Der Trip zu den Fällen war ganz nett, aber auch dort hatte ich mich ein Jahr zuvor als Tourist schon einmal aufgehalten. Trotzdem genoss ich auch dieses Mal wieder die spektakulären Ausblicke, es ist schon ein tolles Naturschauspiel.
Ausflug zu den Niagarafällen
Im Übrigen ist die Stadt Niagara Falls eine hundertprozentige Touristenstadt und darüber hinaus als eines der nordamerikanischen Hauptziele für Flitterwöchner bekannt, Honey Moon in Niagara Falls hat einen hohen Stellenwert. Unser Koch fand auch gleich die passende Begründung dafür: „Wenn de gleich nach der Hochzeit schnallst, dass die Olle nix taugt, schmeißt ’se in die Wasserfälle und gut is’!“ Auch ’ne Logik.
In den nächsten Tagen fühlte ich mich wie ein Zuschauer in einem rückwärts laufenden Film, wieder ging es durch die tausend Inseln, den St. Lorenz hoch, Montreal und Quebec boten letzte Gelegenheiten, noch mal einen Fuß an Land zu setzen, dann lag der Atlantik wieder vor uns. In Montreal wurde mir auf meinen Wunsch mal ein freier Tag gewährt, und ich machte mich alleine auf die Socken, um mir die Stadt näher anzuschauen. In dieser Metropole, übrigens der größten in der Provinz Quebec, wurde überwiegend französisch gesprochen, nicht unbedingt meine Stärke, aber man konnte zurechtkommen. Längere Zeit hielt ich mich auf dem Gelände der Weltausstellung auf, die 1967 dort stattgefunden hatte. Bei der Gelegenheit lernte ich eine junge Kanadierin kennen, die mir dann für einige Stunden als Tour Guide Gesellschaft leistete, schlussendlich verabredeten wir uns für die nächste Reise, wenn das Schiff in fünf oder sechs Wochen wieder zurück sein sollte. Auch so etwas gab es gelegentlich…
In Quebec blieb mir Landgang versagt, schade, diese Provinzhauptstadt mit ihrem berühmten Altstadtkern hätte ich mir gerne einmal näher angeschaut. Aber die kurze Liegezeit ließ keine weiteren Aktivitäten zu.
Am Abend verließ die BURGENSTEIN diesen letzten Hafen vor der Atlantiküberquerung, vor uns lagen wieder mal etliche tausend Seemeilen. Im Gegensatz zur Anreise war das Wetter dieses Mal ausgezeichnet, bei strahlendem Sonnenschein ging es über den St. Lorenz in Richtung offenes Meer. Landgänge wurden nun wieder durch vermehrte gesellschaftliche Aktivitäten an Bord ersetzt, der Beck’s-Bier Club tagte in dichter Folge. Auch der Eisbär gab sich in seiner Kammer wieder häufiger die Ehre und ließ uns an dem Ergebnis seiner jüngsten Laderaumkontrollen teilhaben, in Montreal hatten wir nämlich etliche Paletten „Seagrams Golden Crown“ geladen, einen kanadischen Whisky der Premium-Kategorie. Natürlich hatte man versucht, diese Paletten durch geschicktes Stauen einigermaßen gegen Diebstahl zu sichern, aber unser Eisbär hätte sich vermutlich auch dann zum Whisky durchgegraben, wenn er hinter Stahlschotten eingeschweißt worden wäre. Um bei einer eventuellen Kammerkontrolle nicht aufzufallen, hatte er den Stoff in Plastikkanister umgefüllt, während der ganzen Überfahrt stand immer ein guter Tropfen zur Verfügung. Natürlich durften wir es nicht übertreiben, exzessiver Verbrauch dieser Ladungsbestandteile wäre wohl zuerst der 1. Stewardess aufgefallen, bei ihr wäre nämlich der Kantinenumsatz dramatisch eingebrochen.
Jeden Abend um eine bestimme Zeit öffnete sie ihren Zoll-Laden und verkaufte den Piepels, was so benötigt wurde. Neben Bier, im geringeren Maße Spirituosen (die brauchte kaum jemand, die wurden ja geklaut) und Zigaretten waren das auch Toilettenartikel und allerlei Kleinkram des täglichen Bedarfs. Wir zahlten bei ihr nicht in Cash, sondern per Unterschrift auf einem Ticket. Diese Einkäufe fanden sich dann später auf der Heuerabrechnung wieder und sorgten bei manchem Maaten für üble Überraschungen, man kauft halt viel unbekümmerter ein, wenn man nur eine Unterschrift zu leisten hatte und keine harte Kohle rüber schieben musste.
Mich selbst nutzte die Dame als Lastesel, die Eisheiligen und einige andere Offiziere ließen sich ihre Waren auf die Kammern liefern. Dieser unbeliebte Auftrag wurde in der gesamten Hierarchiekette des Feudelgeschwaders nach unten durchgereicht, und ganz unten befand sich meine Wenigkeit. Die Bierlast und die Zollstores waren tief im Bauch des Schiffes, die Streifen tragenden Abnehmer der Ware residierten ziemlich weit oben. Schon mal mit zwei Kartons Beck’s auf dem Ast vier oder fünf Decks hoch gekraxelt? Da kommt Freude auf, wenn der Kahn vorne hochsteigt, wird der Niedergang immer steiler, man kippt fast hintenüber. Dann rauscht der Schlorren in ein Wellental, die Treppe wird gefühlt flacher und man rennt die Stufen mit der Bierladung hoch wie ein vergifteter Affe. Bei solchen Gelegenheiten hatte ich anfangs einiges an Bruch produziert, weil ich den akrobatischen Anforderungen nicht immer gewachsen war.
Die Rückreise war also auch mit regem Partyleben erfüllt, aber doch in geringerem Maße als bei der Ausreise. Wieder wurden in steter Folge die Uhren verstellt, dieses Mal aber voraus. Das heißt, uns fehlte allabendlich eine Stunde. Je näher wir dem alten Kontinent rückten, umso ruhiger wurde es im Schiff.
Bei sommerlichem Wetter erreichten wir wieder nach acht Tagen Antwerpen, es begann wieder die Europa-Küstenreise. Nur wenige Besatzungsmitglieder hatten um Hafenablöser ersucht, es gab kaum Abmusterungen, und die Gang blieb weitestgehend zusammen. Ich hatte mich schon vor einiger Zeit entschlossen, auch noch eine Reise mitzufahren, meine ursprünglichen Absichten, nur mal einen Schnuppertrip zu wagen und dann ins Elektronik-Praktikum zu gehen, hatte ich etwas aus den Augen verloren. Ich amüsierte mich hier einfach zu gut…
Inzwischen hatte ich auch mehr über die einzelnen Tätigkeitsfelder an Bord in Erfahrung gebracht. Durch die vielen Gespräche mit den Piepels bekam ich allmählich eine Ahnung davon, wer an Bord für was verantwortlich war. Fragt man eine Landratte nach seemännischen Berufsbildern, fallen ihr in aller Regel Matrosen und Kapitäne ein, Ende der Fahnenstange. Vielleicht noch die nette Bezeichnung „Smutje“ für den Koch, aber die ist in der Handelsschifffahrt verpönt. Die Sache war aber weitaus komplexer, zahlreiche Besatzungsmitglieder besaßen seefahrtspezifische Berufsabschlüsse, unterstützt wurden sie aber auch, wie schon erläutert, von etlichen ungelernten Hilfskräften. Über allem thronte natürlich der Kapitän, der hatte sich nach seinem Aufstieg durch sämtliche Offiziersränge zum Stellvertreter des Reeders qualifiziert (Böse Zungen sagen „manchmal auch nicht!“) und war nun Herrscher „über das Ganze“. Wohl nicht mehr Master next God, da legten ihm die Gesetze mittlerweile auch Beschränkungen auf, aber doch noch mit enormer Machtfülle ausgestattet. Wachdienst ging er nicht, in der Regel führten die Kapitäne das Schiff vom Schreibtisch aus, bei kniffligen nautischen Situationen war ihre Anwesenheit auf der Brücke aber unerlässlich. Gesehen habe ich die Kapitäne während meiner Aufwäscherfahrzeit höchst selten, das „Wir da unten“ und das „Ihr da oben“ war sehr ausgeprägt. Für die Maschine war auf diesen alten Linienfrachtern auch der Chief so eine Art Gottkönig, ebenfalls mehr am Schreibtisch, weniger in seinem Fettkeller anzutreffen. Zum „Deck“ zählten auch alle nautischen Offiziere, die auf See sich gegenseitig ablösend das Schiff fuhren. Traditionell ging der Erste die so genannte Vier-acht-Wache, der Dritte die Acht-zwölf-Wache und der Zweite die Zwölf-vier-Wache, jeder der Nautiker war also täglich zwei mal vier Stunden auf der Brücke. Dazu kamen diverse Nebenaufgaben, der Erste war für die Ladung zuständig, der Zweite für den Sanitätsdienst, der Dritte für Seekarten und nautische Unterlagen und so weiter. Zur „Maschine“ zählten naturgemäß alle vier Schiffsingenieure, die unterschiedliche Patente besaßen. Dann die Ingenieur-Assistenten, die Assis. Auf Schiffen wie der BURGENSTEIN gab es noch keinen wachfreien Maschinenbetrieb, ein Ing und ein Assi bildeten eine Wache und schoben im schon erwähnten 4-8-Rhythmus Dienst an der Antriebsanlage. Die Mannschaftsgrade arbeiteten in der Wartung und wurden auch mit ständigen Reinigungsarbeiten beschäftigt, der Bedarf dafür war im Decks- wie auch Maschinenbetrieb recht hoch.
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