1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Sämtliche Arbeitsvorgänge trugen für mich fremde Bezeichnungen, da wurde gefeudelt, gehievt, gefiert, gemalt, gelenzt, gebunkert, gepönt, ich könnte minutenlang weiter aufzählen. Weiß ein Leser vielleicht, was „labsalben“ bedeutet? Ich wusste es damals auch nicht.
Einer der vordersten Räume, vor dem ersten Kollisionsschott des Schiffes, ist die „Vorpiek“. Pinkelt der Seemann, nennt er das „Vorpiek lenzen“. Mir flogen die Insider-Vokabeln nur so um die Ohren, merkwürdigerweise blieben die Ferkeleien besonders gut im Gedächtnis erhalten.
Während der einwöchigen Werftliegezeit ging es reichlich turbulent her. Wie sich nun zu meiner Überraschung herausstellte, war die endgültige Besatzung für die Anschlussreise noch gar nicht an Bord. Wenn die Schiffe von ihren Linienreisen zurück nach Europa kamen, liefen sie ja in der Regel Antwerpen, Rotterdam, Bremen und Hamburg an, auf Ausreise von Hamburg dann wieder Bremen, Rotterdam, Antwerpen. Um der Stammbesatzung einige Urlaubstage zu ermöglichen, bot die Reederei für diese Küstenreise Ablösung durch so genannte Hafenablöser an. Traf der Kahn dann ausgehend wieder in Antwerpen ein, wurde erneut ausgewechselt, und die Jungs von der Stammbesatzung waren dann 10 oder 14 Tage zu Hause gewesen. So befanden sich auch hier jede Menge Urlaubsvertreter bzw. Hafenablöser an Bord, viele davon im Pensionsalter. Außerdem gab es eine gewisse Fluktuation, einige neu eingestiegene Maaten befanden, dass sie auf diesem Zossen doch nicht fahren wollten und stiegen einfach wieder aus. Oder ein Vorgesetzter war der Meinung, dass er mit diesem oder jenen Mann nichts anfangen könne – mangels Eignung oder wegen zuviel Durst – und schickte den Betreffenden wieder nach Hause. Eine neu angemusterte Stewardess war auch ganz schnell wieder weg, und das war Paul Steffens zu verdanken.
Paul Steffens war der Koch, ebenfalls ein Urlaubsvertreter. Paul war beim Norddeutschen Lloyd eine legendäre Erscheinung, stolze 74 Jahre alt und fuhr immer noch gerne als Hafenablöser. Und außerdem war er meines Erachtens die größte Pottsau, die mir bis dahin begegnet war. Nicht im Bezug auf seine Kombüse, da war alles tipptopp. Aber der Gute war völlig übersexualisiert, zentrales Gesprächsthema war der menschliche Fortpflanzungsakt in allen Varianten. Während die Kochsmaaten die Mahlzeiten zubereiteten, widmete sich Paule hingebungsvoll dem Studium dänischer Pornomagazine und kommentierte ausführlich deren Darstellungen. Vermutlich war in seiner Vorpiek schon lange Ruhe eingekehrt, aber im Kopf hatte er es noch. Einmal sah ich ihn in der Kombüse in der Ecke sitzend und ganz versunken mit einer Handarbeit beschäftigt. Bei der nächsten Abholung einer Mahlzeit wurde mir stolz das Ergebnis seiner Bemühungen präsentiert, er hatte in eine große geschälte Pellkartoffel eine Vagina geschnitzt, sehr filigran und authentisch, auch die Schamhaare, dargestellt durch Petersilie, fehlten nicht. Vagina nannte er es übrigens nicht, er drückte sich da etwas herber aus. Paul war ganz stolz auf sein Werk und schleppte die Kartoffelvagina dann tagelang mit sich herum, bis sie unansehnlich wurde.
Eines Abends wurden zu den kalten Platten noch Würstchen mit Kartoffelsalat zubereitet. Die gerade erst neu eingestiegene Salonstewardess brachte die Platten für den Service in die Kombüse, für die drei Eisheiligen wurde sogar auf Silbergeschirr serviert, für die Offiziere feineres Porzellan mit Reedereiwappen, für die Crew dann eine schlichtere Variante. Kaum war das Mädel wieder weg, schnappte sich Paule eine der Platten, wühlte seinen Penis aus der Hose und auf die Platte, klatschte etwas Kartoffelsalat dazu, garnierte das Ganze mit einem Salatblatt und wartete. Die Kochsmaaten, Uwe und ich warteten ebenfalls, das durfte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.
Die Stewardess erschien, um ihre Platten abzuholen. Paule steht da, Platte vorm Bauch und kräht fröhlich „hier, mien Deern, dat Würstchen für’n Kaptein!“ Sie wollte gerade zugreifen, als sie die Situation realisierte. Schriller Aufschrei, irgendwas, das wie „alte Sau“ klang, und überstürzter Abgang Stewardess.
Paul verstaute ungerührt seine Genitalien und ließ alle Beweise verschwinden. Minuten später stand der Chiefmate in der Tür. „Paul, was war hier los?“ – „Wie, wat soll denn lous sein?“ Dem Ersten dämmerte ziemlich schnell, dass er mit seinen Ermittlungen an die Wand fahren würde, er trat den Rückzug an. Am folgenden Morgen hatte die Stewardess abgemustert…
Die Werfttage vergingen wie im Flug, so nach und nach trudelten Teile der Stammbesatzung wieder ein, die Letzten würden in Antwerpen wieder zusteigen. Mein Boss, der Chiefsteward, ging auch, an seine Stelle trat eine Chiefstewardess, das gab es auch nicht allzu häufig beim Lloyd.
Inzwischen war ich guten Mutes, mit der Besatzung klar zu kommen. Der Bootsmann war ein sehr agiler drahtiger Bursche mit einem trockenen Humor, Timmi und Storie waren auch gemütliche Vertreter, und die ganze Decks- und Maschinengang hatte kein Problem mit mir als Neuling. Von den noch zu erwartenden Leuten der Stammcrew wurde auch nur Gutes berichtet, von mir aus konnte es losgehen. Aber Aufwäscher werden in der Regel nicht konsultiert, wenn es um die Festlegung des Auslauftages geht.
Natürlich nahm ich auch schon an einigen Landgängen in Bremerhaven teil, noch keine Meile zur See gefahren, aber schon Landgang und auf dicke Hose machen. Meine neuen Kollegen schleppten mich die Rickmersstraße hoch und runter und zeigten mir alles, was ein Neueinsteiger ihrer Ansicht nach zu wissen hatte. Um nicht gleich auf meine Heuer angewiesen zu sein, war ich mit 400 Mark in der Tasche nach Bremen gereist, 1972 war das noch eine brauchbare Summe. Nach der Werftliegezeit war das Geld weitgehend weg, ich hatte fast alles auf den Kopf gehauen, aber auch ’ne Menge Spaß gehabt…
Reichtümer konnte man als Aufwäscher nun wirklich nicht erwarten, die Grundheuer lag so bei 380 Mark. Ausschlaggebend waren wie bei allen anderen Mannschaften auch die Überstunden, und die gab es beim Feudelgeschwader reichlich, man kam in meiner Funktion schon auf ca. 700 oder 800 Märker.
Die Zeit im Trockendock verlief in meinen Augen chaotisch, an allen möglichen Baustellen im Schiff wurde Tag und Nacht gearbeitet, unzählige Piepels liefen an Bord herum, es war mir manchmal nicht ersichtlich, wer zur Crew und wer zur Werft gehörte.
Nach einer Woche waren die Werftarbeiten abgeschlossen und es wurde ernst. MS BURGENSTEIN sollte nun in den Häfen längs der Nordsee Ladung einsammeln und dann über den Nordatlantik in das Zielgebiet Kanada – Große Seen fahren. Die geplanten Anlaufhäfen und die dortigen Agenturadressen wurden uns mit einem Postzettel ausgehändigt, den wir dann umgehend an die Lieben zuhause weiterleiteten. Zu den schon erwähnten Ladehäfen kam noch Grangemouth in Schottland dazu, dann sollte es über den Atlantik gehen. Auf der anderen Seite des großen Teiches würden wir in den St.Lorenz-Strom zunächst nach Montreal und anschließend über den Ontariosee nach Toronto laufen. Weitere Häfen waren nach dem Passieren des Welland-Kanals Cleveland und Toledo am Eriesee, danach sollten noch Detroit sowie Bay City am Huronsee und Chikago am Michigansee bedient werden. Auf der Rückreise wurden die gleichen Häfen wieder angelaufen, um Ladung für Europa zu übernehmen.
Für mich war dieses Fahrtgebiet nicht gerade ein Volltreffer, den Norden der USA kannte ich ja schon ein wenig, meine Vorstellungen gingen mehr so in Richtung Palmen, Rum, braune Damen. Seefahrt ist aber das ziemliche Gegenteil eines Wunschkonzerts, also bitte, dann eben ‚Große Seen’.
Eines schönen Nachmittags dockten wir aus, und ab ging’s nach Hamburg. Zum ersten Mal erlebte ich, wie ein Seeschiff so richtig zum Leben erwacht. Die Bewegungen, das Wummern des Diesels, die allgegenwärtige Vibration, das ununterbrochene rhythmische Klirren in meiner Pantry, Knacken, Knistern und Scheppern ohne Unterlass. Die Nordsee in jenen Apriltagen zeigte sich recht unfreundlich, grauer Himmel, ruppiger Seegang, nasskalt. Prompt stellte sich die Seekrankheit ein, natürlich genau zu Abendessenzeit. Mit kaltem Schweiß auf der Stirn wackelte ich zwischen Kombüse und Messe hin und her und durfte Spiegeleier mit Spinat servieren, alleine der Essensgeruch ließ mich permanent würgen. Der Kabel-Ede schaute mich kurz an und fragte: „Sach ma’, biste in meinen Teller gefallen?“ – „Nö, warum?“ – „Weil du genauso grün bist wie der Spinat!“ Ach so…
Читать дальше