Beck’s-Bier-Club
Mitglieder waren innerhalb kurzer Zeit alle unteren Chargen, selbst ein Teil der Unteroffiziere. Einige Offiziere wären wohl gerne beigetreten, das sah man aber höheren Orts gar nicht gerne. Lediglich der Funker pfiff drauf und ließ sich häufiger als Gast blicken, natürlich mit ’ner Beck’s-Kiste als Türöffner bewaffnet.
Besagter Funker war einer der wenigen Sparkys beim Lloyd, die noch mit einem Seefunksonderzeugnis fuhren. Die Reederei legte eigentlich Wert auf Offiziere mit den „richtigen“ Befähigungszeugnissen und nicht auf solche mit verkürzter Ausbildung und Ausnahmegenehmigung. Aber der damalige allgemeine Funkermangel zwang auch den Lloyd zu Zugeständnissen. Dieser Sparks benahm sich auch nicht so abgehoben wie die meisten Streifenträger auf dem Schiff, von mir auf eine Besuchsmöglichkeit der Funkstation angesprochen, hatte er sich ganz selbstverständlich dazu bereit erklärt, dem Aufwäscher mal seinen Laden detailliert vorzustellen.
Anschluss bei den Piepels zu finden war das geringste Problem. Mit einer ziemlich deftigen Kodderschnauze gesegnet, fand ich ziemlich schnell die richtige Wellenlänge im Umgang mit den Janmaaten. Recht bald zählte ich zu einer Clique mit dem Koch, dem Bäcker, einem Reiniger und ab und an dem Kabel-Ede, auch der Eisbär schloss sich uns gelegentlich an. Ein gutes Verhältnis zum Eisbär hatte seine Vorteile. Seine primäre Aufgabe war eigentlich die Wartung und der sichere Betrieb der Kühlräume. Aber er betrachtete sich auch als „Ladungsbeauftragter“ und klaute aus der Fracht alles, was für einen Seemann von Nutzen sein konnte. Wir fuhren ja noch herkömmliches Stückgut in Kasten, Kisten, auf Paletten, in Säcken und dergleichen. Auf dieser Reise hatten wir in Antwerpen unter anderem sehr hochwertige Weine geladen, Eisbär entnahm „Warenproben“, wie er das nannte, und seine Gäste hatten natürlich Anteil an der Beute.
Ladungsdiebstahl war rechtlich gesehen ein glatter Kündigungsgrund, aber man musste ja erst mal erwischt werden. Der Eisbär meinte lakonisch: „Das nennt man Arbeitsteilung. Zunächst mal klauen die Hafenmalocher beim Laden. An Bord bin ich dran. Und beim Löschen mopsen die Docker wieder, was sie kriegen können. Den Rest kriegt der Befrachter, ein bisschen Schwund ist immer, Bruuhahahaha“! Er schüttete sich schier aus vor Lachen über seine eigenen Gedankengänge. Mit der flächendeckenden Einführung von Containern ist das Problem in dieser Form nicht mehr aktuell, die Crew kommt kaum noch an Ladung heran. Dafür verschwinden im Umfeld der Häfen manchmal ganze Container…
Besagter Eisbär war wirklich eine interessante Type, groß, breitschultrig und mit einem veritablen Rauschebart ausgestattet, sah er wirklich aus wie ein Grizzly im Kesselpäckchen.
Er wohnte gewissermaßen auf dem Schiff, zählte schon ein Jahr zur Stammbesatzung und hatte sich perfekt eingerichtet. Die Kammer hatte er mit einer Teakholz imitierenden Tapete ausgekleidet und damit eine gewisse Segelschiff-Atmosphäre geschaffen. Und die Partys auf seiner Bude waren legendär.
Als ich zum ersten Mal im Rahmen einer größeren Schluckspechteversammlung als Gast auf seiner Kammer weilte, fiel mir ein gerahmtes Foto an der Wand auf.
Ein begeistert grinsendes nacktes Weib posierte an einem Kanal, im Hintergrund fuhr ein Lloyd-Dampfer vorbei. Auf Anfrage erzählte er, dass er sich auf jener Reise an Bord dieses Schiffes befand, das Foto wurde vor zwei Jahren im Wellandkanal in der Nähe von Toronto aufgenommen. Ein cleverer Kanadier war auf die Idee verfallen, seine Freundin splitternackt am Kanal zu positionieren und dann mit den verschiedenen Schiffen im Hintergrund zu fotografieren. Später kreuzte er in Toronto an Bord auf und verscherbelte die Bilder für 15 Dollar pro Stück. Tolles Geschäftsmodell, die sabbernden Maaten rissen ihm die Fotos förmlich aus der Hand. Wir würden kurz vor Toronto diesen Kanal passieren, ich war finster entschlossen, ein solches „Schiffsfoto“ zu erwerben, wenn der Typ auftauchte. Der kam aber dann nicht, die Freundin war es wohl leid geworden, nackt am Kanal herum zu hampeln, während hinter ihr ein Dampfer vorbei zog, wohl wissend, dass von der Brücke sämtliche Ferngläser auf ihren Hintern gerichtet waren.
MS BURGENSTEIN schob sich stetig weiter nach Westen vor, das Hämmern des Schiffsdiesels, das Grummeln und Rumpeln des ganzen Schiffskörpers, ein beständiges leichtes Stampfen und Rollen bestimmte unseren Alltag. Ich benötigte einige Zeit, um mich an das fortwährende Vibrieren, an die permanenten Bewegungen und die allgegenwärtigen Gerüche zu gewöhnen. Mein Alltag spielte sich überwiegend in der eng begrenzten Welt zwischen meiner Kammer, der Pantry und der Kombüse ab. Und wie schon gesagt, für die Unteroffiziere agierte ich noch als verantwortlicher „Raumpfleger“, täglich waren ihre Kammern zu reinigen, die Kojen zu bauen und dergleichen mehr. Der Aufwäscher wurde so ziemlich mit den „niedrigsten“ Tätigkeiten betraut, die an Bord eines Frachters zu vergeben waren. Was mir aber herzlich gleichgültig sein konnte, ich betrachtete das als „Durchgangsstation“, hütete mich aber, diesen Umstand lauthals zu betonen.
Als wir uns nach einigen Tagen Neufundland näherten, trieben Growler auf der See, kleine Eisberge in immer dichterer Folge. Die erfahrenen Janmaaten hatten kaum ein Auge dafür übrig, aber für mich war das natürlich sensationell, wie nahezu alles, was sich hier so abspielte. Und dann war auf einmal vor uns ein kilometerbreites flaches Eisfeld.
Fahrt durch das Eisfeld
Der Alte (inzwischen nannte auch der frischgebackene Aufwäscher den Kapitän so, jedenfalls, wenn er nicht in der Nähe war…) hielt aber unverändert Kurs, und wir pflügten in langsamer Fahrt hindurch. Ob das nun ein Risiko darstellte oder nicht, konnte ich in meiner seemännischen Unbedarftheit nicht beurteilen, aber so kam ich zu einigen spektakulären Fotos. Unsere fünf oder sechs Passagiere auch, und es wurde allgemein behauptet, dass der Alte nur aus diesem Grunde durch das Eisfeld gefahren sei.
Endlich erreichten wir nach acht Tagen die Mündung des St. Lorenz-Stromes und sahen…nichts. Pottendicker Nebel hüllte uns und das Festland ein, wir krochen in langsamer Fahrt nach Kanada hinein, ließen Quebec rechts liegen und machten schließlich in Montreal fest.
Meine erste Atlantiküberquerung per Schiff war beendet. Es sollten noch viele folgen…
Große Seen-Fahrt
Montreal
Am Abend des ersten Liegetages stellten wir beiden Messbüddels einen neuen Abwaschrekord auf, wir wollten ja frühst-möglich an Land gehen. Zu viert zogen wir los, die beiden Kochsmaaten, Uwe und meine Wenigkeit. Ich lernte, dass Landgang in fremden Häfen nicht unbedingt eine ganz leichte Angelegenheit ist, besonders wenn alle Beteiligten zum ersten Mal in diesem Hafen lagen. Wo ist es denn für den Seemann interessant? Und wie kommt man dahin? Gute Tippgeber waren gefragt, einige Piepels mit „Große-Seen-Erfahrung“ befanden sich an Bord, aber deren Aussagen waren ziemlich widersprüchlich. Sehenswürdigkeiten kamen weniger in Betracht, wir arbeiteten am Tage, Zeit hatten wir erst am Abend. Daher ist es wenig erstaunlich, dass Landgänge häufig in Kneipen endeten. Taxifahrer waren die ersten Kontaktpersonen in fremden Ports, und die meinten es nicht immer ehrlich mit Hein Seemann. Man nannte den Namen einer Kneipe, die angeblich das Glück auf Erden verhieß, der Laden war in unmittelbarer Nähe des Liegeplatzes, was die Janmaaten aber nicht wussten, und schon kam man in den Genuss einer recht teuren und unergiebigen Stadtrundfahrt. So ähnlich verlief mein erster Landgang in Kanada.
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