Mario Covi
Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 2
Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .
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Inhaltsverzeichnis
Titel Mario Covi Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 2 Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . . Dieses ebook wurde erstellt bei
1. WILLIAMSON-TURN UND PORTERHOUSE-STEAKS
2. EIN RÄTSEL
3. ALARMZEICHEN UND NOTRUFE
4. HINTER DEM ALTEN LEUCHTTURM
5. ABSCHIEDNEHMEN
6. SCHWARZE GANG
7. QSQ?
8. GEFÄHRLICHE LADUNG
9. WENN DIE SEELE SCHLAPP MACHT
10. PLAUDEREIEN - UND VOM VERLUST DER REDLICHKEIT
11. EIN LÄSTERLICHER SCHNACK
12. WEIHNACHTSSTIMMUNG
13. HOCH UND TROCKEN
14. EIN SCHIFF WIRD KOMMEN
15. PLATZHIRSCHE
16. HASS UND DANKBARKEIT
17. WIEDERSEHEN UND ERINNERUNGEN
18. HABARI – MZURI
19. ZWISCHEN KILIMANJARO UND FORMOSABAY
20. IM MEER DER ZANDSCH
21. ZYKLONE UND ZUCKERROHR
22. INSELABENTEUER
23. GROBE SEE
24. VON DER MOSESFABRIK AUF DIE ‚PASSAT‘
25. EINE SACHE DER DIPLOMATIE
26. VERÄNDERUNGEN UND ANSICHTSSACHEN
27. KAKERLAKEN UND ANDERES GETIER
28. VORSCHAU
Impressum neobooks
1. WILLIAMSON-TURN UND PORTERHOUSE-STEAKS
Am 12. Juli 1981 machte das M/S "Bernhard-S" wieder in Baltimore fest. Mit dem türkischen Schlüsselmatrosen und dem neuen Leichtmatrosen Wilfried (alle Personennamen geändert) fuhr ich zum "Inner Harbor", wo ein "Greek Festival" stattfand, ein griechisches Volksfest. Es herrschte ein toller Betrieb. Familien flanierten im typisch anmutenden Yankee-Look: Daddy in karierter Flatterhose, mit Baseballmütze auf dem Kopf und ausgelatschten Joggingschuhen, während Mama ihren prallen Hintern reißfesten rosa Shorts anvertraute. Amerika ist für Hinternfetischisten ein Erlebnis! Es hat wohl auch etwas mit freier Meinungsäußerung und Selbstbewusstsein zu tun, aber in keinem Land der Erde werden fettere Ärsche so selbstverständlich in enge Shorts und Jeans gezwängt und mit softeisschleckender Selbstverständlichkeit durch die Welt geschaukelt, wie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten!
Die Schwarzen schienen zu dominieren. Elegante Dandys und gertenschlanke Gazellen, deren erotisierende Schönheit jeder weißen Rassenüberheblichkeit hohnlachte. Natürlich wimmelte es von Amerikanern, die allesamt stolz zu sein schienen, aus dem Land des Aristoteles, des Sirtaki und des Ouzo zu stammen. Vor allem die beiden letzten Merkmale hellenischer Lebensart wurden, zur Freude des Ohrs und Wonne der Kehle, in luftigen Zeltpavillons feilgeboten. Es gab noch vielerlei andere folkloristische Lustbarkeiten. Amerikaner, sind sie erst mal Bürger dieses Landes, entwickeln ein Faible für das Volksgut ihrer Väter. So waren die griechischstämmigen Amerikaner des Festivals mit Hingabe Hellenen, wie andernorts die Bierzeltbesucher irgendeines Präriedörfchens deutscher sind als die Durchschnittsgermanen in der alten Heimat. Selbst ein Achtelindianer weist mit Stolz auf seine roten Vorfahren hin, was er, wäre er Halbindianer, am liebsten verheimlichte. Im Falle eines schwarzen Vorfahren sieht es noch verlogener aus, denn da beginnen die politischen und gesellschaftlichen Behinderungen.
Umgekehrt sind Neueinwanderer oft amerikanischer als die Nordamerikaner. Das konnte man besonders während der Sechzigerjahre in den USA und Kanada beobachten. Manche Neuankömmlinge sprachen schon nach vierzehn Tagen kein Wort Deutsch mehr. Oder sie baten an Bord radebrechend um "German black-bread" und mimten herum: „Tell me, wie heißen Swarzbrot auf Deutsch?“ Hein Seemann zitierte in solchen Situationen gerne die alte Beschwörungsformel: „Gott schütze uns vor Sturm und Wind – und Deutschen, die im Ausland sind!“
Drei Tage später machten wir in aller Frühe in Charleston, South Carolina, fest. Mit dem Koch und dem Leichtmatrosen Wilfried fuhr ich in die Stadt, wo wir in einem Supermarkt riesige Porterhouse-Steaks einkauften. Klodeckelgroße Apparate von einem Pfund Gewicht. Das amerikanische Pfund, also 453 Gramm, für vier Dollars und siebzig Cents! Bezahlt wurde der Spaß aus der sogenannten Sportkasse, eine Einrichtung auf vielen Schiffen, die ursprünglich zur Finanzierung von Fußballzubehör oder Tischtennisgerätschaften gedacht war. Meist musste diese Sportkasse für gemeinsame Freizeitausgaben herhalten. Dafür bezahlte jedes Besatzungsmitglied monatlich einen freiwilligen Beitrag, etwa fünf Mark.
Zehn Stunden nach Einlaufen waren wir bereits wieder auf dem Weg nach Europa. Das Wetter war sonnig und warm, und der Alte erinnerte uns am nächsten Tag daran, dass ein Schiff keine Bremsen habe. „Na und?“ mag da die eine oder andere hartgesottene Landratte nachhaken: „Dann stoppt ihr halt die Maschine und gebt volle Kraft zurück!“ - Richtig, aber so ein eiserner Kahn braucht oft mehrere Kilometer, bis er steht. Für ein Mann-über-Bord-Manöver ein viel zu langer Bremsweg, den das Schiff anschließend auch noch zurückfahren müsste, um an die Unglückstelle zurückzukehren.
Es war also ein Mann-über-Bord-Manöver angesagt, und Kapitän Arnold fuhr einen Williamson-Turn, für dessen fachmännische Durchführung unser Kommandant bekannt war. Bei diesem Williamson-Turn wird durch ein Hartrudermanöver zunächst rund 60 Grad Kursänderung erzwungen. Hierauf wird Gegenruder gegeben, so dass das Schiff auf ziemlich genauen Gegenkurs zu liegen kommt, und in das eigene Kielwasser – die Spur des Schiffes – einschwenkt. Von oben sähe es etwa so aus, als zeichnete das Schiff die Linie einer großen Schlinge.
Wir übten dieses Manöver mit einem Rettungsring. Vom Außenbordwerfen des Ringes, über das Auslösen des Generalalarms, das Einleiten des Williamson-Turns, Erreichen der Unfallstelle, Aussetzen des Rettungsbootes bis zum Auffischen des Rettungsringes vergingen rund zwölf Minuten. Nach zwanzig Minuten hing das Rettungsboot wieder in den Davits. Ein beachtlich schnell abgewickeltes Mann-über-Bord-Manöver!
Sollte man einmal über die Kante gehen, so war es beruhigend zu wissen, dass ein zielstrebig ausgeführter Williamson-Turn baldige Rettung versprach – sofern jemand den Unfall beobachtete. Ich glaube, dass jedem Seemann schon einmal die schreckliche Frage in den Sinn kam: „Was ist, wenn ich jetzt unbemerkt ins Meer falle?“ Mich quälten solche Gedanken gerne, wenn ich nachts über Deck ging und auch mal lange dem vorbeiziehenden unheimlichen Ozeangewoge nachträumte.
Am eindrucksvollsten ist in diesem Zusammenhang die Geschichte eines Seemannes, der mitten im Atlantik von einem deutschen Frachter ins Wasser gefallen war und – soweit ich mich entsinne – nach etwa anderthalb Tagen endlich gefunden worden war. Was musste der Mann durchgemacht haben, als des Nachts, nachdem erst Stunden später seine Nichtanwesenheit aufgefallen war, das hell erleuchtete Schiff mit Gegenkurs dicht an ihm vorbeituckerte – und nach ergebnisloser Suche wiederum, ohne seine Hilfeschreie zu hören, im Dunkeln der atlantischen Nacht entschwand! Der im Wasser treibende Seemann hatte daraufhin versucht, seine Pulsadern durchzubeißen, um seinem hoffnungslosen Zustand ein rasches Ende zu bereiten. Es war ihm aber nicht gelungen. Irgendwann hatte er begonnen, nur noch apathisch schwimmend dahinzudämmern, von einem nicht zu kontrollierenden Lebenswillen am Sterben gehindert. Der grausamen Nacht war ein endloser Tag der Verzweiflung gefolgt. Und nach über dreißig Stunden, just in dem Moment, in dem die Suche bei Sonnenuntergang als ergebnislos abgebrochen werden sollte, entdeckte der Matrose eines amerikanischen Küstenwachtbootes den verlorenen Seemann.
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