Stanford hatte das Gefühl seit Tagen dort festzusitzen und nichts anderes zu tun als auf diese Karten zu starren. Wie lange sie wirklich schon dort gesessen hatten, wusste er gar nicht. Er konnte kaum noch die Augen offenhalten. Dennoch musste er durchhalten, musste weiter machen. Immer wieder schob er die Finger seiner beiden Hände zusammen und bewegte ihre Gelenke, bis sie knackten. Er hoffte nur, dass die anderen nicht merkten, wie erschöpft er bereits war.
Für eine unendlich scheinende Weile gingen die Pokerchips, die ihnen der Wirt freundlicherweise gegen ihr echtes Geld eingetauscht hatte, immer wieder hin und her, es zeichnete sich lange Zeit keiner ab der als erster die Segel streichen müsste. Doch irgendwann in der Nacht hatten die Chips Stapel der zwei Mexikaner begonnen immer höher zu werden. Aber Stanford und auch der andere hatten sich davon nicht beirren lassen und die Ruhe bewahrt. Sie spielten immer weiter, Runde für Runde. Jede Straße, jedes Pärchen, jeder noch so kleine Bluff brachten ihn seinem Ziel näher.
Und so hatte sich schließlich das Blatt gewendet. Das Glück schien nun endlich dem Engländer hold zu sein und sein Stapel begann wieder anzuwachsen, während die der anderen allmählich schrumpften. Er legte drei Damen vor sich auf den Tisch. Schon wieder gewonnen. Unter den mürrischen Blicken der anderen zog er die Chips aus der Mitte zu sich herüber.
Er war von den vier Männern am ordentlichsten gekleidet und erweckte eher den Eindruck eines durchreisenden Geschäftsmannes. Während die zwei Mexikaner eher wie Viehdiebe aussahen, hatte der Deutsche etwas von einem typischen Holzfäller. Seine kurzen dunkelblonden Haare und das schmale faltenlose Gesicht ließen ihn trotz der breiten Schultern, jünger wirken.
Das mexikanische Großmaul und sein stiller Begleiter verloren nun allmählich nicht nur ihre Chips, sondern auch die Geduld. Während der Deutsche Taugenichts hingegen immer mehr auf die Verliererstraße geriet. Stanford war zufrieden und hoffte, dass es nun bald vorbei sei.
Stanford sah zu dem Deutschen hinüber. Der verzog keine Miene, wie schon den ganzen Abend. Stan wusste, dass er nichts auf der Hand hatte, er bluffte. Der, den sie Gringo nannten, war leicht, zu durchschauen, bisher war er es gewesen, der am häufigsten die guten Karten bekommen hatte. Jedoch meist nichts dabei herausholen konnte. Der andere wurde Chico genannt und was ihm an Kraft und Körpergröße fehlte, machte er mit seiner großen Klappe und seiner ungeheuren Dummheit wieder wett. Er war der Schwierigste, weil unberechenbarste Gegner. Er hatte zurzeit noch das meiste Geld von ihnen allen vor sich liegen. Und nun wollte er natürlich das ganze Spiel gewinnen. Das war Stanfords Chance. Chico konzentrierte sich aufs Gewinnen, nicht aufs Spielen. Und wer nicht voll bei der Sache ist – verliert!
Der Deutsche war ein gutaussehender Junge, jedenfalls den Blicken der Damen nach zu urteilen. Doch wenn man genau hinsah, verbarg sich unter dem Dreitagebart, dem schmuddeligen Cowboyhut und dem markigen Westernlook ein ziemlicher Milchbubi. Stan lachte bei dem Gedanken. Er ging All In. Stan ging mit. Und er behielt recht, er hatte tatsächlich geblufft. Stanford griff unter den strengen Blicken der Anderen, den ganzen Pott in der Tischmitte ab. Er selbst verzog, wie schon während des gesamten Spiels, keine Miene.
Der Deutsche strich die Segel und war raus. Er nahm es wie ein Mann und verließ den Saloon eher erleichtert als enttäuscht. Ein fairer Verlierer?
„Wussten sie das der Begriff Pokerface nur wegen mir entstanden ist?“ Stan versuchte vom Abgang des Deutschen abzulenken und gleichzeitig die Stimmung wieder etwas anzuheben, indem er sein ausdrucksloses Gesicht erklärte.
„Nein,“ erwiderte Chico genervt. „Woher auch, du hast es uns ja gerade erst zum dritten Mal erzählt.“
„Innerhalb der letzten zwei Stunden,“ ergänzte der Andere. „Und jetzt halt deine verdammte Klappe und spiel weiter.“
„Warum habe ich das Gefühl, dass hier niemand an anständiger Konversation interessiert ist?“
„Weil wir Pokern und nicht Konwa... Konfer... Dingsen…“ Anstatt die Stimmung etwas aufzulockern, hatte er Chico offensichtlich nur noch wütender gemacht.
„Jetzt sag doch auch mal was.“ Schimpfte er in Gringos Richtung.
„Ja genau, äh…“
„Fresse!“ erwiderte Chico genervt. Bevor es noch Streit geben würde, teilte Gringo lieber Karten aus.
Die Mexikaner ergriff jedenfalls neuer Ehrgeiz und vor allem Chico begann immer offensiver zu spielen. Zunächst schien seine Taktik aufzugehen und er strich eine Handvoll Pokerchips ein. Doch dann gewann der Engländer Runde um Runde. Chico wurde immer unruhiger und sein Stapel immer kleiner.
Inzwischen war es früh am Morgen. Die Bewohner des kleinen Ortes schienen allmählich wach geworden zu sein und interessierten sich für das, was im Saloon vorging. Ein alter Mann auf Krücken und mit nur einem Bein humpelte mit seinem Hund an ihnen vorbei und versuchte dabei jedem der drei in die Karten zu sehen. Chico sah ihn so böse an, als wolle er ihn gleich hier vor Ort auffressen.
Manche Leute hatten sogar Kinder dabei. Eine mexikanische Familie war mit ihren vier Töchtern und einem Sohn aufgetaucht und hatte sich an den Nachbartisch gesetzt. Der Vater sah immer wieder freundlich zu Stan hinüber, als wolle er ihm damit andeuten, dass er auf seiner Seite war. Ein hochgewachsener dürrer Mann mit langem schwarzem Mantel und einer Art Zylinder auf dem Kopf redete nacheinander mit allen Leuten in dem Gebäude, außer den drei Pokerspielern. Besonders intensiv zuerst mit dem Barmann dann mit der Familie. Die Frau und die Kinder versuchten ihn, zu etwas zu überreden, und schließlich gab er nach, setzte sich ans Klavier und begann zu spielen. Nicht besonders gut, aber zumindest klang die Musik fröhlich. Die Menschen hier schienen sonst nicht viel zu erleben, wenn ein paar Pokerspieler, die die ganze Nacht durchgespielt hatten, bereits eine solche Attraktion für sie darstellten. Die Drei spielten jedenfalls weiter, doch ihren Zusehern schien es auch nach einer ganzen Weile noch nicht langweilig geworden zu sein.
Gringo hatte ausgeteilt und Stanford sah sich seine Karten an. Mit dem Blatt war durchaus etwas machbar, dachte er sich. Er begann zu setzen und Gringo ging jedes Mal mit. Du armer Tölpel, lachte er in sich hinein. Du bist einfach, zu leicht zu durchschauen. Gringo ging All In und wollte sehen. Stan hatte vier Buben und Gringo nur drei sechser. Damit waren es nur noch zwei. Doch Gringo lies den anderen nicht alleine, schob nur seinen Stuhl ein wenig zurück. Wollten sie Stan etwa verunsichern?
Der Barkeeper stellte jedenfalls schon einmal vorsorglich die Flaschen seines teureren Gesöffs unter die Theke und einige Besucher rückten näher an die Hintertür. Der Mann am Klavier hörte auf zu spielen und der Hund legte die Pfoten über seine Schnauze. Nur die Damen schienen sich zu freuen. Hofften sie vielleicht, dass bald einer von ihnen seinen Gewinn wieder loswerden wollte?
Stanford behielt die besseren Karten. Zweimal Sieben und drei Asse. Wieder ein Full House. Genau wie Chico, nur das seines kleiner war. Drei achten und zwei – Asse? Verflucht. Das waren fünf. Er hatte nicht aufgepasst.
Plötzlich sprang der Mexikaner auf und beschimpfte den Engländer. Dabei riss er den ganzen Tisch um und alles darauf fiel scheppernd zu Boden. Jeder im Raum sah verstohlen in eine andere Richtung, doch keiner hatte den Mut, sich zu rühren.
„Du spielst falsch, Engländer.“ Schimpfte Chico.
„Sie bezichtigen mich der Arglist?“
Die beiden Mexikaner sahen sich verwundert an.
„Ähm?“
„Zeig deine Ärmel her.“ Befahl der Mexikaner. Fand jedoch nichts. „Wie hast du es gemacht?“
„Sir, ich betrüge nicht.“
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