1 ...7 8 9 11 12 13 ...31 Die Mädels hatten ihre Pizzen nur angeknabbert, aber das reichte ihnen.
„Stimmt das, was du da eben erzählt hast, das von dem Job?“, fragte Fred immer noch nur mäßig interessiert.
Pattie nickte begeistert.
„Das heißt dann, dass wir dich noch viel seltener zu sehen bekommen, oder?“
„Könnte sein“, sagte Pattie.
Fred schob sich den letzten Pizzabissen in den Mund. „Gratuliere!“, sagte er, „und auf den Kuss verzichtest du wahrscheinlich dankend, vermute ich...“
„Ach, Fred“, seufzte Pattie, „das ist doch schon lange durch zwischen uns. Das wissen wir doch beide.“
„Hast wohl Recht“, sagte Fred und überließ Pattie das Abräumen, „ist trotzdem irgendwie schade.“
4. Oktober 2018. Sie hatte es nicht ganz geschafft, zu viele Dinge mussten von ihr recherchiert werden, zu viele Aspekte bedacht werden – und „think big“ hatte sie nicht losgelassen. Deshalb war es Mittwoch geworden. Dieselbe Runde, dieselbe Zeit, derselbe Raum, dieselbe Stimmung. Der Montag, nein Mittwoch. Für Pattie war es die Mutter aller Mittwoche.
CEO Derrick Henry Moscone eröffnete die Sitzung heute sogar mit zwei entschieden gut gelaunten Schlägen gegen die Glocke der „Charles W. Morgan“. Er war erstaunlicher Weise gut gelaunt, so gut gelaunt, wie er sein konnte. Am Morgen hatte Pattie ihm gezeigt, was sie vorbereitet hatte, ja, das Mädchen war nicht schlecht. Er hatte noch ein paar Hinweise gegeben, ihr einige Formulierungen empfohlen – aber im Großen und Ganzen war Patties Präsentation... präsentabel!
Die Tagesordnung war kurz. Vorstellung der Ideen, lautete sie. Dann gab er für einen Moment wieder den schlecht gelauntesten Ahab, den er konnte, was ihm nicht schwer fiel:
„Ich hatte letzte Woche eure Ideen eingefordert. Ihr scheint das nicht wirklich ernst genommen zu haben, denn einzig unsere verehrte Pattie Bronski hat mir mitgeteilt, sie hätte eine kreative Idee, die sie uns vorstellen wolle.
MacKinnley und Clay haben, es war nicht anders zu erwarten, die Gelegenheit benutzt, unverschämt ein paar alte Hüte aufzupolieren, um Geld für ihre Uralt-Projekte zu fordern. Geld, von den ihr beide ganz genau wisst, dass wir es nicht haben. Ich weigere mich, auf eure Einfälle einzugehen. Abgelehnt. Beide.
Von Euch anderen kam dagegen absolut nichts. Leute, Leute... Ich weiß nicht, was Pattie uns gleich vorstellen wird, ich hoffe aber, das es sich um eine brauchbare Idee handeln wird. Allerdings hat sie mich gewarnt, dass es sich um eine ziemlich gewöhnungsbedürftige Vorstellung handeln könnte... Das waren doch deine Worte, Pattie, oder? Jedenfalls hat sie mich neugierig gemacht. Ich hoffe, euch auch...
Bill! Hör bitte auf zu kritzeln, das macht mich nervös!“
Alle Männer im Raum blickten auf Pattie und hatten, wie in der Schule, beide Hände auf der Tischplatte. Die Bronski also. Sie nun wieder, die einzige Frau in der Runde, und das auch noch nicht lange. Pattie Bronski nickte nur. Heute trug sie eine Brille mit dünnem schwarzem Gestell, was ihr zu den wieder perfekt gestylten Struwwelhaaren und dem blaugrünen Augen-Make-up verdammt gut stand. Das Gesamtpaket wirkte auf die ihr zuhörenden Männer gleichzeitig anziehend und distanzierend. In dem Kreis hatte sie noch nie Brille und noch nie dieses Make-up getragen. Aber ihre Style- und Rhetorik-Trainerin hatte ihr dazu geraten.
„Ich hoffe,“ fuhr Moscone fort, „Pattie hat etwas, was wir brauchen, um unsere NaGaA durch das kabbelige Fahrwasser zu steuern, in dem wir uns befinden. Pattie..., dein Publikum,“ forderte er sie mit einer einladenden Handbewegung auf.
Pattie hatte den Globus aus Moscones Büro mitgebracht. Sie erhob sich, strich den knielangen Rock über den schlanken Beinen mit zwei schnellen unbewussten Handbewegungen glatt und ging dann die wenigen Schritte zu der Weltkugel, die wieder an dem Platz von neulich stand.
Sie nahm die Brille mit der Linken ab und legte wortlos die Rechte auf den Globus, dann gab sie ihm einen kleinen Schwung, so dass er sich langsam zu drehen begann. Sie blickte sinnend auf die kleine Erdkugel und wartete noch einen Moment, um die Spannung zu erhöhen.
Alle schauten dem Globus ungefähr drei Umdrehungen lang zu, bis einer der Zuhörer auf seinem Stuhl zu rutschen begann.
„Die Welt“, begann Pattie endlich mit einer Stimme, wie man sie aus den Wissenschaftsdokumentationen im TV kennt, wenn der Urknall angekündigt wird, oder wenn Captain Kirk in die „Unendlichen Weiten...“ abfliegt. Dann setzte sie die Brille in einer kleinen eleganten Bewegung auf, die unbewusst wirkte und doch sehr genau berechnet war, „ist doch eine relativ kleine Kugel!“ Pause. „Das könnte eine Sichtweise sein.“
Sie stoppte die Drehung des kleinen Weltkugelmodells so, dass Amerika zu ihren Zuhörern zeigte. Sie blickte ihr Publikum dabei direkt an, nahm die Brille wieder ab und deutete mit ihr auf den nordamerikanischen Kontinent auf dem Globus.
„Da ist Nordamerika mit den USA und Kanada. Unser natürlicher Markt, hier leben unsere Kunden...“
Dann sprach sie – mal mit, mal ohne Brille auf der Nase – über Kontinente, über Klimazonen, über die wichtigsten Länder, über deren Industrialisierungsgrade und Energieverbräuche. Sie zeigte, wo Chemieindustrien und deren Kunden angesiedelt waren, zeigte auf, welche Produkte in anderen Ländern aus LNG hergestellt wurden.
Sie machte ihre Sache so gut, dass die Kollegen ungewollt begannen, ihr gebannt zuzuhören. Sie wies auf Vertriebsmöglichkeiten und -wege hin, zeigte die existierenden und geplanten Pipelines, Im- und Exportwege von LNG via Gastanker, zeigte auf Karten, wo es LNG-Lade- und Entladeterminals gab.
Sie zeigte, welche gasexportierenden Länder es gab und welche importierenden und welche Mengen im- und exportiert wurden. Und sie wies darauf hin, dass in den meisten Regionen der Welt das Gas deutlich teurer verkauft werden konnte, als in den USA.
Ihre wenigen Slides waren sehr gut gemacht – aber es waren ihre Worte, nicht die Bilder, die die anderen in ihren Bann zogen. Kaffee und Schnittchen interessierten heute niemanden – denn das da, das was Pattie ihnen vortrug, das faszinierte sie so sehr, dass sie alles andere vergaßen.
Zum Schluss erläuterte sie, dass es auf der Welt nur einige wenige potente, potenzielle Kunden für US-amerikanisches Gas geben würde und zählte sie auf: Japan und Europa und dort vor allem Deutschland. Die Preise betrügen in beiden Ländern ein Vielfaches des US-Preises.
Das brachte das Lächeln in die Gesichter aller am Tisch zurück, insbesondere Moscone grinste jetzt stark.
Dann sprach Pattie davon, dass Fracking-Gas gerade in Europa leider über ein sehr schlechtes Image verfügen würde, was die euphorische Stimmung wieder etwas trübte.
„Aber jedes Image kann man ändern...“, sagte sie, und der Marketingmann stimmte ihr demonstrativ und lautstark zu, ehe sie fortfuhr: „Problematisch werden zwei andere Aspekte sein:
A) – ohne Brille – Wie wollen wir unser schönes Gas aus Amerika nach Europa bringen, um unser Geld zu verdienen? Pipelines könnt ihr vergessen. Wir werden bei den in Frage kommenden Mengen, die Deutschland und Europa von uns kaufen werden, eine ganze Flotte von speziellen LNG-Tankern brauchen, die das Gas bei minus 165°C transportieren. Chartern werden wir die nicht können, man wird sie bauen müssen. Das wird Zeit und Geld kosten. Viel Geld.
B) Und dann ist da noch“, – Brille endlich wieder auf und ein strenger Blick in ihre Zuhörerschaft –, „eine leider sehr dumme Sache. Sorry“, sagte sie, „bis hierher hört sich alles easy an. Aber diese verdammten Russen“, sie drehte den Globus so, dass Russland zu den Betrachtern schaute, dann präsentierte sie noch einmal das Slide mit der Karte, die die Pipelines in Europa zeigte, „sind im wahrsten Sinne mit Europa richtig gut vernetzt. Schaut euch mal dieses Netzwerk von Pipelines an. Das ist die echte Bedrohung! Die sind nämlich schon da, wir werden die Newcomer sein. Das wird auf einen Preiskrieg zwischen uns und denen hinaus laufen – aber der Preis wird in Europa sicherlich nicht so tief fallen wie in den USA. Also, das ist meine Idee. In groben Zügen. Zu mehr war in den paar Tagen keine Zeit.“
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