Das stoppte den Knaben, und lediglich seine Haltung blieb aggressiv.
»Wir haben nichts von Wert. Wir sind nur zwei arme Reisende auf dem Weg.«
»Und wohin führt der Weg?«
Die Augen des Buben verengten sich. »Nach London.«
Hawk wartete, aber der Bube gab sonst nichts preis. Wulf wurde ungeduldig und trat vor. »Aus welchem Grund?«, verlangte er zu wissen. Der Bub fletschte die Zähne.
»Was geht euch das an!«
Hawk griff ein. »Wulf!« Sein Hauptmann behielt den Knaben im Blick, hielt sich sonst aber zurück. »Ihr seid fortgelaufen.«
Der Bube riss die Augen auf, während das Mädchen spitz aufschrie.
»Bei wem erhofft ihr euch Unterschlupf zu finden?«
»Antwortet!«, donnerte Wulf und brachte das Mädchen zum Weinen. Der Bube ergriff deren Hand und drückte sie fest.
»Ich gehöre zur Dienerschaft des Duke of Knightsbridge«, offenbarte der Bursche knirschend. »Ebenso wie mein Weib.«
Wulf lachte dröhnend auf, was Hawk sich ohne Mühe verkniff.
»Sie ist die Zofe der jungen Lady und musste fort. Eine Delegation des Bruders Ihrer Gnaden ist am Königshof. Wir erhoffen uns des Grafen Unterstützung.« Der Knabe funkelte ihn an.
Hawk sah an ihm herab, dann an dem Mädchen. »Warum sollte er euch unterstützen?«
»Weil Gretchens Familie zu seinem Gefolge gehört. Sie muss Knightsbridge verlassen.« Hawk konnte sich sehr gut vorstellen, warum. »Wir haben nichts von Wert.«
»Kommt ihr aus Knightsbridge?«
Der Junge verengte erneut seine strahlenden Augen und durchbohrte ihn damit. »Nein.«
»Sondern?«
»Seine Gnaden Tochter reiste kürzlich an die Küste. Wir haben sie begleitet.«
Hawk runzelte die Stirn. Von einer Reise der Lady hätte er sicherlich gehört. »So?«
»So ist es.«
Irgendwie hatte Hawk so seine Zweifel.
Der Bursche kauerte in der Ecke, die Felle um sich gewickelt, als wären sie eine Bastion aus Stein und nicht nur gegerbtes Haar und Haut. Er starrte ebenso zu ihm rüber, wie er zu ihm. Merkwürdig für einen Burschen seines Standes. Sein Ärger stand in jedem noch so weichen Zug seines schmalen Antlitzes und blitzte in seinen Augen. Da brodelte ein Hexenkessel in der schmalen Brust, der nur darauf wartete, in die Luft zu gehen.
Hawk war sich sicher, dass ihm die Selbstbeherrschung fehlte und er Probleme bereiten würde. Wulf sah es ebenso, und ihm vertraute er nicht nur sein Leben an, sondern sein ganzes Sein. Dieser Bursche bedeutete Ärger, aber Wulfs Vorschlag ließ sein Nackenhaar sich sträuben. Da war etwas an dem Knaben, was Hawk fesselte, das gestand er sich ein, und es waren nicht die möglichen Informationen, die er durch ihn erlangen konnte, sicher nicht. Denn in dem Punkt war der Bursche - Sam - verdammt standfest, beharrte auf Punkten, die einfach nicht der Wahrheit entsprechen konnten.
»Wie heißt deine Herrin?«
Aus Sams Kehle stieg ein tiefes Grollen empor. »Ihre Gnaden, die Duchesse of Knightsbridge.«
»Und dein Herr?« Hawk wusste nicht, was er mit der endlosen Wiederholung immer derselben Fragen erreichen wollte, aber er hatte deutlich das Gefühl, dass der Knabe log, und ebenso wie Wulf vertraute er eben auch auf seinen Instinkt.
»Es wäre klüger, du gäbest deinen Widerstand auf. Du kannst dadurch nichts gewinnen.« Nicht, dass diese Warnung oder irgendeine andere den Burschen zur Vernunft brächte. Bisher hatte Hawk ihn nur dann zurückschrecken sehen, wenn Ross oder Dame des Herzens involviert waren. Ein Weg zum Ziel? Das Pferd war bereits in seinem Besitz, wie auch alles, was das Paar bei sich gehabt hatte. Kleidung und nicht irgendwelche. Offenbar war das Paar mit einigen Gewändern der Herrin aufgebrochen, um sie in Barschaft zu verwandeln. Diebe.
»Weißt du, was man mit Dieben, speziell Pferdedieben, anstellt? Sie werden gehängt. Umgehend.« Wieder blitzten die klaren Augen des Buben auf, und seine Lippen pressten sich zusammen, als müsse er eine scharfe Replik zurückhalten.
»Ein Los, das Vogelfreie teilen, die Reisende überfallen!« Eine schmale Braue hob sich in dem Milchgesicht des Burschen, und eine ihm nicht zustehende Überheblichkeit machte sich auf ihm breit. »Wie Euch und Eurem Gesindel.«
Gescheit, das musste man ihm lassen. »Wohl wahr«, räumte Hawk also ein und nippte an seinem Weinschlauch. Sein Mahl hatte er zwar beendet, aber gewöhnlich wurde es nicht abgetragen, bis das nächste gereicht wurde, wenn überhaupt. Also lagen die Überreste des Wildschweins vor ihm auf dem Brett und zwei Knusten seines frischen Brotes, das er nicht mehr geschafft hatte und den feinen Saft des Bratens aufsog.
Sam hatte nur altes Brot bekommen und hatte es verschmäht wie bei den letzten drei Mahlzeiten ebenfalls. Er drohte nicht zu speisen, bis man ihm sein Weib zeigte. Unversehrt.
»Du musst hungrig sein.« Perfide, aber wenn der Bursche nicht nachgab, bliebe nur Wulfs Vorschlag, den Burschen und sein Weib zu eliminieren. Gefangenhalten funktionierte auf lange Sicht nicht und lohnte auch nur, wenn aus ihm etwas rauszubringen war oder er sonst wie von Nutzen sein konnte. Und danach sah es derzeit nicht aus.
Hawk stand träge auf und nahm sein Brett, um auf den Buben zuzugehen und sich vor ihn zu hocken. Sams Hände waren vor seinem Leib zusammengebunden, und er war auf Waffen abgesucht worden. Er war demnach keine Gefahr.
»Dir muss doch der Mund wässrig werden bei dieser Aussicht. Ein weiches, saftiges Stück Wildschwein. Hm.«
»Ihr seid ein Barbar«, knurrte er und wendete das Gesicht ab. Der Schwung seines Nackens fiel Hawk auf, was ziemlich irritierend war. Das Lager war voll mit Männern aller Altersklassen, nie war ihm ein Nacken aufgefallen. Sich losreißend, ließ er das Brett sinken und stand auf. Aus diesem Blickwinkel war die Gestalt des Burschen noch angenehmer zu betrachten. Wohl, weil ihm der böse Blick erspart blieb. Hawk wendete sich ab.
»Nein. Bursche, du bist in keiner glücklichen Lage.«
Sam schnaubte betont abfällig. »Gebt mir einen Dolch, und wir werden sehen, wer in einer unglücklichen Lage steckt.«
»Ihr seid ein Narr.« Es war völlig zwecklos, was er hier versuchte. Verärgert ließ er den Burschen allein und stapfte durch das nächtliche Lager. Wulfs Zelt befand sich am anderen Ende und obwohl sein Rat bereits eingeholt und ausgeschlagen worden war, war es das vernünftigste Ziel, das ihm einfallen mochte.
Wulf sah auf, als er sein Zelt betrat, blieb aber in seinem Lager gefläzt liegen. »Na, hat Euch der Bursche etwas verraten?« Seine Zweifel schwangen dank seines Spotts offen durch. »Seine dunkelsten Geheimnisse vielleicht? Dass er seine Männlichkeit noch nie erprobte zum Beispiel?« Er lachte auf. »Weib, was für ein schlechter Spaß! Vermutlich war er der Narr an des Dukes Hof!«
»Da die Stelle nun vakant ist, mögt Ihr euch vielleicht darauf bewerben?« Hawk zog sich einen Hocker ran und ließ sich tief seufzend nieder. »Er ist erstaunlich stur.«
»Er braucht eine Abreibung, die ihn an seinen Stand erinnert.«
»Vergesst Ihr da nicht etwas von Bedeutung? Wir sind Vogelfreie, er ein Pferdedieb, derzeit tun wir uns nicht viel.«
Wulf grunzte und kam mit Schwung hoch. »Das Mädchen ist der Schlüssel.«
»Schlagt ihr nun vor, wir malträtieren kleine Mädchen anstatt kleiner Jungs?« Das machte es nicht angenehmer, ganz im Gegenteil.
»Vielleicht gibt es andere Wege«, murmelte Wulf, wobei sich ein zufriedenes Grinsen auf seine Lippen schlich. Hawk ahnte, worauf es hinauslief.
»Sie ist eine verheiratete Frau.«
»Eben.« Wulf zuckte die Achseln. »Eine verheiratete Frau, die sich von einem Kind anfassen lassen muss. Sie wird mir dankbar sein für mein Interesse.«
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