Ab und zu fragt und sucht er auch nach ihr – aber für eine richtig intensive Suche fehlen Zeit und Gelegenheiten.
Der Einfachheit halber überspringen wir jetzt ein paar in Kalles Leben wichtige Jahre. Vor allem die, in denen er „Spezialisten“ in Moskau ausbildet und dann für deren Prüfungseinsätze nach Kuba geht 1und sich mit Fidel und vor allem Raúl anfreundet.
Anfang Dezember 2018 passierte ein technisches Ungetüm die ebenfalls sehr beeindruckende Brückenkonstruktion der 1.624 Meter langen Storebaeltsbroen , die mit dem Großen Belt zwischen Nyborg und Korsör, einen der beiden Eingänge in die Ostsee überbrückt.
An beiden Ufern standen Tausende technikinteressierte Dänen 2mit Ferngläsern und Fotoapparaten, um ein nie dagewesenes Schiff zu sehen und zu dokumentieren, die „Pioneering Spirit“. Sie ist das größte Schiff der Welt, als Schiff oder als technische Entität noch weitaus beeindruckender als jeder Flugzeugträger – das betrifft das Schiff, seine Technik und seine Aufgabenstellung, nicht aber die pure Zerstörungskraft eines Carriers. Und das Riesenschiff kam mal so eben unter der Brücke durch... Aber niemand musste um die Brücke fürchten, die Techniker an Bord hatten alles perfekt im Griff!
Die „Pioneering Spirit“ ist mit 382 Metern Länge so lang wie ein Supertanker. Das ist groß, sogar verdammt groß. Wenn Sie an Land vor so einem Supertanker stehen, ist das Ding sogar unglaublich riesig. Auf hoher See können sich die Maßstäbe dann allerdings doch etwas verschieben, da kann man so einen Schiffsgiganten auch schon mal als verdammt (zu) klein empfinden – vor allem bei dem richtigen, genauer gesagt, beim falschen Wetter!
Aber noch erstaunlicher als die Länge ist die enorme Breite des Schiffes, die unglaubliche 124 Meter beträgt.
Eigner des Riesenschiffes, das ihn mehr als 3 Milliarden Euro gekostet hat, ist die Allseas Group, die in Châtel-Saint-Denis residiert – das ist in der neutralen Schweiz. Ausgerechnet in der Schweiz? Ja, in der Schweiz! Vielleicht weil sich die Menschen an der Küste oder in Holland, wo die verrückte, weil völlig neue, und ungewohnte Idee zu diesem Monstrum entstand, bei der Idee von so einem Blödsinn nur an die Stirn getippt und umgedreht hätten.
Die „Pioneering Spirit“ darf man sich als ein wie aus zwei Supertankern im Abstand von ca. 55 Metern zusammengeschweißtes technisches Monstrum vorstellen, dessen knapp 600 Besatzungsmitglieder zwei Hauptaufgaben haben:
1.) Den Abbau von nicht mehr benötigten supergroßen Bohrinseln in einem Stück in der Nordsee, wenn die entsprechenden Ölfelder leergesaugt sind. Ja doch, Sie haben eben völlig richtig gelesen: Die riesigen Oberteile von Ölproduktionsplattformen über dem Stützensystem vom Boden bis 30 Meter über dem Meeresspiegel, also die eigentlichen technischen Betriebsteile wie Förderanlagen, Fabrik und Aufenthaltsräume für die Mannschaft werden in einem Stück angehoben und abtransportiert – das können schon mal 50.000 Tonnen Stahl sein! Die „Pioneering Spirit“ schafft das.
2.) Pipeline-Verlegung in tiefen Gewässern. Als die „Pioneering Spirit“ in die Ostsee einlief, geschah das, um ihre andere Fähigkeiten einzusetzen: Kurz nach Weihnachten 2018 begann die „Pioneering Spirit“ mit den Verlegearbeiten für die North Stream 2-Pipeline in finnischen Gewässern. 
Die Firma Texas Petrol wurde 1958 als klassische Erdölsuch- und Förderfirma in Texas gegründet. Seit dem Jahr 1985 konzentrierte man sich auf die Förderung von Erdgas und seit 1998 auf die Förderung von Erdgas im damals neuen technisch aufwendigen Fracking-Verfahren. Das war der Zeitpunkt als sie zur National Gas of the Americas (NaGaA) umfirmierte.
Die Verwaltung der NaGaA residiert seitdem im 12. und später im 12. bis 14. Stockwerk des klassisch-repräsentativen Gebäudes der Industrial National Bank in Providence, das an der vornehmen Kennedy Plaza liegt. Es wird von den Einheimischen wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Gebäude des Daily Planet in den alten Superman Comics in einer Mischung aus Stolz, Bewunderung und leichtem Spott als „Superman Building“ bezeichnet.
Es handelt sich um das höchste Gebäude in Providence und in ganz Rhode Island. Die imageträchtigen Begriffe (Kennedy, National Bank, Höhe und Superman) hatte die NaGaA über die letzten 60 Jahre gerne „mitgenommen“, denn man empfand sich ja auch in jeder Weise herrausragend.
Im Moment läuft das Geschäft allerdings gar nicht gut, und das ist eine „höfliche“ Umschreibung der Situation – nicht nur der NaGaA, sondern der gesamten US-amerikanischen Fracking-Gas-Industrie, ihrer Zulieferer und der Begleitumstände.
Die Preise von Erdgas und damit auch von Fracking-Gas waren nach einem Allzeithoch im Jahre 2012 ins Bodenlose gestürzt. Eine ehemals stolze neue Vorzeigeindustrie Amerikas stand vor dem Nichts. Dass keiner Gas wollte, konnte man nun wirklich nicht sagen, aber keiner war bereit, für Erdgas mehr als 2 bis 3 US$ pro mmBtu zu bezahlen – das musste auch keiner, weil das Angebot groß genug war.
Mittwoch, 27. September 2018. Die Stimmung war ausgesprochen mies, als NagaA-CEO Derrick Moscone gegen 10.00 a.m. seinen Platz am Kopf des Besprechungstisches im kleinen, aber prächtigen George P. Mitchell-Tagungsraum eingenommen und das Meeting mit einem Schlag der Schiffsglocke eröffnete, die einmal auf dem berühmten Walfisch-Fänger „Charles W. Morgan“ die Glasen geläutet hatte.
Eigentlich war die Stimmung in der ganzen Firma schon lange vor dem Meeting schlecht gewesen. Und noch „eigentlicher“ war die Stimmung in der ganzen Fracking Industrie seit Jahren desaströs, weil alle unter dem enormen Preisverfall auf dem Heimatmarkt litten.
Natürlich gab es auch Gewinner in diesem von den kleinen Anbietern nicht zu gewinnenden Krieg um Kunden, das waren die großen Firmen ExxonMobil, BHP, Halliburton und einige andere der Energieriesen, die z.B. mit Öl das Geld verdienten, das sie einsetzten, um an kleinen Firmen aufzukaufen, was aufzukaufen war. Denn eines Tages würde der Schweinezyklus vorbei sein, und dann würden die Preise wieder in (un)geahnte Höhen steigen und allein die mitgekauften Schürfrechte der Kleinen würden bares Gold oder Bitcoin, oder wie die Währung dann heißen würde, wert sein.
Die Pracht des Besprechungsraumes passte im Moment ebenso wenig zur Stimmung, wie die draußen herrschenden spätsommerlichen Temperaturen, und die Farbenpracht des Indian Summer .
Keiner der Beteiligten, und das waren alle leitenden Angestellten der NaGaA, hatte eine andere Atmosphäre erwartet. Und alle hatten sie Angst vor diesen Montagmorgen-Treffen der Firmenleitung, denn CEO Derrick Moscone war in der Branche als unberechenbarer Choleriker bekannt!
Die Umsatzzahlen waren im letzten Quartal noch einmal tiefer in den Keller gerutscht, nachdem man zuvor doch schon geglaubt hatte, die Talsohle erreicht zu haben. Hatte man aber offenbar nicht...
Die Kosten blieben trotz aller Sparmaßnahmen auf einem zu hohen Niveau – das wussten sie alle, und die NaGaA hatte wirklich alles versucht: Man hatte Mitarbeiter entlassen, sogar der bis dato kostenlose Kaffee war im 12. und 13. Stock rationiert worden. Letzteres nicht, weil das irgendeine messbare Einsparung brachte, das wussten auch die Verantwortlichen dieser Maßnahme, sie war vorgenommen worden, um auch dem letzten verbliebenen Mitarbeiter den Ernst der Lage zu demonstrieren.
Aber ernst war es nicht nur für die NAGAA, nein, das betraf alle Fracking-Firmen und auch die Zulieferer. Der heimische Markt für Erdgas war zu Dumpingpreisen gesättigt, neue Absatzquellen fast unmöglich zu erschließen und weder mittel- noch langfristig waren neue Abnehmer in Sicht.
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