»Gut«, murmelte der Bewaffnete. »Dann nehme ich ein Brot dazu. Ich habe immer Hunger … danach.« Er grinste zufrieden und sah bedeutsam an ihr herab.
Johanna verfluchte Hawk innerlich erneut und schloss Wulf gleich mit ein. Eine Magd aus ihr zu machen, war ganz sicher dessen Idee gewesen.
»Mein Herr?«
Die Wache drehte sich unwillig um, und auch Johanna schwenkte ihre Aufmerksamkeit auf den hinzugetretenen, alten Mann. »Dürfte ich einen Laib erstehen, solange Ihr feilscht?«
Johanna versuchte sich an einem Lächeln. »Drei Schilling für das Weizen und fünf für das Korn, mein Herr.«
»Ihr wartet!«, beschied der Wachmann und schubste den Alten zur Seite.
»So lasst ihn!«, ging Johanna dazwischen und verließ dafür ihren Verkaufsstand. »Schert Euch fort, wenn Ihr kein Brot kaufen wollt!«
Der Wachmann fing sie ein und drückte sie an seinen stinkenden Leib. Johanna verging der Atem, aber nicht ihre Wehrhaftigkeit. Sie stieß ihm den Ellenbogen in den Magen, so fest sie konnte und bohrte ihre Nägel gleichsam in sein Gesicht. Sie verfehlte das Auge und brachte ihm tiefe Kratzer über die Wange bei. Der Wachmann stieß sie aufschreiend von sich.
»Verfluchte Dirne!«, keifte er, sich die Wange haltend und gleichsam sein Schwert ziehend. »Dafür wirst du büßen, Hexe!«
Johannas Griff ging ins Leere. Das Kleid behindert ihren Rückzug und, obwohl sie durch jahrelanges Kleidertragen daran gewöhnt sein sollte, brachte es sie zu Fall. Der alte Mann stieß den Stand mit dem Brot um und riss sie mit überraschender Kraft auf die Füße.
»Kommt schon«, hisste er und schubste sie zum Tor.
»Haltet Euch zurück, alter Mann!«, warnte der Bewaffnete, dem ein Haufen Kinder in den Weg lief, die sich auf das Brot stürzen wollten. Johanna haderte mit sich. Sollte sie den alten Mann zurücklassen und ihn der Wut des Tölpels ausliefern?
»Nun kommt schon!«, knurrte der alte Mann und zog sie mit sich. Erstaunlich flink. Am Tor warteten zwei Pferde auf sie. Sie wurde gepackt und auf den Rücken geschwungen. Johanna starrte auf den erstaunlich kräftigen alten Mann herab in zwei nur zu bekannte Augen. Hawk. Er hatte sie nicht allein gelassen.
Johanna tauchte unter Wulfs Schwert durch und parierte den nächsten Schlag frontal. Ihr Arm erzitterte unter der Wucht und ächzte. Sie sprang zur Seite, als Wulf nachsetzte. Angreifen. Ein toller Rat. Wenn es mal so einfach wäre! Sie kam einfach nicht aus der Defensive heraus, so sehr sie sich auch bemühte. Sie wich ihm erneut aus und tänzelte außer Reichweite. Angreifen! Johanna wich erneut aus. »Kleiner, wir spielen hier nicht Fangen!«
Johanna verzog die Miene. Angreifen. Sie machte einen Schritt nach vorn und geriet wieder unter Beschlag. Sie blockte seinen Hieb erneut und wich wieder nach hinten aus.
»Nur Mut, Sam!«, rief Hawk. »Wulf bellt mehr, als dass er beißt.«
Johanna schluckte. Angreifen!, beschwor sie sich. Jetzt! Johanna tauchte erneut unter seiner Waffe hindurch, aber anstatt auf Abstand zu gehen, drehte sie sich auf dem Fuß. Sie hob ihr Schwert, schwang es nach oben und schlug Wulf mit der flachen Kante aufs Gesäß. Wulf fluchte und versuchte sich zu rächen. Johanna parierte, wich aus und schlug voller Verzweiflung nach seinem Knie. Wulf sprang zur Seite und drohte mit Vergeltung. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie hatte keine Chance. Sie war kleiner, schwächer und einfach nicht gewohnt, ein Schwert zu schwingen, das so groß war wie sie selbst! Trotz des harten Trainings der letzten Wochen. Ihre Muskeln protestierten schmerzhaft, als Johanna zu einem letzten Angriff ausholte. Wulf stolperte, seine fassungslose Miene war zu komisch, als er auf dem Boden aufkam. Man konnte es nicht unbedingt einen Sieg nennen, dennoch ließ sie sich die Gelegenheit nicht entgehen. Sie legte ihm das Schwert an die Kehle. Sie konnte nicht anders: Sie setzte eines jener süffisanten Grinsen auf, die Wulf für sie zu reserviert zu haben schien.
Wulfs Wut war fast physisch fassbar. »Ich bin gestolpert! Du hast mich sicher nicht besiegt, Kleiner!«
Johanna sparte sich einen Einwand. Schüttelte nur den Kopf. Ihr Arm brachte sie fast um, da würde sie sicherlich nicht den Ausgang des Kampfes klein diskutieren, zumal Wulf dazu neigte, gegenteilige Meinungen mit Strafarbeiten zu ahnden. Sie wendete sich ab und begegnete Gretchens ungläubiger Miene. Sie konnte ihr nicht einmal böse sein, sie selbst hätte nie geglaubt, dass es mal dazu kommen könnte.
»Sam!«, flüsterte Gretchen. »Was habt Ihr getan?«
Johanna presste die Lippen aufeinander. Was war das für eine Frage? Der Schweiß lief ihr nur so über den Leib, ihr Körper schmerzte wieder Mal zum Erbarmen, und nun sollte sie sich auch noch Vorwürfe anhören? »Was habe ich denn getan?«, knirschte sie, wobei sie ihr Schwert in den Boden rammte und sich am Heft abstützte.
»Ihr könnt doch nicht … das geht doch nicht!«
»Es geht«, widersprach Johanna und schaffte es zu grinsen. »Sehr gut sogar!«
»Ich bin gestolpert!«, knurrte Wulf, der wieder auf den Beinen war. »Sonst hättest du keine Chance gehabt!«
Johanna drehte sich zu ihm um. Er schlug sich den Dreck von der Hose.
»Darum geht es doch.« Johanna nahm das Schwert und warf es dem Kontrahenten vor die Füße. »Ich habe keine Chance! Die Waffe ist zu schwer und zu lang für jemanden meiner Statur. Ihr seid größer und schwerer als ich, und ihr nutzt dies, um mich zu attackieren.« Sie stemmte die Hände in die Hüfte. »Glaubt mir, mit etwas mehr Chancengleichheit würdet Ihr ständig vor mir im Staub liegen!«
Wulf trat auf sie zu. Sein Finger deutete auf ihre Nase. »Hab Acht, Bübchen …«
»Wulf, lasst den Jungen.«
Johanna fuhr zum Sprechenden herum.
»Er hat ja nicht Unrecht. Sam ist im Nachteil durch seine Größe und seine fehlende Stärke.« Hawk sah an ihr herab und zuckte die Schultern. »Allerdings, Sam, werdet Ihr möglicherweise immer im Nachteil bleiben. Vielleicht werdet ihr nicht mehr größer. Vielleicht werdet Ihr ständig auf Gegner treffen, die stärker sind, besser ausgebildet, oder die eine Waffe besitzen mit einer perfekten Balance.« Er trat näher und hob das Schwert auf, das Johanna zuvor fortgeworfen hatte. »Das Leben fragt nicht nach Chancengleichheit. Überleben tut jener, der sich den Begebenheiten am besten anpasst.« Er warf ihr das Schwert zu. »Wenn Ihr leben wollt, müsst Ihr Euch ob Eurer mangelnden Kraft und Größe stärker anstrengen.« Er deutete auf die Waffe. »Bringt es weg. Wulf …« Mit dem Kopf deutete Hawk zu seinem Zelt. »So bald wie möglich.«
Johanna folgte Wulf zum Zelt, um das Schwert dort abzulegen.
»Sam, schärfe mein Schwert und den Dolch.« Er warf ihr seine Stichwaffe zu und deutete hinaus.
Grummelnd stampfte sie davon.

Er lauschte seinem Atem. Sam schlief für gewöhnlich wie ein Toter, nun nach all den Anstrengungen, die er sich täglich auflud, meist, weil er Wulf aufbrachte, war es auch kein Wunder. Hawk indes bekam immer größere Schwierigkeiten, zur Ruhe zu kommen. Sam bestand darauf, dass sein Weg ihn und Gretchen nach London geführt hätte, zum Bruder ihrer Gnaden, der Duchesse of Knightsbridge, aber eben nicht zum König an sich. Damit konnten sie nicht viel anfangen, was ihn ärgerte und Wulf sicher sein ließ, dass Sam nicht die Wahrheit sprach. Ein Graf vom Festland sei Gretchens Dienstherr, beziehungsweise sie stamme von dort und begleite die Lady of Knightsbridge zu ihrer Familie. All dies ergab kein Bild, das sich mit seinen Informationen zusammenfügte.
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