„Wir waren ganz schön blauäugig.“
Die beiden Männer nahmen sich in den Arm, dann brachte Christian Benjamin zum Auto, wo Hannes gewartet hatte. Der würde ihn nun wieder zum Krankenhaus bringen. Er stand an die Tür gelehnt und half Benjamin beim Einsteigen.
„Geht es euch einigermaßen gut?“
„Hannes, sei froh, dass du die vernünftige Bea hast. Die würde dir nicht so eine Überraschung bereiten. Danke, dass du Benni hergebracht hast und ihn wieder ins Krankenhaus bringst. Was machen die anderen? Kann ich ohne Sorgen zum Weingut gehen oder muss ich damit rechnen, dass Katja noch da ist?“
„Nein, sie und Arne sind heute in aller Frühe abgereist, gerade, als ich Benjamin abgeholt habe. Sei beruhigt, Olivier hat alles im Griff. Bea ist in der Vinothek. Du kannst hierbleiben und dir mit Verena einen schönen Tag machen. Bea und ich werden mit Katja besprechen, wie du Nelly sehen kannst. Oder willst du das lieber vor Gericht klären lassen?“
„Um Himmels willen, nein!“
Christian dankte Hannes für seine Umsicht und sah dem Auto hinterher, bis es um die Ecke war. In der Küche saß Verena und machte ein ernstes Gesicht.
„Es tut mir leid, wenn ich eben ein bisschen grob war, aber es war mein voller Ernst, dass ich mit dir nicht über Katja reden möchte. Bitte akzeptiere das. Wir bleiben zusammen, Schatz.“
Christian schluckte und fügte ohne rot zu werden hinzu: „Ich liebe dich.“
Verena nickte und schwieg.
Katja hatte Benjamin umarmt und sich zu Nelly ins Auto gesetzt. Arne war im Sportwagen gerade vom Hof gefahren. Katja kurbelte die Fensterscheibe herunter und Benjamin legt ihr eine Hand auf den Arm.
„Wir kriegen das schon hin, auch mit Christian. Lass ihm ein wenig Zeit, zu sich zu kommen und sich zu beruhigen. Du weißt, er liebt Nelly über alles. Finde dich damit ab, dass er Verena hat. Du bist ja mit deinem Arne gut dran. Ich mag ihn sehr und Nelly auch. Beginne dein Leben neu, alles andere bringt die Zeit.“
„Benjamin, ich habe großen Respekt vor dir. Du müsstest mich eigentlich hassen und zum Teufel jagen. Danke für deine Unterstützung.“
Dann fuhr Katja los. Arne war mit Katjas Sportwagen eine Weile vor ihr in Nennhausen und hatte den Wagen in den Hof gefahren. Er saß grübelnd unter dem Nussbaum.
Als erstes, dachte er, muss sie es Nelly erklären. Damit zu warten, wäre unsinnig. Die Kleine würde sowieso durcheinandergeraten. Aber vielleicht spürte sie die Verbindung zu ihrem wirklichen Vater ja auch.
Eine Stunde später rollte sein Auto in den Hof. Katja stieg aus, legte den Zeigefinger auf die Lippen und setzte sich zu ihm.
„Psst! Nelly schläft seit zehn Minuten. Schön, dass du gewartet hast.“
„Süße, ich habe doch gesagt, ich bin bei dir und für dich da. Du hast ja noch einiges zu tun: Cora und Marie anrufen. Nelly alles erklären und dir Gedanken machen über den zukünftigen Umgang deiner Tochter mit ihrem Vater.“
Es hatte sich sehr sachlich angehört und Katja war froh, dass Arne so abgeklärt redete. In seinem Inneren war er allerdings immer noch zerrissen. Aber er fühlte Liebe, Begehren und eine tiefe Verbundenheit zu der Frau, die ihr Leben und das Leben anderer regelmäßig in einen Scherbenhaufen verwandelte.
„Bitte versprich mir eines: Sei immer ehrlich zu mir. Ich kann mich gut in Christian und Benjamin hineinversetzen. Nicht nur wegen dir, auch wegen meiner damaligen Freundin, die gelogen hat, wenn sie den Mund aufgemacht hat.“
„Was ist aus ihr geworden?“
„Sie ist nach Südafrika gegangen und lebt dort, soweit ich weiß, mit einem reichen Typen zusammen. Sie haben drei Kinder. Aber reden wir nicht über sie.“
„Ich will zu dir immer ehrlich sein, das verspreche ich hoch und heilig. Es ist so viel schief gegangen in meinem Leben, jetzt muss ich nach vorne schauen. Bitte hilf mir dabei.“
Sanft legte er den Arm um ihre Schultern und küsste sie auf die Wange. So saßen sie, bis sie Nelly rufen hörten.
„Mama! Nelly fertig mit heia.“
Katja nahm ihre Tochter aus dem Kindersitz und Arne brachte die Sachen ins Haus. Danach nahm er seine Tasche und wollte zu sich hinübergehen.
„Kommst du wieder?“, fragte Katja zitternd.
Sie hatte auf einmal Angst bekommen, er würde sie verlassen. Es wäre sogar zu verstehen, aber sie hoffte, dass er nicht gelogen hatte. Ganz tief in ihrem Inneren hatte sie sich in den Mann verliebt, der Daniel so ähnlich war. Aber die Liebe zu Christian ließ wenig Platz in ihrem Herzen übrig.
„Ich bringe meine Sachen weg, schaue meine Post durch, dann komme ich wieder und kümmere mich um Nelly, damit du in Ruhe telefonieren kannst. Ist das so in Ordnung?“
Arne küsste Katja sanft auf die Lippen, kitzelte Nelly, die sofort kicherte und ging davon. Nelly zappelte und wollte von Katjas Arm, um gleich danach im Garten zu verschwinden. Katja folgte ihr und setzte sich unter den Nussbaum. Nelly lief zur Schaukel, kletterte in den Sitz und bewegte die Beine vor und zurück, so wie ihr Benjamin das in der letzten Woche erklärt hatte.
„Mama! Nelly schaukelt!“
Katja applaudierte und lief zu ihr, um sie noch ein bisschen anzustoßen. Nelly jauchzte mit jedem neuen Schubs, der sie höher und höher schaukeln ließ. Herausfallen konnte sie nicht, also forderte sie ihre Mutter auf, ihr immer wieder Schwung zu geben.
Als Arne um die Ecke kam, rief sie begeistert: „Arne, guck! Nelly schaukelt ganz hoch.“
„Gehst du mit Arne ein bisschen auf den großen Spielplatz? Die Mama muss telefonieren.“
Nelly ließ sich sofort von Katja aus der Schaukel heben, dann griff das kleine Mädchen Arnes Hand und schaute ihn freundlich an. Sie verließen den Garten, Katja setzte sich wieder zurück unter den Nussbaum und nahm ihr Handy. Zitternd wählte sie Coras Nummer.
„Hallo, Cora, ich bin es.“
Sie nahm noch einmal Glückwünsche zum Geburtstag entgegen und begann dann ohne Umschweife von dem katastrophalen Abend zu erzählen. Für Cora waren das Neuigkeiten, die ihr die Sprache verschlugen. Die sonst so impulsive Frau legte einfach auf, nachdem Katja ihre Beichte beendet hatte.
Katja liefen die Tränen herunter, hatte sie doch eher damit gerechnet, dass Cora laut werden würde. Dieses Schweigen tat mehr weh als jedes Schreien. Sie zog die Füße auf die Bank und schlang die Arme um die Knie. Nach einer halben Stunde klingelte das Handy, auf dem Display stand Coras Name.
„Katja, du hast mich sicher noch niemals sprachlos erlebt, auch wenn du noch so blöden Mist angestellt hattest, aber nun hast du es geschafft, mir fehlen die Worte. Sei froh, dass ich so weit weg bin, du dämliches Weibsbild, ich würde dir jetzt gerne eine klatschen. Was hast du dir denn dabei gedacht? Bist du von allen guten Geistern verlassen?“
Katja erklärte Cora genau das, was sie auch den anderen gesagt hatte, aber sie erwartete kein Verständnis. Umso erstaunter war sie, als Cora ganz ruhig blieb.
„Du wirst es nicht glauben, aber ich verstehe deine Motive sogar. Es ist jedoch sowas von bekloppt, dass du und Christian euch gleichzeitig wie in einem Kindergarten aufführt. Hättet ihr euch nicht einfach lieben können? Der ist irgendwie schon genauso dusselig wie du. Aber das habt ihr jetzt gründlich verdorben. Arme Nelly, armer Benjamin. Und glücklicher Christian, denn Nelly ist so sehr seine Tochter, es sah schon immer so aus. Was sagt er dazu?“
„Christian ist weggelaufen …“
„Verständlich!“, rief Cora dazwischen.
„Er ist weg und Verena, seine Neue, ist hinterher. Ich habe sie seither nicht mehr gesehen, Arne und ich sind heute früh abgereist. Er ist jetzt mit Nelly auf dem Spielplatz, damit ich in Ruhe mit dir reden kann. Es tut mir alles so leid.“
„Tja, Katja, das tut es dir ja immer, wenn es zu spät ist. Wie geht Benjamin damit um?“
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