Als sie gegangen waren, fiel die ganze Anspannung von Bajo ab, was durch einen langen, lauten Furz begleitet wurde. „OHHahh, tut das gut!“, seufzte Bajo leise, „ich hätte nicht das Bohnenmus naschen sollen…“ Doch schon waren seine Gedanken wieder bei dem gerade Erlebten. „Die planen was gegen den König von Mondaha, soviel steht fest! Aber was?“, murmelte er. Und an die Schnatterwürmer gerichtet: „Habt ihr das gehört, dieser Gamor hat einen Melonstein, von dem ihr mir erzählt habt.“ „Das riecht nach Verschwörung!“, antwortete Neli. „Aber was können wir dagegen tun?“, fragte Nela. „Tja das weiß ich auch nicht“, bedauerte Bajo. „Ich weiß ja nicht mal genau, was da geplant ist. Und selbst wenn, wer würde mir schon glauben? Außerdem dürfte ich ja gar nicht hier sein… Oh nein! Apropos ‚hier sein‘, meine Pause ist längst vorbei! Der Vorsteher lässt mich in den Kerker werfen! Wenn sie mich nicht sowieso vorher zu fassen kriegen!“ Bajo kroch schnell unter dem Sofa hervor, sprang auf und horchte an der Tür. Da nichts zu hören war, ging er jetzt aufs Ganze. Er schritt hinaus in den Gang und eilte schnurstracks zu der Seitentür zurück, durch die er gekommen war. Wenn ihn jetzt einer erwischte, konnte er immer noch behaupten, er hätte sich verlaufen. Dann rannte er zurück Richtung Fest, wobei er einen anderen Laufburschen aus seiner Gruppe überholte. „Hey, Baja, oder wie du heißt“, rief der ihm hinterher und Bajo stoppte. „Der Oberdiener sucht dich schon! Deshalb hat er mir zwei Aufträge gegeben! Nimm du das Tablet mit dem weißen Perlwein hier, ich hole dann den Rotwein!“ Das war Bajos Rettung! Er nahm das Tablet, bedankte sich und balancierte die Fracht, so schnell er konnte, durch das Getümmel hindurch. „Wo warst du, Bursche? Deine Pause ist längst vorbei! Wieso hast du den… ach egal, los, bring das dahinten hin, zum rosa Buffet! Und dann nochmal das Gleiche zum grünen Buffet, zack zack!“, ermahnte ihn der Vorsteher. Bajo fiel ein Stein vom Herzen, gerade noch einmal gut gegangen.
Mittlerweile hatte das Fest seinen Höhepunkt erreicht, es war ein ohrenbetäubender Lärm; Musik, Gelächter, Gebrabbel und Gekreische hämmerten auf Bajo ein – und auf die Schnatterwürmer. „Das ist uns jetzt doch zu viel des Guten“, meldeten sich Nela und Neli, die sich ja sonst still verhielten. „Wir können nicht mehr, bitte lass uns wieder heim!“ Bajo konnte das gut verstehen. In einem günstigen Augenblick tat er so, als würde er sich kratzen und hielt dabei die Schote in sein Ohr. Gleich darauf kitzelte es auch schon und wenige Augenblicke später verstaute er seine Kostbarkeit wieder unter dem Hemd. Von da an verstand Bajo wieder nur noch ein paar Brocken, aber er kannte inzwischen genügend Wörter im Zusammenhang mit Speisen, sodass er keine Probleme hatte, den Anweisungen des Vorstehers zu folgen. Das Getöse und die Hektik lenkten ihn von den rätselhaften Erlebnissen aus dem Palast ab und er genoss es sogar, das bunte Treiben zu beobachten. Natürlich hatte er auch immer mal wieder versucht Topao in der Menge zu erblicken, aber leider vergeblich und mittlerweile hatte er es auch aufgegeben, ihn zu finden.
Nach etwa zwei weiteren Stunden leerten sich die Reihen langsam. Dafür jedoch wurden die Verbliebenen immer zügelloser. Manche fingen an, sich wild zu küssen, einige Frauen hatten ihre Brüste blankgezogen, ein paar der Hochwohlgeborenen trieben es sogar hemmungslos in den Büschen! Ein Mann stand auf einem Tisch und pinkelte im hohen Bogen in eine Standvase und fiel, noch bevor er fertig war, seitwärts herunter, wo er im letzten Moment von einem Diener aufgefangen wurde. Es wurde mit Essen geschmissen und sich gegenseitig Wein über den Kopf gegossen, was die drumherum stehenden Gäste jeweils mit lautem Gegröle feierten. Bajo konnte es kaum glauben, was sich da vor seinen Augen abspielte. Aber auch wenn dies das beste Beispiel für Dekadenz war, fand er es doch hochinteressant. Seine Blicke hingen natürlich immer wieder an den Frauen, die teilweise schon fast nackt umherliefen. Für die anderen Diener war es anscheinend ein gewohntes Spektakel, sie lavierten unbeirrt zwischen den Feiernden hindurch, räumten die Reste ab, brachten Nachschub und trugen jetzt zunehmend auch die Herrschaften fort, die im Suff schlichtweg umgefallen waren. „Hey, du! Hilf da drüben mit!“, schreckte ihn der Oberdiener auf und Bajo wandte sich nur unwillig von den Büschen ab. Er musste dem Laufburschen helfen, der ihn vorher gerettet hatte. Es machte den Anschein, als wären eigens für das Fest spezielle Tragen gebaut worden, jedenfalls hatte Bajo solche vorher noch nicht gesehen. Sie waren stabil, aber, wie sich herausstellen sollte, leicht konstruiert. Vorn und hinten hatten sie zwei Griffe und die lederne Liegefläche war geformt wie eine längliche Mulde. Sehr von Vorteil, denn so konnte die Person, die transportiert wurde, nicht so leicht herunterfallen, auch wenn sie erwachen und versuchen sollte, wieder abzusteigen. Bajo packte einen volltrunkenen Edelmann mit an und bugsierte ihn mit auf die Trage. Dieser stank nach Schweiß, Alkohol und Urin, sein Hemd war geöffnet und hing komplett aus der Hose, deren Vorderseite aufgeknöpft war und den Blick auf das heraushängende Gemächt freigab. Es war ein erbärmlicher, widerlicher Anblick und Bajo musste ihn weiterhin ertragen, da er, nachdem sie die Trage hochgestemmt hatten, hinten lief. „Ein Glück, dass der hier nicht so viel wiegt, einen Kopf größer und ich würde zusammenbrechen!“, stöhnte Bajo, in schlechtem Malikisch, in Richtung seines Vordermannes. „Keine Sorge, wir haben auch größere Tragen, dann schleppen wir zu viert“, rief der zurück.
Es war gar nicht so einfach, aber wenn sich Bajo an den Gleichschritt hielt, ging es. Ein gutes Stück mussten sie zurücklegen, bis sie zu einem Gebäude gelangten, in dessen Innerem eine Reihe von kleinen Zimmern lag, in denen sich jeweils eine große, flache Liege befand. Ansonsten gab es nur noch einen kleinen flachen Tisch mit einem Krug Wasser und ein paar gefalteten Tüchern darauf. Neben der Liege stand eine große Schüssel, für den Fall, dass sich einer der Zimmergäste übergeben musste. Diese Räume waren ganz klar extra für die ‚Leichen‘ der Feste hergerichtet worden, denn auch wenn der Großteil der Besucher die Feier mit den normalen Sänften wieder verließ, gab es doch immer einen - nicht unerheblichen - Teil, der komplett abstürzte. Sobald sie also den Edelmann verfrachtet hatten, ging es auch schon wieder zurück. Bajo bedankte sich noch einmal bei dem anderen Laufburschen, mit seinen drei Brocken Malikisch, die er gelernt hatte, für die Rettung von zuvor. Der klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und sagte etwas wie „man müsse zusammenhalten“.
Nachdem die beiden weitere zwei Edelmänner und eine weibliche Hochwohlgeborene untergebracht hatten, war das große Aufräumen angesagt. Bajos Rücken schmerzte mittlerweile stark, aber was sollte er machen? Dazu kam auch das Arbeiten zu später Stunde, das war er nicht gewohnt. Als die Sonne schon aufgegangen war, kam endlich der Befehl, sich wieder auf dem Platz vor der Großküche zu versammeln. Bajo war völlig abgekämpft und froh, Leandra endlich wiederzusehen, die dort schon auf dem Boden kauerte. „Na, wie ist es dir ergangen?“, fragte sie ihn gleich. „Oh, frag nicht, mir tun alle Knochen weh, noch ein Stündchen und ich wäre zusammengebrochen“, klagte Bajo, „Und bei dir?“ „Langweilig! Nur in der Pause… erzähle ich dir später…“, unterbrach sich Leandra selbst. Ein weiterer königlicher Angestellter kam hinzu, welcher der Zahlmeisterei zugehörig war. Alle mussten sich in eine Reihe stellen und bekamen, nach einer Unterschrift auf einem Dokument, ihren Lohn ausgehändigt. Die Erfahreneren erhielten dabei ein wenig mehr.
Es dauerte nicht lange und die Wirtin erschien, um sie zurück zur Herberge zu führen. Die Straßen waren bereits wieder recht belebt und Leandra und Bajo fielen erst ins Bett, als die allgemeine Frühstückszeit längst vorüber war.
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