Johanna presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick.
»Ihr solltet auf mich hören, Sam.«
Sie spürte seine Augen auf sich ruhen. Spürte seine Erwartung, seine Enttäuschung und weigerte sich weiterhin, auf ihn einzugehen. Vielleicht hatte sie nicht die Kraft, einen physischen Kampf zu bestehen, aber ihr Wille war nicht so einfach niederzuringen wie ihr Leib.
Hawk seufzte: »Nun gut! Bevor Ihr Euch der Klinge annehmt, ruft Wulf herbei. Die Geschäfte haben lange genug geruht.«
Johanna verließ das Zelt erleichtert, wie auch verärgert. Er behandelte sie wie eine Dienstmagd! Immerhin war sie die Tochter eines englischen Herzogs, welchen Stammbaum konnte er aufweisen? Galgenvögel, Halsabschneider und eine Schar Dirnen? Ihre Mutter war die Schwester eines Königs! Wie gern würde sie König Stephan von diesen Räubern berichten. Sicherlich würde er alsbald ein Heer aussenden, um diesen Moloch auszuräuchern! Sie stapfte durch das Lager. Vorbei an einem der großen Feuer, den Bretterverschlägen, in denen die Frauen schliefen, wenn es schneite oder regnete und an einigen Lagerstätten mit vor sich her starrenden Mannen zum anderen Ende der Semilichtung. Dort, etwas abseits und ebenso wie jenes, das Hawk und sie selbst als Schlafplatz verwendeten, duckte sich das Zelt des zweiten Räuberhauptmannes. Für die Tageszeit ungewöhnlich war der Schlag verschlossen. Johanna blieb kurz stehen und sah hinter sich zurück, um sicherzustellen, dass sie nicht an ihm vorbeigelaufen war. Weder am großen Feuerplatz, noch unter den kleineren konnte sie Wulfs Statur ausmachen. Es mochte viele Männer im Lager geben, aber nur wenige erreichten Wulfs Größe oder seinen Brustumfang. Johanna verglich ihn gern mit einem tollwütigen Bären, obwohl Gretchen ihr da nicht zustimmen mochte. Gretchen. Wenn Wulf bei Hawk war, um Geschäfte zu besprechen, konnte er Gretchen und sie nicht stören, wenn sie sich endlich an ihre Fluchtpläne machten.
Entschlossen trat sie vor und schob die Plane vom Eingang des Zeltes fort. Im Inneren herrschte eine gemütliche Semidunkelheit, und Johanna wollte sich schon umdrehen und bei den Pferden nach Wulf suchen, als ein Kichern sie aufschreckte. Im wahrsten Sinne. Ihr Puls beschleunigte sich auf das Dreifache seines vorigen Schlages und ließ das Blut nur so in ihren Ohren rauschen. Gretchen! Ihre Augen gewöhnten sich an die Lichtverhältnisse und das Bild, das sich ihr auftat, verschlug ihr den Atem. Gretchens hellbraune Mähne ergoss sich über ihren baren Rücken und wurde von einer Pranke in Form gezupft. Das Mädchen lag dabei halb auf einem ebenso hüllenlosen Leib und ließ ihre Finger über braunes, krauses Haar gleiten. Das des Wolfs.
»Gretchen.« Johanna hörte den Grad ihres eigenen Entsetzens erschauernd deutlich aus ihrer Stimme heraus. Das Mädchen vom Festland ebenfalls. Ihr spitzer Schrei und die plötzlich farblosen Wangen, als diese Johanna gewahrte, zeugten von deren Gefühlen. Scham.
Wulf setzte sich auf, fixierte Johanna mit einem höhnischen Funkeln in seinen dunklen Augen und versicherte der Nackten: »Es ist alles in Ordnung, Gretchen. Leg dich wieder hin.«
Die Angesprochene riss ihre Augen von der Freundin los und legte sie mit zunehmender Feuchtigkeit auf ihren Verführer, der sich aus dem Laken pellte und vor Johanna aufbaute, um sie aus dem Zelt zu treiben.
»Raus, Kleiner, und wenn du mein Zelt noch einmal ohne meine Zustimmung betrittst, werde ich dir die Lektion einprügeln!«
Johanna sah rot. Sie ballte die Hände und schleuderte ihre Rechte in die Körpermitte ihres Gegenübers. Wulf krümmte sich mit einem Ächzen. Ihr zweiter Schlag traf daher mit gleicher Wucht seine Nase, der Aufprall ließ sie zur Seite torkeln. Auf einer Truhe nur zwei Schritte vor ihr lagen mehrere Waffen. Wahllos griff sie nach einer und schwang zu Wulf herum, der sich von ihren Treffern erholt hatte und seinerseits einen Angriff ausführte. Johanna wich gerade noch rechtzeitig zur Seite aus und hielt ihre Waffe vor sich. Überrascht starrte sie auf die kurze Klinge in ihren Händen, so dass sie dem Ende nur durch einen Aufschrei Gretchens gerade noch entrinnen konnte. Wulf hatte sich selbst die nächstbeste Waffe gegriffen, sein Schwert, und hieb auf sie ein. Johannas Arm vibrierte unter jedem Schlag. Mit Kraft würde sie einen Kampf nicht gewinnen, aber ihre Wut über den dreisten Raub ließ sich nicht einfach abstellen. Johanna wich dem fünften Hieb aus und sprang zur Seite, ging zu Boden und rollte sich aus Wulfs Reichweite. Federnd kam sie wieder auf die Füße und stand mit dem Rücken an der Plane des Ausgangs. Wulf stürmte auf sie zu. Einer solchen Wucht könnte sie niemals standhalten. Im letzten Moment wich sie aus, und das Schwert ihres Gegners drang in die Zeltplane ein. Diese riss unter dem Gewicht, und Wulf stolperte hinaus. Johanna warf einen flüchtigen Blick zur schneeweißen Gretchen, die ihre Blöße notdürftig mit einer Decke verbarg, bevor sie dem Bastard folgte. Johanna wartete nicht auf Wulfs Bereitschaft. Sie schwang das Schwert in die Höhe und ließ es herabsausen. Nur Millimeter über seiner Schulter wurde der Hieb abgefangen. Eisen klirrte aufeinander. Wulf stieß sie mit einem Brüllen am Heft von sich und setzte ihr nach. Johanna wich seiner Klinge aus, sprang zurück und nutzte ihre körperlichen Vorteile, so gut es ihr möglich war. Sie war kleiner, wendiger und damit auch schneller. Die Kurzklinge, die leichter und besser ausbalanciert war als die Waffen mit denen sie sonst trainierte, fühlte sich nicht wie ein Fremdkörper an, ein unförmiges Gewicht, das man mit unendlicher Kraftanstrengung hochbewegen musste. Johanna drehte sich, ging leicht in die Knie, um seinem Schwinger auszuweichen, und schwang ihr Schwert in einen Abwärtsbogen. Ihr Ziel war sein Knie und sie verfehlte es nur um Haaresbreite. Wulf hatte sich zu Boden geworfen und sah sich ihr nun unterlegen. Johanna ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen. Ihr Hieb brachte Wulfs Arm zum Schwanken. Sie trat nach ihm, destabilisierte ihn damit. Sie drehte das Heft in ihrer Hand und wollte zustoßen, als sie zu Boden gerissen wurde. Der Aufprall nahm ihr den Atem, und sie verlor den Halt um ihre Waffe.
»Verdamm mich!«, stöhnte ihr Bezwinger und schlug sie damit härter, als es ein Treffer einer Klinge getan hätte. Galle stieg in ihr auf.
»Runter!« Ihre Stimme war kaum als die ihre zu erkennen. »Lasst ab!«
Hawk schob sich von ihr runter und streckte sich nach dem Kurzschwert. Wulf nutzte ihre Entwaffnung und richtete sein Schwert auf sie. »Dafür verdient Ihr den Tod!«, knurrte er und drückte die Schwertspitze auf ihre Kehle.
»Ihr solltet in der Hölle schmoren!«, spie Johanna und sah mit vor Hass brennenden Augen zu ihm auf.
»Wulf!«
»Er hat mich angegriffen!«, blaffte Wulf, und in seinem Antlitz spiegelten sich ihre Empfindungen.
»Ich schickte Sam, Euch zu holen.« Hawk nutzte das Kurzschwert und stemmte sich in die Senkrechte. Schweiß perlte auf seiner Stirn und brachte sein schwarzes Haar vor Feuchtigkeit zum Kringeln. Unter den zusammengezogenen Brauen und eingerahmt durch seinen Vollbart glühten seine Augen wie Kohlen.
»Er griff mich an, Hawk!«, insistierte Wulf knurrend und wendete seinen Blick von ihr ab. Das Schwert jedoch lag noch immer lebensbedrohend an ihrem Hals.
Johanna fürchtete sich nicht. Der Tod barg keinen Schrecken, das Leben indes war angefüllt von schmerzlichen Niederlagen. Gretchen. Sie war verloren. Ihre Wut entfachte erneut.
»Dieser Bastard legt Hand an mein Mädchen!«, zischte sie und schlug die Klinge weg. Diesen Moment nutzte Gretchen, auf sie zuzufliegen. Sie warf sich an ihre Brust. Johanna legte instinktiv die Arme um sie und hielt die Weinende fest.
»Gretchen?« Hawk klang überrascht, und der Blick, den er dem Kumpan zuwarf, bestätigte die Vermutung. Er räusperte sich.
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