War ich damals glücklich, dass sich endlich ein Junge auch für mich interessierte, denn ich verhielt mich gegenüber dem männlichen Geschlecht sehr zurückhaltend.
Nach dem Motto: „Nimm mich – hier bin ich”, konnte ich nicht vorgehen, denn mein Aussehen machte mir immer noch zu schaffen.
Er hieß Claus, strotzte vor Selbstbewusstsein und hat mich regelrecht überrannt.
Im Nachhinein denke ich: „Der war sicher selbst froh, endlich eine Dumme gefunden zu haben.”
Aber, wenn man frisch verliebt ist, ist der Blick oft getrübt und beide Ohren sind fest verschlossen.
Wir gingen ein Jahr miteinander. Er machte die Ansagen, worüber ich auch froh war, denn als geborene Angsthäsin und schüchternes Mädchen konnte ich eine zielsichere Führung gut gebrauchen.
Man konnte auch sagen: „Er nahm mich ein mit Haut und Haaren, und ich wehrte mich nicht.”
Seine Eltern hatten ein Mehrfamilienhaus, in dem unten die Großeltern und in der Mitte seine netten Eltern wohnten. Im Dachgeschoss hatten er und seine Schwester sich in einer gemeinsamen Wohnung eingerichtet. Das gefiel mir. Die ganze Familie unter einem Dach. Alle verstanden sich gut und nahmen mich sogar freundlich auf.
Ich hätte Claus auch zeigen können, was ich als zukünftige Hausfrau schon alles drauf hatte – wenn die Schwester in der Zeit unserer Beziehung nicht gerade ihre soziale Phase ausgelebt hätte. Im Rahmen eines Schulprojektes sollte sie mit zwei Freundinnen straffällig gewordene Jugendliche betreuen.
Das hätten sie ja gern machen können, aber nicht Tag und Nacht in dieser Wohnung. Es wurden Orgien bis zum frühen Morgen gefeiert. Sie hausten zu acht in zwei kleinen Zimmern, schliefen bis zum späten Nachmittag zwischen ihren schmutzigen Klamotten und Essensresten.
Leider blieb so für Claus und mich keine Zweisamkeit.
Mit seiner Mutter war ich gern zusammen. Sie war eine ganz liebe Frau. Wir machten gemeinsam Handarbeiten und probierten neue Rezepte aus. Endlich hatte mal jemand Zeit für mich und ging auf meine Interessen ein.
Leider war Claus, warum auch immer, sehr unfreundlich zu seiner Mutter. Das Essen schmeckte ihm fast nie. Seine Wäsche war nicht sauber genug, und wenn es keinen Grund gab, stand sie ihm einfach nur im Weg. Sie weinte viel. Irgendwie kam mir das Verhalten von Claus aus eigener Erfahrung mit meinem Vater bekannt vor. Also nahm ich meinen Mut zusammen und sprach ihn darauf an.
Er sagte: „Das geht dich gar nichts an, da hast du dich nicht einzumischen. Ich werde schon meine Gründe haben. Irgendjemand muss ja hier das Sagen haben.”
Als wir unseren Urlaub bei seiner Tante in Berlin verbrachten, war ich dann dran. Er schleimte um seine Tante rum und raspelte reichlich Süßholz. Alles, was ich sagte oder tat, zog er ins Lächerliche. Dabei sah er mich auch noch mitleidig an. Wieder einmal kam ich mir wie die Dumme vor. Wohlgefühlt habe ich mich überhaupt nicht und war froh, als wir endlich wieder nach Hause fuhren.
Bald danach wurde ich krank.
Claus besuchte mich nur einmal und meinte: „Das mit uns hat ja nicht viel Sinn. Ich brauche eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht und nicht so eine wie dich. Du bremst mich ja nur. Wer weiß, wie lange deine Unpässlichkeit noch andauert und was für Krankheiten in dir stecken. ”
Mir blieb nur noch, auf meine baldige Genesung zu hoffen. Irgendwann ging es mir besser.
Meine Freundin holte mich zur Disco ab. Lust hatte ich keine – aber, das Leben geht ja weiter.
Gleich am Eingang sah ich Claus stehen, eng umschlungen mit seiner neuen Freundin. In Gedanken wünschte ich ihm Glück.
Jahre später traf ich zufällig seine Mutter, die mir erzählte, dass Claus sich sehr verändert hätte und jetzt froh sei, sie zu haben.
Mit meiner Nachfolgerin bekam er kurz hintereinander drei Kinder. Der jüngste Sohn war geistig behindert. Etwas später stellte sich auch noch heraus, dass Claus einen Herzfehler hat, mit dem er nur noch bedingt berufstätig sein kann. Nun nahm er die Hilfe seiner Mutter großzügig in Anspruch.
Auch für ihn kam die Wende.
Seine Ehefrau entdeckte ihre grenzenlosen Möglichkeiten, verliebte sich in einen ausländischen Unternehmer und – ganz schnell war sie weit weg.
Sie soll zu ihm nur noch gesagt haben: „Mit so einem kranken Mann wie dir und drei kleinen Kindern will ich mich nicht mehr belasten. Mir steht jetzt die Welt offen.” Und tschüss ...
Meiner zweiten großen Liebe erging es nicht anders. Er hieß Georg und war sooo süß. Wenn er aufgeregt war, drehte er immer seine langen Locken um den Finger und guckte ganz verträumt.
Er hielt es fast ein ganzes Jahr mit mir aus. Eigentlich war alles so, wie ich mir eine glückliche Beziehung vorstellte. Alles besprachen und machten wir gemeinsam.
Bei ihm wurde mir mein geplantes Studium zum Verhängnis. Unser gemeinsamer Urlaub blieb mir noch lange Zeit in schlechter Erinnerung.
Mit seinem Freund und dessen Freundin fuhren wir zum Zelten an einen See, mitten im Wald, weit weg von jeglicher Zivilisation.
„ Das wird erholsam und romantisch“, dachte ich. Das wurde es auch – aber nur für ihn, seinen Freund und dessen Freundin.
Wir zelteten am Waldrand. Bereits am zweiten Tag wurde Georg schweigsam, ignorierte mich und konzentrierte sich voll auf seinen Freund. Die drei trafen Absprachen und wollten allein was unternehmen.
Mein etwas gewachsenes Selbstbewusstsein signalisierte: „Stopp – hier muss ich etwas klären.”
Ich bat ihn dann zu einem Gespräch und staunte nicht schlecht.
Nach längerem Schweigen und Rumgedruckse meinte er: „Meine Mutter ist der Meinung, wenn du jetzt anfängst zu studieren, passen wir nicht mehr zusammen. Ich bin bloß ein einfacher Schlosser, da würdest du mir bald über den Kopf wachsen.”
„Aber ich studiere doch bloß, um danach mehr Geld verdienen zu können, und weil ich dann selbstständiger arbeiten kann. Für unser Zusammensein wird sich doch dabei nichts ändern”, versuchte ich, ihm meinen Entschluss zu verdeutlichen.
Er sprach weiter: „Die Trennung ist für mich schon länger beschlossene Sache. Ich wollte nur nicht allein mit den beiden in Urlaub fahren. Außerdem gehört dir das Zelt mit allem drum und dran, da wäre ich ja blöd gewesen, mir das alles noch selbst zu besorgen. Du kannst ab sofort machen, was du willst. Aber lass mich in Ruhe, denn ich will den Urlaub genießen. Reiß dich gefälligst zusammen und versaue mir die paar Tage nicht.”
Mir brummte der Kopf und ich hoffte, aus diesem Albtraum bald zu erwachen. Was sollte ich denn allein in dieser Einöde tun? Ihm gehörte das Auto, und er würde mich sicher nicht mit meiner ganzen Ausrüstung zu einem Bahnhof bringen, wo er doch froh war, diese benutzen zu können. Handys gab es noch nicht, sonst hätte ich ein Taxi rufen können, und bis zur nächsten Siedlung waren es mindestens zwanzig Kilometer.
Für mich brach eine Welt zusammen. Ich konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen und nahm die Umgebung wie im Nebel wahr. Die Drei hatten ziemlich viel Spaß und ließen sich durch meine Anwesenheit nicht stören. Sie ignorierten mich, behandelten mich einfach wie Luft.
Als ihr erholsamer Urlaub beendet war, packten sie ein und ich war sehr erleichtert, dass Georg mich in seinem Auto wenigstens noch mit nach Hause nahm.
Von diesem Schock erholte ich mich nicht so schnell.
Zum Glück begann kurze Zeit später mein Studium, und ich musste mich auf andere Dinge konzentrieren.
Georg sah ich fast jeden früh auf dem Weg zum Bahnhof. Er fuhr mit seinem Auto an mir vorbei, bald auch in weiblicher Begleitung.
Nach längerer Zeit verlor ich ihn dann aus den Augen und wurde nicht mehr regelmäßig erinnert.
Viele Jahre später lief mir sein Vater über den Weg. Er war erfreut, als er mich traf, und sprach mich an. Er wollte wissen, wie es mir geht, was ich so mache und fragte mich: „Sag mal, Mädchen, warum war denn eigentlich bei euch damals Schluss? Wir konnten das gar nicht verstehen, meine Frau und ich.”
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