Wolfsgeheul drang zu ihnen und entfernte Schüsse peitschten durch die Nacht. Hannah zuckte unwillkürlich zusammen, genauso wie der Welpe.
Als sich ein großer warmer Pelz an ihren Rücken drückte, erstarrte sie. Ein weiterer Körper drängte sich an ihre nackten Beine und nacheinander schoben sich zwei große Köpfe auf ihren Bauch. Hannah hielt vor Schreck erst die Luft an. Doch dann entspannte sie sich. Bisher hatte kein Wolf, den sie hier angetroffen hatte, sie in irgendeiner Form bedroht, und sie war sich sicher, dass dieser unheimliche Mann eingegriffen hätte, wenn sie in Gefahr gewesen wäre.
Es dauerte nicht lange und die Fellträger übertrugen ihre Wärme auf sie. Völlig erschöpft schob Hannah ihre Hände in den dichten Pelz und schloss die Augen. Dann ließ sie sich von der Wärme und dem fernen Wolfsgeheul in den Schlaf treiben.
*
Ollie Nicholson fluchte unterdrückt und senkte das Fernglas. Langsam wurde es dunkel und die Jagd würde schwieriger werden. Er sah zu seinem Freund, doch der schüttelte den Kopf.
„Stan meldet sich nicht. Und Willy auch nicht. - Glaubst du, dass dieses Miststück die zwei erwischt hat?“
Ollie lachte verächtlich auf.
„Wohl kaum. Die blutet wie ein angestochenes Schwein. Ich schätze mal eher, dass die beiden mit ihr ihren Spaß haben.“
Ein Stöhnen ließ ihn zur Seite blicken.
Sein Kumpel Joe lehnte an einem Baum und hatte die Hände geballt. Dicke Verbände prangten an seinen Beinen und an seinem Arm. Die rechte Gesichtshälfte war rot und geschwollen.
„Die sollen mir noch was von ihr übriglassen“, knirschte er.
Ollie grinste.
„Keine Sorge, du kennst sie doch. Trotzdem blöd, dass sie sich nicht melden. - Scheiße, was war das?“
Er sprang auf und richtete sein Gewehr auf das Gebüsch neben ihm. Aber alles blieb still.
„Sei nicht so nervös“, lachte der mit dem Fernglas. „Hier ist ...“
Das Heulen klang direkt in der Nähe auf und ließ die drei Männer zusammenzucken.
„Verdammt, Sean“, fluchte Ollie. „Ich wusste doch, dass ich was gesehen habe. Hier treibt sich mindestens ein Wolf rum. Vielleicht sollten wir ein Feuer machen.“
„Hast du etwa Schiss vor einem Wolf?“, fragte Sean verächtlich.
„Nein, du Idiot, aber ich mag es nicht, aus dem Dunkeln heraus angegriffen zu werden.“
„Das kommt so gut wie nie ...“
Wieder erklang ein Heulen, dieses Mal von der anderen Seite. Die Männer lauschten.
„Also mindestens zwei“, knurrte Ollie. Zwei Wölfe heulten gleichzeitig, wieder aus verschiedenen Richtungen. Die Männer sahen sich an. In beiden Gesichtern stand Unbehagen.
„Shit“, stöhnte Joe. „Haben die uns eingekreist? Was soll denn das? So hungrig können die um diese Jahreszeit doch gar nicht sein.“
Abermals ertönte ein Heulen, dieses Mal ganz in der Nähe. Ollie wirbelte herum und schoss mehrmals geradewegs in die Richtung. Ein Jaulen erklang.
Ollie grinste triumphierend.
„Na also. Wartet einen Moment. Dem Mistvieh gebe ich den Rest. Der kann nicht weit weg sein.“
Ehe seine Kameraden protestieren konnten, stapfte er los. Sorgsam hielt er nach Spuren und Bewegungen Ausschau, aber in der Dunkelheit konnte er trotz Taschenlampe nichts entdecken.
Irgendwann blieb er stehen und fluchte leise. Er hätte den Wolf schon längst sehen müssen. Noch einmal ließ er den Blick schweifen, dann drehte er sich um und erstarrte.
Direkt vor ihm stand ein riesiges schwarzes Ungetüm und starrte ihn aus grünschillernden Augen mit einem leisen Grollen an.
Ollie war starr vor Angst. Noch nie hatte er einem so großen Wolf gegenübergestanden. Der Kopf dieses Monstrums befand sich beinahe auf gleicher Höhe mit seinem eigenen und war höchstens einen Meter von ihm entfernt. Der gewaltige Körper war von ungewöhnlich zotteligem Pelz bedeckt und die Pfoten endeten in furchteinflößenden Krallen.
Ollie umklammerte das Gewehr und überlegte krampfhaft, wie er die Waffe schnell genug in Anschlag bringen sollte.
Er brauchte Abstand. Vorsichtig machte er einen Schritt nach hinten. Das Vorderbein des Wolfes schlug so schnell nach vorne, dass Ollie keine Zeit fand, zu reagieren. Die Krallen erwischten seinen Arm mit solcher Kraft, dass das Gewehr weit zur Seite flog. Ollie brüllte vor Schmerz auf und stürzte zu Boden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht umfasste er seinen Arm. Entsetzt sah er die vier tiefen Furchen im Oberarm, aus denen rotes Blut hervorquoll. Panisch sah er zu dem Wolf, der immer noch an seinem Platz stand und ihn unverwandt ansah. Stöhnend raffte Ollie sich auf und griff nach der Pistole.
Mit einem Riesensatz sprang der Wolf vor und landete mit den Vorderpfoten auf seinem Oberkörper. Ollie wurde in den Waldboden gedrückt und stieß erneut einen Schrei aus. Immer noch zerrte er an der Pistole, aber ein plötzlicher Schmerz in der Hand ließ ihn aufbrüllen.
Entsetzt sah er in das Gesicht eines weiteren Wolfes. Dieser war deutlich kleiner als der schwarze Riesenwolf, aber seine Augen glommen genauso grün und entschlossen.
Tiefes Knurren ließ ihn wieder hochblicken, direkt in das aufgerissene Maul des Riesenwolfs.
„Heilige Mutter Gottes“, krächzte er.
*
Joe und Sean sahen sich kreidebleich an, als die Schreie zu ihnen herüberdrangen.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße“, murmelte Sean. „Was passiert da gerade? Dieser Idiot, warum läuft er auch alleine los?“
„Du musst ihm helfen!“ Joe umklammerte sein Gewehr. „Na los, verdammt. Such ihn! Ich komme schon klar.“
Sean schluckte. Er verspürte nicht die geringste Neigung, allein loszugehen, aber er hatte wohl keine Wahl. Joe war nicht in der Lage zu laufen. - Aber diese Schreie!
Seine Hände umkrallten die Waffe und er ging los. Verdammt, warum meldeten sich Willy und Stan nicht?
Langsam und vorsichtig pirschte er sich vorwärts. Die Schreie waren inzwischen verstummt und das war nicht gut. Gar nicht gut!
Nach wenigen Minuten stockte er und rang nach Luft.
Vor ihm lag Ollie - oder besser gesagt das, was von ihm noch übrig war. Sein Körper war völlig zerrissen. Arme, Beine, Kopf, nichts war mehr am Rumpf zu sehen. Kaltes Grausen erfasste ihn, als er sah, dass die Messer noch in dem Gürtel steckten. Mit einem erstickten Laut drehte er sich um und erbrach sich. Als er sich aufrichtete, fiel sein Blick auf den abgetrennten Kopf. Die toten Augen starrten ihn anklagend an.
Sean rannte los. Keuchend kam er am Lagerplatz an und blieb nach Atem ringend vor Joe stehen.
„Shit, Joe“, würgte er hervor. „Ich ...“
Er brach ab und starrte seinen Freund an. Dieser saß immer noch an den Baum gelehnt, die Augen weit aufgerissen. An seinem Hals klaffte eine riesige Schnittwunde, aus der rotes Blut pulste. Sean torkelte zurück, als er registrierte, dass Joes Hände fehlten. Die Armstümpfe sahen aus, als wären die Hände einfach abgerissen worden. Aus Joes aufgerissenem Mund drang ein gurgelndes Stöhnen.
„Hallo, mein Freund.“
Mit einem Schrei wirbelte Sean herum und starrte gegen einen breiten, schwarz belederten Brustkorb. Ehe er reagieren konnte, spürte er, wie ihm das Gewehr aus der Hand gezogen wurde.
Mit einem weiteren Aufschrei sprang er nach hinten und griff zu seiner Pistole - aber da war nichts mehr. Geschockt starrte er auf den riesigen Mann, der grinsend vor ihm stand und die Waffe hochhielt.
„Wenn du die hier suchst - ich kann die Dinger nicht leiden. Die machen so unschöne Löcher in hübsche Pelze und Frauen.“
Sean spürte, wie in ihm die Panik hochstieg. Dieser Kerl sah aus, als wäre er einer Motorradgang entsprungen. Hünenhaft groß, Schultern wie ein Schrank, am Hals tätowiert und komplett in schwarzes Leder gekleidet. In dieser Wildnis wirkte er völlig fehl am Platz.
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