Susanna Partsch - Ich will malen!

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"Artemisia Gentileschi war in der Zeit, die wir heute Barock nennen, eine sehr bekannte Malerin. Und sie war mit Abstand die interessanteste, denn anders als die meisten der wenigen anderen Künstlerinnen malte sie weder aus Zeitverbtreib noch die für Frauen typischen Porträts oder Stillleben. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt mit ihren Bildern, in denen sie Geschichten aus der Bibel und der antiken Sagenwelt darstellte …"
(Susanna Partsch im Nachwort zu Ich will malen!)
Ich will malen! ist ein Roman, keine Biografie. Eine Romanbiografie, könnte man sagen, zusammengesetzt aus den Ergebnissen der neueren Forschung, die Ende des 20. Jahrhunderts immer schneller in Gang kam, und viel Fantasie, um diese «Splitter» zusammenzuführen. Nicht zuletzt basierend auf den Gerichtsakten im Verfahren von Artemisias Vater Orazio gegen den Maler Agostino Tassi im Jahre 1612.
Vor dem Hintergrund von Rom und Florenz, einem bunten gesellschaftlichen Panorama in zwei grundverschiedenen Städten, lesen wir, wie Artemisia gegen große Widerstände sich den Beruf der Malerin erkämpft und schließlich Karriere macht …

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ICH WILL MALEN!

Das Leben der Artemisia Gentileschi

Roman

von

Michael Hatry

Mit einem Anhang von Susanna Partsch

Dazu eine Analyse der Gerichtsakten im Verfahren Orazio Gentileschi vs. Agostino Tassi

Impressum:

Ich will malen!

Michael Hatry/Susanna Partsch

Copyright: © 2015 Michael Hatry/Susanna Partsch

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-3279-2

Foto: Saint Louis Art Museum Missouri (Selbstporträt als Allegorie der Malerei)

Nach dem 1563 beendete Konzil von Trient, das sich mit den Konsequenzen aus der Reformation beschäftigt hatte, ging die katholische Kirche daran, ihre Gegenreformation zu organisieren.

Die Stadt Rom, ein Städtchen von knapp 100.000 Einwohnern, sollte zur strahlenden Metropole ausgebaut werden und mehr denn je von Glanz und Glorie der Heiligen Mutter Kirche künden. Das war der Gegenentwurf zu den Ideen der prachtempfindlichen, bilderfeindlichen, protestantischen Ketzer. Rom, die Ewige Stadt.

Vor allem Papst Sixtus V. verordnete Rom einen Bauboom sondergleichen. Enorme Summen wurden in den Neubau der Stadt gepumpt, Denkmäler und Trümmer der Antike wie schon früher zum neuen Rom recycelt. Die Stadt, die um 1600 etwa einhunderttausend Einwohner hatte, glich zeitweilig einer riesigen Baustelle.

Einige Kilometer neuer gerader Straßen wurden angelegt mit der Kirche Santa Maria Maggiore im Zentrum, um den Pilgern den Weg zu den sieben Hauptkirchen (drei davon außerhalb der Stadtmauer) leichter zu machen. Den zahlreichen Pfarrkirchen wurden neue Kirchen hinzugebaut. Den vorhandenen Palästen prächtigere, darunter die künftige päpstliche Residenz auf dem Quirinal, einem der sieben Hügel Roms und Die Erneuerung antiker Aquädukte, die die Wasserversorgung sicher stellen sollte, begleitete Sixtus mit dem Bau neuer Brunnen, z.B. auf der Piazza del Popolo. Er starb im Jahr 1590, nach nur fünf Jahren Amtszeit. In den Jahren 1590/91 gab es drei Nachfolger, die alle nach jeweils ein paar Monaten starben. Weil das Geld für all diese hehren Unternehmungen nicht ausreichte, erhöhte der Papst die Steuern und erließ neue. Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößerte sich dramatisch. 1591 wurde in Rom das Brot knapp, ein Hungerjahr für die Armen, und die Brotversorgung blieb problematisch, obwohl stets große Vorräte gespeichert und der Brotpreis subventioniert wurden.1592 kam erneut ein starker Papst auf den Thron. Clemens VIII. (1592-1605) begnügte sich allerdings damit, das einmal Angefangene zu Ende zu führen. Sein Hauptinteresse galt Restaurierungsvorhaben in Hinblick auf das Heilige Jahr 1600. Kirchen und Paläste wurden ausgemalt, alte Gebäude ausgebaut und aufgefrischt. Schon in den 80er Jahren hatte es Maler aus ganz Italien und aus vielen Ländern Europas nach Rom gezogen, die meisten ins Künstlerviertel der Altstadt zwischen Tiber und Pincio. Unter ihnen war Orazio Lomi aus Pisa, Sohn eines Goldschmieds, der sich bald nach seiner Mutter Gentileschi nannte. Oder nach seinem Onkel, bei dem er in den ersten Jahren wohnte, einem respektablen Hauptmann der Wachen in der Engelsburg.

TEIL 1: ROM

1. Wie Artemisias Geburt ihren Vater Orazio fast ins Gefängnis brachte

Die Kneipe von Pasquale dem Pisaner war brechend voll. Vor der Tür standen sie, Becher in den Händen, und schwatzten, der lange Tisch im Gärtchen war bis auf den letzten Platz besetzt. Im Wirtsraum staute sich die Hitze, Schweiß hing in der Luft. Die Männer saßen und standen in ihren bunten Jacken und Hosen, aus denen buntbestrumpfte Waden in ledernen Schuhen ragten. Die Federn an den Hüten wippten, wenn sie Karten ausspielten oder aneinander stießen. Würfel klapperten auf Holzbrettern. Becher klirrten. Rufe, Begrüßungen und Bestellungen schwirrten hin und her.

Orazio Gentileschi drängte sich nach allen Seiten grüßend vor zur Theke, hinter der Pasquale und sein Gehilfe den Wein zapften. Orazio nickte dem Wirt zu, sie kannten sich schon lange. Der nickte zurück und schob Orazio einen Becher Rotwein hin. Der Schweiß lief ihm von der Stirn.

„Fertig?“, fragte er.

Orazio nickte. Er kam aus der Basilika Santa Maria Maggiore, einer der sieben Hauptkirchen Roms, wo er an der Ausmalung des Mittelschiffs beteiligt war. Die Beschneidung Christi war knapp vor Einbruch der Dunkelheit fertig geworden.

Er nahm einen kräftigen Schluck und lehnte sich mit dem Rücken an die Theke. Die meisten der Männer hier kannte er, lauter Maler, deren Nebenbeschäftigung darin bestand, über die Bilder anderer Maler und ihre Frauengeschichten herzuziehen, wozu sie heftig gestikulierten oder ihre Bärte strichen. Der Geräuschpegel war danach. Orazio nahm noch einen kräftigen Schluck, als er seinen Namen von einem der Tische hörte. Er sah Giuseppe Cesari winken und schob sich durchs Gedränge.

Cesari, ein junger Mann Mitte zwanzig, spielte mit zwei Männern Karten; den andern Teil des Tisches belegten zwei Würfelspieler. Ein paar Männer mit Bechern in der Hand standen um den Tisch herum und sahen den Spielern zu.

„Und?“, fragte Cesari und rückte auf seinem Stuhl ein wenig zur Seite, was Orazio als Aufforderung begriff, sich auf die andere Hälfte zu setzen.

„Kann nicht mehr lange dauern“, sagte er.

„Halbe Backe, halber Einsatz?“, fragte der Mann ihnen gegenüber. Sein Bauch stülpte sich herausfordernd über die Tischplatte.

„Ich bleib nicht lange“, sagte Orazio.

Er spielte nicht. Jedenfalls nicht mehr. Jedenfalls nicht um Geld, und anders ging es nicht. Wenn er es täte und dabei verlöre, würde Prudenzia ihn zur Schnecke machen, so jung sie auch war. Prudenzia war achtzehn Jahre alt, zwölf Jahre jünger als er, und zum ersten Mal schwanger. Hochschwanger.

Wenn Prudenzia in Fahrt geriet, dachte er manchmal, so, blitzenden Zorn in den Augen, müsste er sie malen. Aber daran war nicht zu denken. Er malte Prudenzia auch sonst nicht, ein paar Zeichnungen, das war alles, für später. Zeichnen war billiger als Malen und Malen war Zeitverschwendung. Wer würde seine Bilder denn kaufen? Er malte Fresken, damit kam er über die Runden. Bevor er anfangen konnte, in Öl zu malen, musste er sich erst einen Namen machen.

„Ich leih dir was“, sagte Cesari und spielte eine Karte aus. Er besaß trotz seines jugendlichen Alters bereits eine eigene Werkstatt und schien gut zu verdienen.

„Spielen macht das Warten leichter“, sagte der dicke Mann. Seine Stimme war hoch und gequetscht, mit einem Stich ins Falsett. Er strich die Karten, die auf dem Tisch lagen, ein. Er hatte gewonnen und sie rechneten ab.

Orazio schüttelte den Kopf. Der Mann war ein Streithammel, nicht gerade mit Begabung gesegnet, aber das machte er mit Worten wett. Orazio kannte ihn aus der sixtinischen Bibliothek, bei deren Ausmalung sie vor ein paar Jahren mitgearbeitet hatten. Seinen Namen hatte er vergessen, sie konnten sich nicht leiden. Der Mann wollte ihn abzocken, das war alles.

„Feiglinge richten die Welt zugrunde“, sagte der Dicke. Er grinste seinem Nachbarn zu, der grinste zurück. Er grinste zu allem, was der Dicke sagte.

„Maulhelden, meinst du?“, fragte Orazio. Er schwitzte jetzt auch.

Cesari gluckste.

Der Dicke warf beiden einen gehässigen Blick zu. Mischte die Karten neu.

So einen Blick müsste man malen können, dachte Orazio und trank seinen Becher aus.

„Wenn ich jemanden einlade, mit mir zu spielen“, maulte der Dicke, „und noch dazu zum halben Einsatz, dann spielt er auch mit mir, bei der Mutter Gottes!“

Beim dreigeschwänzten Teufel, dachte Orazio und sagte: „Halber Einsatz ist Beleidigung!“

„Dann eben zum doppelten“, sagte der Dicke und begann die Karten auszuteilen.

Sein grinsender Nachbar riss seine an sich, als wollte er sie verschlingen.

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