„Mann, ich könnte sie … rütteln und schütteln und … ach, was!“
Hannes setzte sich auf die Couch und zog Bea auf seinen Schoß. Zärtlich küsste sie seine Stirn.
„Danke, dass du da bist und vor allem, dass du so normal bist. Wenn ich das Cora erzähle, flippt die völlig aus. Weißt du, ich dachte vorhin: Wenn sich Christian nicht so dumm angestellt hätte mit seinem Stolz und so … aber dann fiel mir ein, dass es immer Katja war, die den Mist gebaut hat, den dann andere wieder ausbügeln mussten. Nein, im Moment hat sie meinen ganzen Zorn verdient. Hut ab vor Benjamin, dass er damit so entspannt umgeht. Jetzt hat er ein Bein und seine Tochter verloren und trotzdem hält er zu Katja.“
Im Weingut lag Katja im Bett und fand keinen Schlaf. Sie schämte sich und machte sich selbst die größten Vorwürfe. Was hatte sie sich nur gedacht, als sie damals den Brief geöffnet hatte? Unruhig wälzte sie sich hin und her.
„Wie soll es nun weitergehen?“, hörte sie Arnes sanfte Stimme.
Er rutschte dicht an sie heran und nahm sie in den Arm.
„Ich weiß es nicht. Warum bist du denn noch bei mir?“
„Das fragst du mich wirklich? Katja, du bist manchmal echt dämlich, aber es sind gerade die Fehler, die dich so besonders machen. Ich hatte überlegt, ob ich gehe, aber du brauchst mich jetzt, darum werde ich dich nicht im Stich lassen. Wir schaffen das! Ich finde es furchtbar, was du getan hast, aber ich halte zu dir. Du kannst dich immer auf mich verlassen.“
Katja schmiegte sich in seinen Arm und spürte die Wärme und Nähe, die sie im Moment genoss. Sie empfand große Hochachtung für ihn.
„Danke“, murmelte sie und schloss die Augen.
Benjamin lag auch noch lange wach. Tränen liefen seine Wangen herunter. Er hatte Nelly verloren, aber sie würde immer ein Teil seines Lebens bleiben. Es war doch auch egal, ob sie Onkel oder Papa sagte. Nelly war sein kleiner Sonnenschein, aber sie würde es schwer verstehen, dass nun Christian ihr Vater war. Benjamin hatte die Wahrheit eigentlich immer gespürt und sein bester Freund doch auch. Dazu kamen die Sache mit dem Trampolin und der Spaß am Fliegen – das konnte kein Zufall sein.
Er musste morgen unbedingt zu Christian gehen und sehen, wie er damit klar kam. Vielleicht war es ja wirklich gut, dass es Verena gab. In diesem Augenblick wusste er, dass die Tür zur Versöhnung zwischen Katja und Christian nun endgültig verschlossen war. Katja hatte sie mit großem Schwung zugestoßen.
Es würde kompliziert werden, wenn Christian seine Tochter sehen wollte, aber da würde Benjamin die beiden unterstützen. In dem Augenblick fiel ihm Luise ein und ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Sie würde sich mit Verena verbünden und dafür sorgen, dass der Keil zwischen Katja und Christian immer da sein würde.
Seufzend wischte er sich die Tränen ab und rollte sich zusammen. Neben seinem Bett stand das Kunstbein.
Christian war direkt nach Hause gelaufen. Verena rannte hinterher, aber sie hatte Mühe, ihn einzuholen.
„Jetzt warte doch bitte. Bleib stehen!“, rief sie hinter ihm her.
Als sie bei ihm angelangt war, griff sie nach seiner Hand, aber er schüttelte sie wütend ab. Unbeirrt eilte er weiter. Verena hielt so gut wie möglich Schritt.
Daheim schloss er zitternd die Tür auf. Im Schein der kleinen Lampe über der Tür sah Verena, dass Christian weinte. Er ging ins Wohnzimmer, ohne Licht zu machen, und ließ sich auf die Couch fallen. In seinem Kopf war das blanke Chaos.
Er war der Vater von Nelly. Eigentlich hatte er es immer gespürt, aber er hätte nie gedacht, dass Katja nicht die Wahrheit sagte. Was hatte sich die Frau dabei gedacht? Dass er mit ihr geschlafen hatte, verdrängte er vollkommen. Auch, dass Verena neben ihm saß, hatte er vergessen.
Nun würde er ein Recht haben, Nelly zu sehen. Warum hatte Benjamin nichts gesagt? Christian wusste nicht mehr, wem er noch trauen konnte. Dann fiel sein Blick auf Verena. Er legte den Arm um sie und zog sie gierig an sich. Was soll‘s, dachte Christian, ich liebe sie zwar nicht, aber mit ihr ist alles unkompliziert. Vielleicht war sie die richtige Frau für ihn. Sie kam mit Kindern gut aus, also konnte sie sicher auch eine gute Ersatzmutter für Nelly sein.
Christian nahm Verena auf den Arm und trug sie ins Bett, wo er über sie herfiel. Sie ließ ihn gewähren, aber ganz tief in ihrem Inneren wusste sie, dass Christian nicht sie meinte. Er hätte jetzt mit jeder Frau geschlafen, nur um nicht an Katja denken zu müssen. In dem Augenblick war ihr klar, dass ihr Freund, der Mann, mit dem sie glücklich war, eine andere liebte und das würde sich nie ändern.
Am nächsten Morgen wachte sie vom Klingeln an der Haustür auf. Christians Seite im Bett war leer. Verena stand auf, zog sich den Bademantel über und ging hinunter in Richtung Küche. Dort saß Benjamin mit Christian vor einer Tasse Kaffee. Sie blieb still stehen.
„Katja kann mich mal!“, hörte Verena Christian sagen. „Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Sie hat uns betrogen. Ich verstehe gar nicht, warum du sie in Schutz nimmst. Aber ihr wart ja schon immer dicke Freunde, wenn es darum ging, mich zu bescheißen. Warum hast du mir das nicht vorher gesagt? Verdammt, du bist mein bester Freund!“
„Mann, Christian, ich finde es doch genauso beschissen wie du. Der Arzt hatte mich vor kurzem in sein Zimmer gerufen. Er hatte wohl schon mit Katja geredet und wollte es mir so schonend wie möglich beibringen, dass ich nicht der Vater von Nelly sein kann. Ich habe es immer geahnt, aber es niemals wahrhaben wollen.“
Tränen liefen über sein Gesicht.
„Ich kann verstehen, wenn du böse auf mich bist. Es ist sowieso alles egal. Die Frau, die ich mal geliebt habe, ist fort. Mein Bein wurde abgeschnitten und ich bin für immer ein Krüppel. Und nun habe ich auch keine Tochter mehr, die ich mehr liebe als mein Leben. Es tut mir leid, dass das so gelaufen ist, aber ich werde zu Katja halten, denn ich will Nelly wenigstens ab und zu sehen.“
Er wollte aufstehen und gehen, aber Christian hielt ihn fest. Verena hatte genug gelauscht. Nun trat sie zu den Männern an den Tisch.
„Da hat euch die liebe Katja ja mal so richtig verarscht. Meine Herren, so eine böse Frau. Das hätte ich niemals gedacht, als ich sie damals kennenlernen durfte. Obwohl sie ja schon immer eine falsche Schlange war. Sie hatte mich ins offene Messer laufen lassen. Aber das ist ja nun Vergangenheit, nicht wahr, mein Schatz?“
Verena hatte sich an Christian geschmiegt. Er schob sie ein Stück weg und sah sie verständnislos an.
„Entschuldige, aber ich werde mit dir nicht über Katja reden. Wenn das mit uns funktionieren soll, dann halt dich bitte heraus.“
Jetzt schaute Verena verständnislos und ging ohne ein weiteres Wort ins Bad. Sie fragte sich, was diese Katja an sich hatte, dass die Männer bei ihr zu dummen Trotteln mutierten.
Benjamin sah seinen Freund traurig an.
„Darf ich Nelly ab und zu mal sehen?“
„Natürlich. Ach Benni, unsere Freundschaft und Nelly sind das Wichtigste. Ich werde mit Verena zusammenbleiben, denn eigentlich klappt das ganz gut. Wir helfen dir auf dem Weingut und wenn Nelly bei uns ist, dann kannst du sie sehen, das ist doch wohl selbstverständlich. Warum wusstest du es?“
„Es waren so Dinge, die ihr gemeinsam habt, wie das Fliegen, was Nelly liebt. Wenn sie zu Marie geflogen sind, hat sie immer nur vom Fliegzeug geredet. Und am Geburtstag warst du ja nicht mit, da sollte sie mit Bea aufs Trampolin und begann zu schreien. Irgendwie konnte es ein Blinder sehen, dass sie deine Tochter ist. Aber ich habe Katja vertraut, dass sie uns die Wahrheit gesagt hatte, ein Fehler, den wir nun alle ausbaden müssen. Wir hätten uns den Brief zeigen lassen sollen.“
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