Als Christian und Verena vom Einkaufen wieder zurück waren, trugen sie alle Taschen ins Haus. Verena sagte, sie wollte einmal in ihre Wohnung fahren, Christian machte sich auf den Weg zu Benjamin ins Krankenhaus. Der Sommer neigte sich langsam dem Ende zu, aber die Sonne konnte sich noch jeden Tag durchsetzen, wenn sie den Kampf gegen den Morgennebel gewonnen hatte.
So musste Christian eine Weile nach Benjamin suchen, der im Park unterwegs war. Sie begrüßten sich herzlich und setzten sich auf eine Bank.
„Das klappt ja schon gut mit dem Laufen. Wenn die Krücken nicht wären, würde man kaum glauben, dass dir ein Bein fehlt.“
„Ich übe auch immer fleißig. Das hat sich nun ausgezahlt, ich darf am Wochenende endgültig heim. Natürlich muss ich noch hin und wieder zur Kontrolle, aber der Stumpf ist gut verheilt, das Kunstbein gut angepasst, da steht dem normalen Leben nicht mehr viel im Weg.“
„Du darfst aber noch nicht wieder im Weinberg herumturnen. Das überlasse schön Olivier. Nach der Schule bin ich auch da und Verena kann in der Vinothek helfen.“
„Nun haben wir genug über mich geredet, Christian. Wie geht es dir? Und bitte … sei ehrlich.“
Christian seufzte.
„Das, was ich dir jetzt sage, werde ich nur dieses eine Mal tun. Dann möchte ich nie wieder darüber reden. Verena ist da, das ist gut, aber ich bin nicht mit dem Herzen bei ihr. Trotz aller Katastrophen gibt es nur eine Frau, die ich liebe. Das Schicksal hat uns zusammengeführt, damals am Felsen. Es hat sich sicher etwas dabei gedacht, aber nun sind die Umstände anders. Meine Mutter hat getobt und bitterböse Sachen gesagt. Ich habe sie aus dem Haus geworfen und ihr klargemacht, wenn sie sich nicht mit dem Ganzen arrangieren kann, dann soll sie fortbleiben.“
Benjamin schlug ihm auf die Schulter.
„Das ist gut so, denn Nelly kann am allerwenigsten für den Schlamassel. Was sagt denn Verena? Kann sie damit leben, dass du ein Kind hast?“
„Sie hat sehr klug reagiert.“
Christian wiederholte, was Verena zu ihm gesagt hatte.
„Hut ab!“, rief Benjamin. „Dann ist die Frau vielleicht gut für dich. Die Idee mit dem Besuch im Herbst ist super. Katja und Nelly können bei mir wohnen und ihr könnt viel mit Nelly unternehmen, während ich ein bisschen Zeit mit Katja und Arne verbringe. Vielleicht könnt ihr das auch gemeinsam auf die Reihe bekommen.“
Christian half Benjamin hoch und begleitete ihn ins Krankenzimmer, wo sie noch die wichtigsten Aufgaben für das Weingut besprachen. In einer Woche könnten sie das alles wieder zusammen angehen. Erleichtert fuhr Christian heim. Er hatte das Gefühl, einer entspannten Zukunft entgegenzusehen. Nun konnte er sich auch richtig auf Nelly freuen. Sein Herz machte einen Luftsprung vor Freude.
Er schaute noch bei Olivier vorbei, der gerade aus dem Weinberg heimgekommen war. Gemeinsam packten sie noch eine Lieferung zusammen und Christian kümmerte sich um die Sachen, die im Büro angefallen waren. Kurze Zeit später machte er sich auf den Heimweg, um den Tag mit Verena bei einem schönen Abendessen zu beenden.
„Ja, Christian, ich schaue gleich einmal, wo Katja ist. Moment, ach, hier ist sie. Warte kurz, ich gebe sie dir.“
Arne reichte das Handy, das in der Küche gelegen und geklingelt hatte, an Katja weiter, die ihn erstaunt ansah. Er küsste sie auf die Wange, nahm Nelly mit ins Kinderzimmer und schloss die Tür.
„Hallo, Christian“, sagte Katja mit zitternder Stimme.
Sie hatten seit dem Geburtstag nicht miteinander geredet. Katja hatte es nicht gewagt, Kontakt zum Vater ihrer Tochter aufzunehmen. Auch Christian hatte noch eine Weile gebraucht, um sie nun endlich für die Herbstferien einzuladen.
„Hallo, Katja, wie geht es euch? Ist mit Nelly alles in Ordnung?“
„Oh ja, es geht ihr gut. Sie war kurz erkältet und mit mir daheim, aber jetzt ist es wieder gut. Sie hat den Kindergarten vermisst. Wie geht es dir?“
„Mir geht es gut und ich habe eine schöne Zeit mit Verena. Meine Mutter ist völlig ausgeflippt, das kannst du dir denken, aber Verena hat die Wogen geglättet. Sie ist toll und akzeptiert auch meine Tochter. Wie läuft es mit Arne?“
„Sehr gut, danke der Nachfrage. Er kümmert sich rührend um Nelly und sie liebt ihn sehr. Christian, ich möchte dir das gerne alles erklären, wenn du eines Tages zuhören kannst und willst. Ich habe viele Fehler gemacht. Mit Nelly habe ich schon geredet und ich glaube, sie hat es ein bisschen verstanden.“
„Bitte sei nicht sauer, aber im Moment bin ich nicht bereit, irgendetwas zu hören. Verena und ich möchten dir und Arne aber einen Vorschlag machen. Wie wäre es denn, wenn ihr in den Herbstferien zu uns kommt? Ihr könntet bei Benjamin unterkommen. Hat Arne Urlaub?“
Katja erklärte, dass sie ihn erst fragen musste und versprach sich zu melden. Nachdem sie aufgelegt hatten, klopfte ihr Herz immer noch bis zum Hals, so aufgeregt war sie. Christian war es sicherlich nicht leichtgefallen, einen Schritt auf sie zuzugehen. Im Kinderzimmer schaute Arne sie an.
„Was wollte er?“
„Sie haben uns in den Herbstferien ins Weingut eingeladen. Es wird mal Zeit, dass du mir mehr von deiner Arbeit erzählst. Ich weiß so gut wie gar nichts und kann auch nie sagen, wann du zuhause bist. Oder ist das geheim?“
„Nein, Schatz, natürlich nicht, aber ich habe Arbeit und Privatleben immer strikt getrennt, weil sich meine Freundin nie dafür interessiert hat. Ich hole mal meinen Dienstplan und dann kannst du mir Löcher in den Bauch fragen.“
Arne lief heim, Katja zog Nelly aus und setzte sie in die Wanne. Sie sang ihr ein Lied vor und spielte mit ihr und dem kleinen Schiffchen von Oliver, das sie über alles liebte. Es gab kein Bad ohne dieses kleine Ding.
„Tuuut. Platz machen. Nelly kommt mit Schiffi.“
„Jetzt kommt eine große Welle und macht die Nelly nass. Hui!“
Nelly kreischte vor Vergnügen, als Katja mit der Hand das Wasser über sie schwappen ließ.
„Arne kommt!“, sagte sie leise und hob den Zeigefinger, als sie die Tür hörte. „Arne soll auch Schiffi spielen.“
Katja erklärte, dass er das morgen tun würde, nahm ihre Tochter unter lautem Protest aus der Wanne und wickelte sie in das große Handtuch. Bei Abrubbeln war Nelly wieder ruhig und ließ sich den Schlafanzug anziehen. Danach rief sie nach Arne, der ihr eine Geschichte erzählen sollte wie jeden Abend, wenn er keinen Dienst hatte.
Katja setzte sich zurück in den Sessel und lauschte den beiden. Arne erzählte und Nelly kommentierte alles. Bald war sie still. Arne deckte sie zu und zog Katja hinter sich her ins Wohnzimmer.
„Die süße Maus war ganz schön müde. Nun haben wir Zeit für uns. Hier ist mein Dienstplan. Sag, wann sind die Ferien?“
„In den mittleren beiden Oktoberwochen. Musst du da arbeiten?“
„Ich habe die Möglichkeit, eine Woche Urlaub zu machen, weil mein Partner auch weg ist. Seine Tochter heiratet in London und er fliegt mit seiner Frau für eine Woche hin. Das wäre deine erste Ferienwoche. Schau, hier!“
Katja schaute die verwirrende Tabelle an und nickte, als sie das Datum entdeckt hatte.
„Wie heißt dein Partner? Seid ihr in einem Streifenwagen unterwegs?“
„Er heißt Jerome Wacher, ist knapp über fünfzig, ein bisschen träge und rundlich, aber wir arbeiten schon sehr lange zusammen. Ich mag ihn sehr. Seine Frau hat mir immer Brote mitgegeben, weil sie eine Zeit lang dachte, ich würde so ganz ohne Frau und Familie verhungern.“
„Hast du keine Eltern mehr?“
„Nein, meinen Vater kenne ich nicht und meine Mutter hatte vor fünf Jahren einen Herzinfarkt und ist gestorben. Da ich keine Geschwister habe, bin ich allein. Aber jetzt seid ihr meine neue Familie.“
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