1 ...7 8 9 11 12 13 ...28 Es ist seit Langem das erste Mal, dass sich Rita wieder einmal einem anderen Menschen anvertraut. In diesem Moment überwiegt das gute Gefühl, endlich ihre Freundin bei sich zu haben, mit ihr ein Problem zu bereden, das sie so nicht gewollt hat. Es ist wie früher. Mal nicht allein da zu stehen und über alles reden zu können – sogar über die peinlichste Peinlichkeit. Freilich wäre es einfacher gewesen, Janina von einem tollen Kerl vorzuschwärmen, der unheimlich verknallt ist und in den sie unheimlich verknallt ist. Stattdessen versucht sie zu erklären, warum sie mit Nils Hegau auf dem Schreibtisch ihrer alten Redaktion unglaublichen Sex hatte und was danach kam.
Vielleicht fühlt sie sich mit dem Problem, das daraus entstanden war, nur deshalb so geschlagen, weil sie bis jetzt niemanden hatte, mit dem sie reden konnte. Keinen. Warum hat sie keinen, der so mit ihr lacht, wie Janina? Kein Wunder, dass sie sich selbst als unattraktiv sieht. Wer selbst nicht lacht, wird bald nichts mehr zu lachen haben. Liegt es an ihrer einsamen Schreiberei?
Sobald der Roman vorliegt, sollte sie wieder sein, wie sie einmal war. Das Fatale ist, sie glaubt, gar nicht mehr so sein zu können.
»Ich verspreche dir, alles über deinen sauberen Herrn Hegau herauszufinden …«, sagt Janina leidenschaftslos, nachdem sie beinahe eine halbe Stunde still zugehört hat.
»Er ist nicht mein sauberer Herr Hegau, Jani …«
»Eben drum. Wie ich die Sache sehe, wird es nicht das letzte Mal gewesen sein. Der Kerl ist bekloppt. Ein Stalker, oder noch schlimmer. Wenn der sich noch einmal traut, dich zu belästigen, dann kann er mal die Kanzlei Herwegen & Partner kennen lernen.«
Einerseits macht sie die alte Leidenschaft in Janina Schulzes Worten froh, andererseits ist das Ganze nicht so einfach.
»Was willst du denn herausfinden. Der ist verheiratet, hat keine Kinder aber eine geregelte Arbeit. Und ich … ich habe einen Fehler gemacht. Herrgott!«
»Zeig mir den Menschen, der keine Fehler macht. Das kann nur ein fürchterlicher Idiot sein.«
Janina ist kostbar wie ein Juwel, denkt Rita. Sie mag mich, und sie steht zu mir.
»Was glaubst du denn, herausfinden zu können?«
»Jeder Mensch hat einen dunklen Punkt. Vielleicht hat er ja schon mehrere Frauen auf diese Weise belästigt. Das ist Nötigung und Nötigung ist strafbar.«
Das sind keine dummen Sprüche, keine Belehrung, nichts als das Zueinanderstehen. In diesem vertrauten Moment fallen ihr immer neue Dinge ein, die sie von Nils Hegau zu berichten hat und immer mehr kluge Hinweise von Jani vertieften ihre Erkenntnis, wie verdammt blauäugig sie ist, wenn sie das Wesen dieses Kerls nicht vorher einzuschätzen in der Lage war. Wie hat sie derart eindeutige Signale nicht erkennen können? Seine dämlichen Sprüche über ihr angeblich zwanghaftes Schreiben, sein grundloses Brüllen durch das ganze Haus, wenn sie nicht einsehen wollte, warum ihr Text bis zur Unkenntlichkeit von ihm gekürzt wurde. Seine Sanftheit, die stets danach folgte, hatte sie als Schuldeingeständnis für etwas Unabänderliches verstanden, und deswegen hat sie ihm jedes Mal seine Entgleisung nachgesehen. Hat sie wirklich geglaubt, das alles entsprach den Verlagsprinzipien?
Jetzt erst, als Janina es ausspricht, begreift auch sie es. In Wahrheit hatte er sie mit seinen Mitteln der Macht klein gehalten, unbedeutend für Heidenreich. Er hat sie erbärmlich manipuliert.
»Vielleicht warst du eine zu große Konkurrenz für ihn?«
Auf Janinas bohrende Frage hin vermag sie nicht zu erklären, was sie in dem Moment für Nils Hegau empfunden hat, als sie das erste Mal einvernehmlich Sex miteinander hatten. Aber selbst wenn das alles jetzt nicht unter unbändiger Wut verschüttet wäre, selbst wenn er es gewesen wäre, der die Sache eiligst wieder beendet hätte, wenn er sie verlacht hätte, weil sie sich in der Tat zu wenig Mühe mit sich selbst gegeben hat, sie hätte kein Recht, das Vorher zu verurteilen. Zu verurteilen ist nur das Danach. Sein schamloser Überfall im Büro und seine krankhafte Art, sie in Besitz nehmen zu wollen.
An diesem Abend im «Mosquito» macht Janina einen Vorschlag, der gar nicht von ungefähr kommt. Längst war ihr ein ähnlicher Gedanke gekommen – nur nicht so intensiv. Wie stets hat sie sich nicht getraut, diesen Schritt zu gehen, ohne Zuspruch und Beistand im Rücken zu spüren.
»Wenn du nicht am Jetzt hängst, dann ist es die beste Zeit, dein Leben umzukrempeln, Rita.«
Janina zündet sich umständlich eine Zigarette an, um sie gleich danach - vor sich hin murmelnd - wieder auszumachen: »Die mit ihrem bekloppten Gesetzt…«
Ihr Blick ist jetzt anders, so, als taxiere ein Kuhhändler das Rindvieh. Nur ihre Stimme passt nicht zum Kuhhandel.
»Kein Mensch kann dir verbieten, dein Pseudonym zu gebrauchen. Zieh in das Haus deiner Oma, färb dir die Haare, mach auf Schickimicki – was weiß ich. Sei nicht mehr das liebe Mädchen. Lass die Welt wissen, dass du auch anders kannst.«
»Haare färben ist die Unfähigkeit zu altern«, sagt sie, aber irgendwie ist ihr klar, dass sie nicht mehr so unbeschwert kichern kann, wie sie es früher konnte – mit Jani zumindest. In ihrem Kopf spukt seit Tagen derselbe Gedanke herum, den sie nur nicht bis zur letzten Konsequenz zugelassen hat. Nicht von ungefähr schiebt sie die ausgewachsenen Spitzen ihres sonst sehr kurz geschnittenen braunen Haares seit Wochen fein säuberlich hinter die Ohren, was irgendwie den Eindruck erweckt, das Haar sei noch immer so kurz geschnitten.
»Die Fremde mit dem roten Haar …«, kichert jetzt wenigstens Janina. »Diese verrückte Fremde mit der roter Mähne! Das ist keine von hier …Der rote Teufel mit dem Gift-Roman… Bei der weiß man nie, wo die Frau aufhört und der Teufel anfängt …«
Sie merkt, dass in Janina endlich der Knoten gerissen ist und sie hat keinen Grund, sich nicht von der Begeisterung der Freundin anstecken zu lassen.
»Bleib wer du bist, aber ändere alles andere.«
Ganz leise kommt der erste Zweifel in Rita: Ich bin einer solchen Sache nicht gewachsen. Nicht ohne Jani. Aber Jani muss zurück nach Hamburg, für mindestens noch ein halbes Jahr.
Am Montag geht sie zu Fuß zur Arbeit. Janina ist wieder zurück nach Hamburg und der Sonntag ohne sie war nichts als doof.
Rita hat den Eindruck, dass ihr seit dem Tod ihrer Großmutter zu Hause noch weniger behaglich ist als zuvor. Sie versteht nicht, was plötzlich mit ihrer Mutter los ist. Zuerst hat sie darauf bestanden, das Haus ihrer Oma müsse in Familienhand bleiben. Und nun ist sie irgendwie missmutig darüber, wenn Rita ihre Pläne in die Tat umzusetzen gedenkt. Sie war auf das Angebot eingegangen, die Erbschaft anzunehmen. Nun aber hechelt Mutter ständig gegen alles, was sie, Rita, dazu über die Lippen bringt. Mutter meint sogar, sie werde nichts als Schande über die Familie bringen. Rita würde das Grundstück nur haben wollen, um ungestörte Nächte mit irgendwelchen Männern zu haben. Im Dorf sei man sowieso gegen Fremde, erst recht, wenn sie die Höfe vollends in den Ruin wirtschaften.
Das mit den Männern stimmt zwar nicht. Es ist im Gegenteil die Chance zur Flucht vor einem ganz bestimmten Mann. Aber das kann sie Mutter nicht plausibel machen. Es war ihr nie gelungen, das Bild, das Mutter seit einiger Zeit von ihr hat, ins Gute zu ändern. Noch nicht.
Aber in drei bis vier Wochen kommt der Roman auf den Markt. Wollen wir doch sehen, ob der das Bild von der schrecklichen Tochter wieder in helleren Farben malen kann?
Sie muss lächeln in der Erinnerung, wie Janina fast ausflippte, als sie von ihrem Romanerfolg erzählte, und wie sie ganz ungewollt in die alte Sprache aus der Studienzeit zurückrutschte.
»Das ist ja orgasmisch , eh!«
Janina ist die einzige Freundin mit dieser Art Begeisterungsfähigkeit. Die verlässt sie offenbar nie, auch wenn sie von einer Sache gar nicht profitiert. Sie selbst hat schon immer von Janina profitiert, von ihrer Unternehmungslust, von ihrer Lockerheit, die von Unwissenden geradezu als Schnodderigkeit angesehen werden kann.
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