>Damit hätte ich echt nicht gerechnet. Also, dass heute so etwas passieren wird...Ich hab dich gern gewonnen. < Mir fällt keine bessere Erklärung ein für den heutigen Abend. Bestimmt dachte er die ganze Zeit durch mein offenes Verhalten ihm gegenüber mit keinem Gedanken daran, dass ich noch nicht frei für einen Flirt sein könnte. Ich ärgere mich maßlos über mich selber, doch selbst wenn Alex die gleichen Gedanken gehabt hätte wie ich mir einbilde, er lässt sich keine negative Regung anmerken und ergreift meine Hand. >Ich will dich zu nichts drängen. Das ist OK. Und ehrlich gesagt ist es mir lieber du ziehst rechtzeitig die Notbremse, wenn du dich noch nicht wohl fühlst und wir vertagen das hier...< dabei grinst er frech, >auf später. <
Erleichtert drücke ich seine Hand und ziehe sie an meine Brust zurück. Um die neue Stille zwischen uns zu übergehen bitte ich ihn schließlich darum, meinen BH wieder zu schließen für mich. Alex gewinnt schnell sein sympathisches Lächeln zurück und er kommt meiner Bitte nach, als ich mich von ihm abwende.
>Hast du eine Uhr? < Ich spreche mit der Wand gegenüber dem Sofa.
>Fast zwei Uhr. Warum? < Ich sehe förmlich sein Grinsen vor mir. Draußen herrschen bestimmt Temperaturen um die zehn Grad. Bei dem Gedanken daran, ohne eine Jacke bis zu meinem Auto zu laufen...
Alex kann Gedanken lesen. >OH. Stimmt. Deine Jacke ist ja gar nicht hier...< Gedehnt übergibt er die mir bereits bekannte Information an mich.
>Aber wenn du mich ganz lieb darum bittest, bringe ich dich zu deinem Wagen und sorge dafür, dass dir nicht kalt wird dabei. <
Mein Orientierungssinn lässt zu wünschen übrig. Tamara und Mike, mein Mitbewohner-Pärchen, verursachen in der Küche einen derartigen Lärm, der mich unsanft zurück in das Hier und Jetzt reißt. Wie viel Uhr ist es überhaupt? Meine Augen sind vom Schlaf verklebt und ich blinzle angestrengt gegen das einfallende Sonnenlicht auf der Suche nach meinem Wecker. Fast zwölf. Ich stöhne und robbe unter meiner Decke aus dem Bett. Zerzaust wie ein Urmensch angle ich mit meinen Zehen nach den Hausschuhen und stehe auf. Auf dem Weg ins Bad grunze ich ein guten Morgen in Richtung Küche und verschließe den Riegel der alten Türe hinter mir. Auf dem Klo sitzend stöhne ich meinen Frust in die Stille – ich habe Kopfschmerzen und einen steifen Nacken vom Liegen. Langsam drehe ich mein Genick in alle Richtungen um der Verspannung Herr zu werden.
Ich verzichte auf den obligatorischen Blick in den Spiegel und schütte mir direkt mehrmals mit den Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Das trockene Gefühl in meinem Mund ekelt mich an. Eilig drücke ich einen Spritzer Zahncreme auf meine Bürste und schiebe sie mir in den Mund. Während meine Hand im Autopiloten-Modus zu kreisen beginnt betrachte ich kritisch meine rotgeränderten Augen im Spiegel. Ich bin es einfach nicht mehr gewöhnt mir die Nächte um die Ohren zu schlagen. Ich spucke den Schaum ins Waschbecken und spüle Pflichtschuldig die Reste mit Wasser ab. Nach dieser Notfallbehandlung fühle ich mich sofort besser und taste prüfend nach meinem Nacken auf der Suche nach verräterischen Knoten unter der Haut. Die Verspannung beginnt sich Gott sei Dank zu lösen. Ich verlasse das Bad und geselle mich zu meinen Mitbewohnern.
Tamara angelt mir kameradschaftlich eine große Kaffeetasse aus dem Schrank und schiebt mir anschließend die Kanne mit dem frisch aufgebrühten Kaffee entgegen. Stöhnend sinke ich auf das abgewetzte Polster der Sitzecke. Anders als meine Mitbewohner bin ich ganz und gar kein Spätaufsteher. Im Gegenteil – bleibe ich zu lange im Bett bekomme ich einen steifen Nacken und Kopfschmerzen. Meine Lebensgeister kommen allmählich zum Vorschein, als der Duft des heißen Getränks in meine Nase steigt. Jetzt noch ein Löffel Zucker und Milch und ich beuge mich verschlafen über meine Tasse für den ersten großen Schluck. Mike fährt in seiner Unterhaltung fort und ich blicke gedankenverloren aus dem Küchenfenster. Ich bin jetzt ohnehin nicht zum Sprechen aufgelegt und so beachten sie mich nicht weiter. Das ist das einzig Gute an meiner WG. Wir hegen zwar Sympathie füreinander, kommen aber genauso gut auch ohne viele Schnittpunkte aneinander vorbei wenn uns nicht danach ist. Und so schnappe ich mir meine Tasse und verlasse den Tisch in Richtung Wohnzimmer. Unterwegs ziehe ich mein Smartphone aus der Tasche und checke meinen Posteingang. Mehrere Messages bei WhatsApp. Fast alle von gestern – Sarah und Bastian haben mir jeweils eine kurze Nachricht um kurz vor fünf geschickt. Nur eine Nachricht stammt von heute Morgen. Ebenfalls Bastian.
Nachricht von >Basti<, gestern um 16:55
Wann kommst du genau?
Gut, diese Frage hat sich wohl bereits erledigt.
Nachricht von >Sarah<, gestern um 22:14
Wie lange möchtest du mich eigentlich noch auf die Folter spannen?
Nachricht von >Basti<, heute um 10:20
Bitte. Lass uns das nicht alles hinschmeißen. Ich will reden. Melde dich.
Gibt es bei verlassenen Männern eigentlich einen Radar, der ihnen im garantiert besten Moment signalisiert, dass sich Konkurrenz im Anmarsch befindet? Wohl kaum, aber das Timing könnte schlechter kaum sein. Ich runzle entnervt meine Stirn und vertage die Antwort auf einen späteren Zeitpunkt. Ich halte noch immer meinen Kaffee in der anderen Hand und trinke noch schnell einige Schlucke, bevor ich die Tasse auf dem Couchtisch abstelle. Jetzt erst wage ich einige verträumte Gedanken an den Abschied von Alex.
Natürlich hatte er sein Wort gehalten. Gegen die Kälte gab er mir einen dicken Pullover aus seinem Schrank, ehe wir uns gemeinsam auf den Weg zu meinem Parkplatz machten. Wie vorbestimmt hielten wir auf dem ganzen Weg Händchen, doch trotz einem klaren Kopf vom Fußmarsch war ich immer noch nicht zu einem Gespräch in der Lage. Ihm schien es ähnlich zu gehen. Auch er schwieg beharrlich, doch die Stille zwischen uns fühlte sich wie kurz zuvor nicht nach Sprachlosigkeit an. Es war komisch, sich so vertraut zu fühlen ohne ein Wort zu wechseln.
Das kannte ich von Bastian nicht. Unsere Beziehung bestand von Anfang an aus stundenlangem Gequatsche und wir konnten wirklich aus jedem Thema eine Diskussion entstehen lassen. Wenn wir schwiegen, empfand ich die entstandenen Pausen eher als Bedrückend. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Was hätten wir auch in zweieinhalb Jahren des Telefonierens auch anderes mit uns anfangen sollen? Natürlich liebten wir uns innig. Zahllose Wochenenden beendeten wir mit Tränen am Bahnsteig und unsere Gefühle waren stets aufrichtig. Doch etwas hatte sich verändert zwischen uns.
Zum ersten Mal konnte ich vor meinem inneren Auge Revue passieren lassen, dass wir zwar immer über alles miteinander sprechen konnten – doch stets jeden Streit gemieden hatten in all den Jahren. Und jetzt, nach meinem Umzug in die fremde Stadt, was naturgemäß zu zig Konflikten geführt hatte – erschraken wir beide bis ins Mark als uns diese Wendung in unserer Beziehung bewusstwurde.
Kurz vor unserem Abschied übermannte uns die Lust aufeinander ein weiteres Mal. Alex lehnte mit dem Rücken an meinem Auto, während ich mich tief in seine geöffnete Jacke kuschelte und wir mit unseren Zungen auf die nächste Suche nach unausgesprochenen Antworten gingen.
Bei dem Gedanken an seine weiche Haut und den guten Duft seines Parfums auf dem Grübchen unter seinem Kinn übermannt mich ein wohliger Schauer. Er ist so ganz anders als Bastian.
Basti....er ist vom Typ her eher für Anzüge und den seriösen Auftritt bestimmt. Nur wenig größer als ich, aber von feiner Körperstatur und einem grauen Schimmer an seinen Schläfen in den ansonsten kastanienbraunen Haaren. Wortgewandt und intelligent. Braune Augen mit grünen Sprenkeln. Ich erinnere mich noch genau an seine Mail mit dem ersten Foto von sich. Viele weitere sollten folgen, ehe wir uns zum ersten Mal besuchten. Damals konnte ich absolut nicht verstehen, was so ein toller Mann an mir grauer Maus finden würde.
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