Zwei Tage lagen wir in der Stadt, ein Teil der Ladung wurde gelöscht, darunter bedauerlicherweise das Weindepot unseres Eisbären. Und wieder hieß es „Leinen los“ Richtung Toronto am Nordufer des Ontariosees.
Zunächst aber kamen wir mit dem Erreichen des Sees in das Gebiet der „Thousand Islands“, einem Gewirr von unzähligen Inseln und Inselchen, viele davon mit beeindruckenden Villen bebaut. Hier hatte sich viel Geld angesiedelt, es wimmelt auch von Motoryachten aller Größen. Und merkwürdige Bauten gab es dort, eine Hütte sah aus wie eine Burg vom Rhein.
Wann immer möglich, stahl ich mich aus der Pantry und versuchte, meine Eindrücke mit der Kamera festzuhalten.
Wir erreichten Toronto, damals schon eine Millionenmetropole. Die Liegezeit war etwas üppiger bemessen, Landgang war also dringend geboten.
Skurrilerweise landeten wir, das heißt neben mir der Koch, der Bäcker und Pipifax, der Reiniger, in einem bayerischen Schuppen mit Lederhosen-Combo, Kellnerinnen im Dirndl und viel „Humptata“. Die kanadischen Gäste amüsierten sich wie Bolle, viele davon waren deutscher Herkunft und hatten (so wie es auch viele Deutschamerikaner tun) mittlerweile völlig verdrängt, dass nicht ganz Deutschland aus Bier saufenden Lederhosenträgern besteht.
Pipifax, der Reiniger
Da saßen dann emigrierte Niedersachsen oder Saarländer mit einem Gamsbarthut aus Pappmachee auf der Gurke und grölten „Oans, zwoa Gsuffa“. In unseren Augen war das reichlich grotesk, was da ablief. Besonders meine drei Kumpane sahen das so, die stammten alle von der Küste, und die weißblaue Partykultur war denen völlig suspekt. Lediglich die Maßkrüge fanden ihren Beifall. „Endlich mal ’n richtiges Maul voll Bier!“, meinte Pipifax.
Irgendwann verließen wir diesen Tumult und streunten ein wenig in der Gegend herum, wir fanden noch einige nette Bars, kamen auch mit ein paar recht ansehnlichen Kanadierinnen ins Gespräch, die aber mit Seeleuten nichts am Hut hatten. Zumal gerade während einer solchen Kontaktaufnahme unser Motormann Pipifax sturzbesoffen vom Barhocker fiel, das war nicht so werbewirksam. Aber alles in allem war es ein unterhaltsamer Abend.
Sightseeing und Beck`s Bier, die dienstfreien Piepels geniessen die Kanalfahrt
Am übernächsten Tag ging es dann weiter, auf uns wartete der Wellandkanal, der es den Schiffen erspart, die Niagarafälle herunterzufallen. Das war jedenfalls die Begründung, die Kabel-Ede für den Bau dieses Kanals lieferte. Erst dieser Wasserweg erschließt die weiter westwärts gelegenen Great Lakes für die Seeschifffahrt. Über eine Strecke von ca. 40 Kilometern überwindet er mit 8 Schleusen knappe 100 Meter Höhenunterschied. Für die Deckscrew und die Schiffsleitung bedeutete die Kanalpassage eine Schweinearbeit, Matrosen mussten in jeder Schleusenkammer mit dem Ladebaum an Land gehievt werden, um fest und wieder los zu machen. Wir passierten den Kanal an einem Sonntag, an den Schleusen befanden sich Tribünen wie auf einem Sportplatz, auf denen sich ganze kanadische Großfamilien eingefunden hatten. Schiffe gucken hatte hier wohl einen hohen Nennwert im allgemeinen Unterhaltungsangebot. Wir haben später noch ausgiebig diskutiert, wer bei der Besichtigung die Zoobesucher und wer die Affen waren.
Cleveland in Ohio war unser nächstes Ziel. Da dies der erste US-Hafen dieser Reise war, erlebte ich zum ersten Mal die überaus umständliche Einklarierungsprozedur der amerikanischen Behörden. Von der Einklarierung, also der grenzpolizeilichen und zollmäßigen Abfertigung eines Schiffes, hatte ich bis dahin nichts mitbekommen, das spielte sich im Salon zwischen den Behörden und dem Kapitän beziehungsweise dem Purser ab. Die Amis aber ließen die komplette Besatzung antreten und überprüften mit strenger Miene jedes Seefahrtsbuch samt zugehörigem Sailor. „Gesichtsparade“ nannten die Piepels das.
Der ganze Auflauf zog sich mächtig in die Länge, immer wieder blätterte ein Immigration-Officer in seinem dicken Wälzer, der wohl alle in den USA unerwünschten Personen auflistete. Eisbär unterhielt mich während der Wartezeit mit Döntjes aus früheren Jahren, als man sich sogar von jedem Seemann anlässlich der Einklarierung das Geschlechtsorgan vorzeigen ließ, um tripperkranke Maaten herauszupicken. Erst als die Franzosen dann einmal ein Passagierschiff mit jeder Menge Amigäste an Bord in gleicher Weise kontrollierten, wurde dieses entwürdigende Verfahren stillschweigend abgeschafft. Ich stellte mir diese Prozedur reichlich grotesk vor, da sitzt so ein wichtiger Gesundheitsbeamter im Salon, und der Reihe nach wedeln ihm die Sailors mit dem Schniedel vor der Nase herum.
Nach zwei Stunden war auch diese Gesichtsparade überstanden, wir durften Cleveland betreten. Genau in dieser Stadt war ich ein Jahr zuvor gewesen und diente mich meiner Clique als Guide an, weil ich da noch einen riesigen Tanzschuppen mit sehr kopfstarkem Frauenangebot in Erinnerung hatte. Blöderweise war mir der Namen des Etablissements entfallen, nach einiger Zeit resignierten wir und suchten zunächst mal ein Steakhaus auf, Amisteaks waren laut Aussage der Kollegen Kult bei jeder USA-Reise. Einer unserer Schmierer war zwar des Englischen kaum mächtig, aber finster entschlossen, sein Steak so zu ordern, wie er es aus zahlreichen Western-Storys kannte. „Hör ma’“, lautete seine Ansage an die Waitress „you bring me mal ein Zwölf-Unzen-Steak, not bloody und mit Pilze!“ Große Ratlosigkeit beim Bedienungspersonal. „I mean Steak with Pilze…Pepperlings and Champions, you know?” Ich griff dann unterstützend ein, und letztlich vertilgte er wie wir alle ein ausgezeichnetes T-Bone-Steak, und zwar ganz ohne Pepperlings und Champions.
Krönender Abschluss war ein Barbesuch in einem Schuppen mit recht hohem Damenanteil, irgendwie schienen da ’ne Menge ‚grüner Witwen’ auf Männersuche gewesen zu sein. Unsere Gruppe zerstreute sich zusehends, jeder war mit sich und sonst wem beschäftigt.
Als Germans waren wir da die exotische Attraktion des Abends.
Von Hafen zu Hafen arbeitete unser Dampfer den Fahrplan ab, nächste Station war Toledo.
Dort waren wir aber nur einen Tag, das Hafenviertel wirkte nicht so attraktiv, und ich blieb an Bord. Ähnlich sah es in Detroit aus, aber wir schwärmten wenigstens ein paar Abende aus, um die nähere Umgebung zu erkunden. Der Port war von Industriehallen, Lagergebäuden und heruntergekommenen Häusern umgeben, überwiegend Afroamerikaner lungerten an den Ecken herum, und alles machte damals schon einen heruntergewirtschafteten Eindruck. Scheinbar keine Kneipe weit und breit. War aber nicht so, nach den ersten drei Runden um den Block hatten die Jantjes schon eine zwar reichlich verkommene, aber immerhin geöffnete Kaschemme gefunden. Überhaupt habe ich damals schon und auch in den kommenden Jahren die unglaubliche Findigkeit der Seeleute bewundert. Wenn es um das Aufspüren von Kneipen und dem Sailor wohl gesonnene Damen ging, zeigten sich die Janmaaten als reinste Trüffelschweine. Ich bin heute noch überzeugt, dass der durchschnittliche Fahrensmann maximal eine Stunde benötigen würde, um in Mekka eine Bierbar und in Vatikanstadt einen Puff zu finden.
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