1 ...6 7 8 10 11 12 ...31 Ahnst du, warum ich den Globus mitgebracht habe?“, fragte ihr Boss sie plötzlich direkt. Für dieses Verhalten war er in der Branche bekannt, aber jetzt erschrak Pattie doch etwas. Er schaute weiter auf den sich immer langsamer drehenden Globus.
Pattie zuckte mit den Schultern, ihr Kopf war von dem Meeting und den Auberginen noch wie leer. Und jetzt lobte der Boss sie noch dafür, was sie gesagt hatte. Dass die Firma bald den Bach runtergehen würde? „Nein“, sagte sie dann, „warum?“
„Pattie, nun schau doch mal auf den Globus, was siehst du da?“
Sie wusste nicht, was er meinte. „Die Welt,“ bemerkte sie zaghaft.
„Ja, das auch, Pattie, aber doch noch etwas!“
„Ja?“. Was wollte er nur von ihr?
„Unseren Markt!“
Pattie musterte ihn ratlos. Was meinte der Kerl? Sie hatten doch noch nie auch nur einen einzigen Kubikfuss ins Ausland geliefert.
„Ja, Pattie, unseren Markt, nennen wir ihn doch einmal ganz einfach den Welt-Markt!“. Wurde er jetzt noch zynisch, fragte Pattie sich?
Doch dann passierte etwas in Patties Kopf, da rasten plötzlich die Gedanken. Das Gehirn war im Bruchteil einer Sekunde aus dem Auberginen-Leerlauf in den Fracking-Turbomodus geschaltet worden: Keine Auberginen mehr! Dafür Fracking – Gas – Markt – Weltmarkt – Kontinente – Länder – Menschen. Alles Menschen, die Energie brauchten. Verbrauchten. Kauften. Bezahlten.
Sie lächelte leise, als sie den CEO ansah: „Ich denke, ich habe dich verstanden! Du willst, dass wir den Weltmarkt...“
„Nein“, schüttelte der CEO den Kopf, „nein, Pattie, nicht den Weltmarkt, dafür sind wir viel zu klein, das ist doch klar! Ich bin doch kein Träumer!
Aber einen kleinen Teil davon: Nämlich Europa, nur das gute alte Europa...!
Und ich möchte, dass du, Pattie, jetzt diesen Globus mitnimmst und uns, für in ein paar Tagen, eine schnuckelige kleine Präsentation vorbereitest, mit der wir die anderen Dummköpfe überraschen. Nimm dir lieber einen Tag mehr Zeit als einen zu wenig. Du wirst das machen. Betonung auf „du“. Denn das wird ausschließlich deine Idee gewesen sein. Das wird besser sein, als wenn ich das mache. Betrachte es als mein Geschenk an deine Karriere oder als Dankeschön für deinen Mut.
Weißt du, ich bin der Boss, von dem erwartet niemand Ideen. Ich muss sie nur dazu bringen, dass wir sie alle gemeinsam abnicken – Mrs. Pattie Bronski, das kann ihr Weg in eine strahlende Zukunft sein.
Mach´ es gut, Pattie, denn das ist deine ganz große Chance, es kann DIE Chance deines Lebens sein. Versau es nicht. Und vergiss das Wochenende, ich werde dich hier brauchen. Schick Mann und Kinder zur Schwiegermutter oder sonst wo hin. Dieses Wochenende gehörst du mir!“
Pattie griff mit zitternden Händen nach dem Globus und trug ihn vorsichtig zur Tür. Oh Gott, wie sollte sie das schaffen? Europa – da würde sie eine Menge googlen müssen! Das würde schwierig werden, aber noch schwieriger würde es sein, ihrem Mann zu erklären, dass er seine Mutter zum Mond schießen oder sonst wo hin schicken könne. Aber sie würde jedenfalls nicht kochen, keine Auberginen braten müssen, nichts! Andererseits war die Idee eigentlich verdammt befreiend und befriedigend, fand sie. Nein, oder besser ja, sie erkannte eine Chance, wenn sie Sie ansprang. Und diese leckte ihr geradezu liebevoll die Nase...
„Ich erwarte ein paar wirklich ungewöhnliche Ideen von dir, Pattie, wahrscheinlich werden es sogar verdammt kreative Ideen sein müssen, wenn du unsere, äh, natürlich deine Idee von unserem neuen Markt in Europa durchsetzen willst. Denn noch wissen weder deine Kollegen noch die Europäer von ihrem Glück! Pattie, wirf alle möglichen Bedenken über Bord, mach dich frei, sei grenzenlos, think big! Think bigger! Darauf wird es ankommen. Und denke daran, dass es nicht nur die NaGaA gibt.“
Damit war sie jetzt dann doch endgültig entlassen.
Sie ging in ihr Büro, stellte Moscones Globus auf ihren Tisch und öffnete Google Earth. Die Welt – auch die virtuelle – erschien ihr plötzlich riesig, und sie schien ihr schwer auf den Schultern zu lasten.
Sie musste an Atlas denken. Und dass der eigentlich ein ziemlich armer Kerl gewesen sein musste.
Bei Pattie Bronski zuhause
27. September 2018. Als Pattie am Abend nach Hause kam, hatte der Lieferdienst gerade Pizzen, Salat, Dressing und eine Flasche Wein geliefert. Die Zwillinge hatten in Zusammenarbeit mit dem hungrigen Vater, in Anbetracht von Patties wenig ausgeprägten Fähigkeiten als Köchin und Küchenmanagerin, richtig gehandelt. Sie waren das gewohnt, die Fahrer aller Lieferdienste kannten die Anfahrt zum Haus der Bronskis aus dem ff.
Pattie war dankbar, dass sie gleich irgendetwas zu Essen bekommen würde. Bloß keine Auberginen! Sie war immer noch aufgeregt über den neuen Job.
Sie deckte den Tisch, als Fred in die Wohnküche kam. „Gibt´s was Neues?“ fragte er uninteressiert.
Pattie legte die Bestecke neben die Teller und griff nach der ersten Schachtel, um die Pizza auf einen Teller zu legen. Soviel Stil musste mindestens sein. Es reichte, wenn das Essen aus der Pappschachtel kam, man musste nicht auch noch von Pappe essen, fand sie. „Schinken, Pilze und doppelt Oliven“ – das war für Fred. Sie schob ihm seinen Teller ´rüber.
„Rosi, Mel´“, rief sie, „Essen!“
Die beiden erhielten „Quattro stagione“, wie immer. Die Pizzen glitten aus den Schachteln, als die beiden die Küche betraten. Sie hatten neue Frisuren, was Pattie nicht sofort wahrnahm.
„Setzt euch“, sagte sie fröhlich.
Die vierte Pizza war „Salami scharf“. Das war gemein, das mochte sie überhaupt nicht. Egal.
„Wer tauscht mit mir?“, fragte sie.
„Gib her“, sagte Fred, „da muss der Pizzeria ein Fehler passiert sein. Schmeckt mir auch.“
Sie tauschten die Teller. Fred erntete einen dankbaren Blick.
Sie konnte sich nicht mehr zurück halten, neue Frisuren der Zwillinge hin oder her, „ihr werdet es nicht glauben, Mama macht Karriere, der Boss hat mir eine ganz tolle Aufgabe gegeben!“
„Na und?“, maulte Rosi, „springt für uns etwas dabei raus?“
„Vielleicht endlich ein vernünftiges Taschengeld?“, ergänzte Mel, „Alle in der Klasse kriegen mehr als wir. Und endlich ein iPhone – das neue soll ganz toll sein.“
„Das heißt, du wirst in Zukunft noch weniger Zeit für uns haben?“, fragte Fred ziemlich lustlos. „Oder wirst du gar versetzt?“
„Weiß nicht“, sagte Pattie mit vollem Mund, „im Moment erst einmal nicht. Wisst ihr was?“
„Na, was schon?“, maulte Mel, „Wird schon kein iPhone rausspringen, das ahne ich schon...“
„Ich soll für die ganze amerikanische Gasindustrie den europäischen Markt aufreißen!“
„Apropos aufreißen, ich glaube, du solltest mal wieder mit Fred poppen, der wird so komisch in letzter Zeit, total unbefriedigt, sagt Jenny von nebenan“. Das war jetzt Rosi.
Mel und Rosi waren an der tiefsten Stelle im Bermuda-Dreieck der Pubertät versunken. Angeblich würde in der Pubertät das Gehirn mehr oder weniger aufgelöst, hatte Pattie gelesen, und irgendwann danach wieder neu und anders zusammengebaut. Pattie befürchtete allerdings, dass für ihre Töchter die Baupläne weggeschmissen worden waren.
„Rosi“, sagte Fred lust- und kraftlos, „was soll der Mist?“
„Wäre vielleicht keine schlecht Idee“, stimmte Mel ihrer Zwillingsschwester zu. Übrigens ist mein Taschengeld alle und nächste Woche ist Klassenfest, da brauche ich Klamotten, Schminke und Friseur. Wer zahlt?“. Sie schaute ihre Eltern mit ausgestreckter Hand auffordernd an. „Rosi auch!“
„Ich bin dran“, seufzte Pattie, „übrigens eure Frisuren sind Scheiße! Geld gibt´s nachher. Abmarsch!“
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