Gretchen erbleichte umgehend, was Johanna aber nicht mitbekam. Sie tauchte unter, um ihr kurzes Haar zu waschen. Als sie wieder hoch kam, sprang sie auf die Füße, um sich abzutrocknen. Gretchen folgte ihr langsam.
»Komm!«, rief Johanna ihr zu, kaum dass sie angezogen waren, Gretchen in einfachen Leinen, einem leichten Kleid mit engem Mieder und Johanna in Strumpfhose und Hemd. Ihr Gürtel fasste einen kleinen Dolch und auf der anderen Seite die Scheide zu einem Schwert. Sie lief, Gretchen an der Hand hinter sich her zerrend, tiefer in den Wald. Abseits des Lagers blieb sie stehen und sah sich um, bevor sie an einem der Bäume in die Knie ging. Sie befanden sich nicht weit von dem Ort, an dem sie vor so langer Zeit aufgebracht worden waren. »Wir sollten heute Nacht aufbrechen«, bemerkte sie und suchte in dem Loch unter den Wurzeln nach einem in Tuch eingewickelten Gegenstand. Erleichtert zog sie ihn heraus und schob ihn in den Bund ihrer Hose. Die anderen Gegenstände beließ sie vorerst in ihrem Versteck. Alles andere war nicht bedeutend. Als sie sich wieder der schweigsamen Freundin zuwendete, erklärte sie ihren zugegebenerweise unausgegorenen Plan: »Wir schleichen uns des Nachts hinaus. Ich werde Hektor vorher frei lassen, damit wir ihn später nicht … Gretchen?«
Die Freundin war bleich, in ihren aufgerissenen Augen stand blanke Angst.
»Gretchen, sei unbesorgt, wir schaffen das!« Sie drückte Gretchens Hände. »Wir schaffen das!« Obwohl sie es immer wieder wiederholte, verblieb ein Rest an Zweifel nicht nur in Gretchens Augen.

Am Ende der Hoffnung
Johanna ballte die Hände. Welch Unglück, dass Wulf ausgerechnet nun zurückkommen musste. Und dummerweise mit einem verletzten Hawk im Gepäck.
»Kleiner!« Wulf forderte ihr Gehör mit ungewöhnlicher Schärfe. »Beweg dich her, damm mich!«
Gretchen griff verängstigt nach Johannas Hand und drückte ihre Nägel in ihr Fleisch. Johanna biss die Zähne zusammen und folgte mehr als widerwillig dem Befehl.
»Nun komm schon!«, knurrte Wulf und riss sie an ihrem Hemd näher. »Drück deine Hand auf die Wunde, wir müssen sie ausbrennen, aber dafür brauche ich echte Männer!«
Johanna verkniff sich einen empörten Widerspruch und krauste die Lippen. Neben ihr gab Gretchen einen gurgelnden Laut von sich. Johanna sah sich zu ihr um. »Du wirst doch nicht …«, fragte sie leise und drehte sich ihr zu, wobei sie die blutende Wunde Hawks unbeachtet zurückließ. Der Verletzte stöhnte leise. Gretchen schüttelte, die Augen schließend, den Kopf und schluckte sichtlich. »Es … es ist …«, murmelte sie bleich und zittrig.
»Blut«, beendete Johanna trocken und wendete sich dem Bandenchef wieder zu. Es widerstrebte ihr, Wulfs Befehlen zu folgen, aber einem Verletzten keine Hilfe zu leisten, war ebenso inakzeptabel. Sie presste die Lippen aufeinander. Zu Hause hätte sie eine solche Verletzung nie zu Gesicht bekommen, nicht ob der Scheußlichkeit derselben, sondern allein wegen ihrer allzu obsoleten Lage. Nur einen Zoll unterhalb der Hüfte klaffte eine tiefe Fleischwunde. Die glatten Wundränder ließen auf einen Hieb mit einem scharfen Schwert schließen. »Ich brauche warmes Wasser«, murmelte sie und bat Gretchen, dafür zu sorgen. Sie wischte die Hände an ihrem sauberen Hemd ab und nahm ihr klammes Trockentuch, um den Bereich um die Wunde herum von Blut zu befreien. Der Schnitt war tief und sicherlich bereits viele Stunden alt. Gott allein mochte wissen, wie viel Blut Hawk in der Zwischenzeit verloren hatte. Zu viel, und er würde unweigerlich daran sterben. Sie schluckte und wischte über das zerschundene Fleisch. Hawk bäumte sich auf. Vor Fieber brennende Augen richteten sich auf sie, und der Stoß, der sie traf, beförderte sie hart zu Boden. Sie hätte sich seiner Ohnmacht versichern sollen.
»Verdamm mich! Du solltest …«, fuhr sie der eintretende zweite Mann der Bande an und riss sie so brutal auf die Füße, wie sie zuvor niedergestreckt wurde. Johanna stöhnte vor Schmerz. Wulf brach ab, als er das blutbesudelte Tuch in ihrer Hand entdeckte und schubste sie zum Lager. »Du solltest der Blutung Einhalt gebieten!«
»Wie lang ist er verwundet?«, fragte Johanna, sich den schmerzenden Arm reibend und bedachte Wulf mit brennendem Blick. Viel lieber würde sie ihn tödlich verletzt auf dem Lager liegen sehen als Hawk, der zumindest ein wenig freundlich zu ihr war.
»Was geht dich das an?«, knurrte Wulf und drückte seinerseits ein Tuch auf die Wunde.
»Je mehr Blut er verlor, desto wahrscheinlicher ist sein Tod.« Johanna wunderte sich über das kleine Zittern ihrer Stimme. Wenn man darüber nachdachte, so war ihre Furcht begründet. Hawk mochte hart sein und unbedingten Gehorsam fordern, aber er war gerecht – auf seine Weise. Wulf hingegen ließ sie jeden Moment wissen, wie wenig er sie schätzte. Er würde ihr das Leben zur Hölle machen. Johanna überfuhr ein Schaudern. Was er ihr antun mochte, war nichts zu dem, was er mit Gretchen machen könnte.
Johanna schluckte und gewahrte erst Wulfs starren Blick, als sie wieder zu dem Verletzten sah. Sie hob das Kinn, schließlich konnte man es kaum ihr anlasten, wenn Hawk seiner Verletzung erliegen würde.
»Sollte er sterben …«, drohte Wulf und ballte die freie Hand.
»Nur die Blutung zu stoppen, wird ihn nicht retten«, knirschte Johanna ihre Befürchtungen vor Augen. Gretchen unterbrach den Zwist, als sie eintrat. »Ich habe Wasser«, bemerkte sie atemlos und stellte es mit geröteten Wangen neben dem Lager ab, ohne den Verletzten anzusehen. Johanna bedankte sich und tauchte ihr Tuch in das angewärmte Nass.
»Wenn Ihr so freundlich wäret, ihn zu halten, damit er mich nicht wieder zu Boden stößt«, zischte sie und beugte sich über die Verletzung. Gretchen wendete ihnen den Rücken zu. Johanna ihrerseits verbat sich zu erröten, oder auch nur an die Region zu denken, an der sie sich zu schaffen machen musste. Konzentriert wusch sie die Wunde aus und ignorierte dabei nicht nur die gemurmelten Verwünschungen. Die Wunde war tief, drang aber zu Hawks unsäglichem Glück weder bis zum Knochen durch, noch penetrierte sie die Hauptblutversorgung. Andererseits wäre er wohl schon verblutet. Johanna biss sich auf die Lippe.
»Wir werden die Wunde nun ausbrennen.«
Johanna sah auf. Es war eine gängige Methode, um eine Blutung zu stillen. »Sie ist zu tief«, bemerkte sie. »Ich halte es für zu riskant. Die zusätzlichen Schmerzen könnten ihn …«
»Ach, erweist du dich nun als Heilkundiger?«, ätzte Wulf, und lediglich der Schatten in seinen Augen ließ Johanna davon absehen, ihn ebenso verächtlich anzugehen.
»Gretchen, vielleicht mag der Herr«, sie ließ eine Pause entstehen, damit ihm der Sarkasmus nicht entging, »eher deinem Worte Glauben schenken.«
Gretchen machte ein gurgelndes Geräusch, bevor sie mit zittriger Stimme kundtat: »Das ist … Sam.«
Wulf presste den Kiefer aufeinander und bekam seine Worte kaum hervor: »Du glaubst doch nicht, dass ich dir das abnehme?«
Johanna zuckte die Schultern. »Wie Ihr wünscht. Ich werde mich heraushalten.« Sie hob die Hände und ließ dabei den Lappen fallen. Sie trat vom Bett zurück. »Sein Leben liegt in Eurer Hand.« Sie wollte sich abwenden, aber ein Griff hielt sie zurück. Überrascht warf sie einen Blick über die Schulter. Hawks Hand umfasste ihr Gelenk eisern, und seine auf sie gerichteten Augen glühten. Johanna musste schlucken.
»Er.« Seine Stimme war rau, aber voll Bestimmtheit. Wulf setzte zu einem Widerspruch an: »Hawk, der Bengel kann schwerlich …«
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