckend.“
„Ich würde eher sagen, er ist ungenießbar“, warf Arnald dazwischen. „Gut, dass unsere Mutter Bier braut, sonst müssten wir verdursten.“
„Wie wäre es mit Wasser“, meinte Rudger bissig. Sein Bruder war schon immer den geistigen Getränken mehr zugetan, als ihm guttat. Das Wasser aus ihrem eigenen Brunnen war durchaus bekömmlich, und sie konnten es gefahrlos trinken. Nicht wie in der nahen Stadt Chemnitz, wo die öffentlichen Zisternen oft von Unrat verseucht waren.
„Nun, wie auch immer“, konstatierte Heinrich, „Mein lieber Ulrich, ich lasse mir den Wein aus Meißen kommen. Wie Ihr wisst, haben die Markgrafen seit Jahrhunderten Erfahrung in der Winzerei. Und ihr Wein kann selbst den edelsten Tropfen vom Rhein das Wasser reichen.“
Nach und nach entwickelten sich einzelne Gespräche. Hencke gesellte sich zu Rudger und seinen Freunden. Sie mussten ihm nochmals in allen Einzelheiten erzählen, wie ihnen die Flucht aus Mücheln nach Beyernaumburg gelungen war und wie es dazu kam, dass der Erzbischof die Belagerung aufgab. Heske, die zunächst bei ihrem Bruder geblieben war, ging alsbald hinüber zu ihrem Vater.
„Ich glaube, Heidenreich von Lichtenwalde versteckt auf seiner Burg Templer“, sagte Hencke unvermittelt. Er erntete ein ungläubiges Staunen der Ordensritter.
„Wie kommst du darauf?“, fragte Rudger. „Ich denke, hier in der Nähe zu Böhmen verfolgt man uns nicht.“
„Das hättest du gern, was?“, höhnte Arnald, der zu ihnen getreten war. Rudger ignorierte ihn.
„Was ist eigentlich los mit dir?“, fragte Hencke genervt.
Aber Arnald zuckte nur desinteressiert mit den Schultern.
„Den ganzen Tag schon hackst du auf deinem Bruder herum“ fuhr der junge Schellenberger fort. „Ich dachte, du wärst froh, dass er mit heiler Haut aus der ganzen Verfolgungsgeschichte rausgekommen ist. Und“, wandte er sich jetzt wieder den Templern zu, „noch gibt es hier keine Hetzjagden, von denen ich weiß. Aber oben im Gebirge haben einige Klöster angekündigt, keine Templer in ihren Reihen aufnehmen zu wollen. Der Abt von Grünhain sprach sogar davon, dem Wort des Papstes zu folgen.“
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