„5. Juni 1963. SOS Japaner "Kokoku Maru" QTH (Position) im Pazifik auf 37.55n 123.02w. Unsere QTH 31.30n 118.30w, zu weit entfernt, um helfen zu können...“
„20. Februar 1964. XXX, helfen nachts nach vermisstem weiblichem Fahrgast des Passagierschiffes "Seven Seas" zu suchen. Befinden uns etwa eine Tagesreise westlich des Panamakanals im Pazifik. Suche abgebrochen, nachdem Passagier an Bord wieder aufgetaucht – vermutlich aus fremder Koje...“
„29. und 30.Mai 1964. 20.30 GMT, höre SOS des norwegischen Schiffes "Hydro", Rufzeichen LAGH: "...SOS – Kessel explodiert - boiler exploded in position 50n 14w..." Alles Weitere wurde unleserlich und brach plötzlich ab. Der Norweger gab keine Antwort mehr. Einige Schiffe suchten in der angegebenen Position. Nachts sollen drei Raketen gesehen worden sein. Vom Schiff wurde jedoch nichts gefunden. "Hydro" antwortete nicht mehr, auch Suchflugzeuge fanden nichts...“
„8. und 9. September 1965. Südwest-Sturm Stärke 10. Liegen mit Schleppzug beigedreht in der Nordsee. Dauernd SOS und XXX. "Bowqueen" gesunken. 7 Mann gerettet, 4 Mann vermisst...“
„19. Januar 1966. SOS – deutsches Motorschiff "Kremsertor" treibt mit 20 Grad Schlagseite 60 Seemeilen hinter uns...“
Wir waren damals auf der alten "Griesheim" mit einer Ladung Schwefelkies von Huelva, Spanien, nach Rotterdam unterwegs. Normalerweise wären 60 Seemeilen Abstand zum Havaristen selbst mit unserem Zossen in sechs bis sieben Stunden zu schaffen gewesen. Da sich die Katastrophe mit der "Kremsertor" aber im meistbefahrenen Seegebiet der Welt ereignete, war eine schnellere Hilfeleistung – zumindest theoretisch – garantiert. Dennoch berührte uns der Hilferuf des Schiffes durch seine Nähe besonders.
Am nächsten Tag, dem 20. Januar 1966, empfing ich die Meldung, dass die "Kremsertor" mittlerweile 45 Grad Schlagseite hatte! Um 08.20 GMT piepsten mir die Morsezeichen ins Ohr, dass 28 Besatzungsmitglieder vom deutschen Hochseeschlepper "Atlantik" übernommen worden seien. Das hieß, dass immer noch einige Seeleute auf dem Schiff ausharrten, der Kapitän, wahrscheinlich der Chief und vermutlich auch der Funkerkollege. Auf der "Griesheim" hörten wir es mit Erleichterung, als um 09.06 GMT gemeldet wurde, dass man den Rest der Besatzung mit einem Helikopter von der "Kremsertor" geborgen habe. Denn das Schiff hatte mittlerweile eine Schlagseite von 70 bis 80 Grad, war also nicht mehr zu retten!
Und so geht es weiter. Seenotfälle, Mann über Bord, Meuterei, Todkranke an Bord, Suchmeldungen nach Schiffen, die oftmals nie wieder auftauchten. Ich überblättere einige Jahre...
„28. März 1973. SOS 120 Seemeilen südlich von Dakar. Kollision zwischen spanischem Schiff "Marquina" und einem Norweger. Einer von beiden soll ein lichterloh brennender Tanker sein...“
„23. Dezember 1974. XXX, bei Kap Finisterre Liberianer "Yaga" gesunken. Zwei Überlebende, ein Toter von deutschem Motorschiff "Heimersdorf" übernommen, ein Toter von deutschem M/S "Simone", drei Tote von dänischem M/S "Berina", "keep sharp lookout...“
Ich blättere weiter: „1. Januar 1986. SOS – Koreaner "Morning Park" sinkt in Position 18.12 Nord 120.17 Ost. Ich verfolge den Rettungsfunkverkehr und höre, dass 22 Mann das Schiff in Rettungsbooten verlassen haben. Der Brite "Gastrana" übernimmt später die Crew aus den manövrierunfähig treibenden Rettungsbooten und bringt sie nach Brunei. Die "Morning Park" treibt weiterhin mit 25 Grad Schlagseite durchs Südchinesische Meer...“
Mitunter spielten sich Dramen dort draußen im Äther ab. Da finde ich beispielsweise Notizen vom Februar 1990. Ich lag damals mit einem kleinen Containerschiff vor Marsaxlokk, Malta. Ich hörte den Hilferuf des Panamafrachters "Atlantic III", einem fast 9.000 BRT großen Zossen, der um Einlauferlaubnis nach Valletta bat. Der Hafenkapitän verweigerte das jedoch strikt, obwohl der Kommandant des Panama-Zossen seine verzweifelte Lage schilderte. Was war vorausgegangen?
Die griechische Reederei "Kent Trading Corp." aus Piräus hatte den mit pakistanischer Crew besetzten Frachter vor einem Monat mit einer Ladung für die libanesische Armee auf die Reise geschickt. Sechzig Seemeilen vor der israelischen Küste war das Schiff von vier libanesischen Entführern geentert worden. Der Erste Offizier wurde als Geisel in den Libanon verschleppt. Was mit der Ladung geschah, konnte ich nicht aus den Funkgesprächen herausklamüsern, aber merkwürdigerweise berichtete der Kapitän, dass sie die vier libanesischen Piraten überwältigt hätten. Da jedoch die Besatzung des Seelenverkäufers mittlerweile seit einem halben Jahr im Mittelmeer umherirrte, ohne einen Dollar Heuer erhalten zu haben, ohne Proviant, und jetzt auch noch ohne Trinkwasser, wäre ihre Geduld am Ende.
Der Hafenkapitän von Valletta blieb hart. Da drohte der Alte auf dem Panamesen: „...Wir haben nichts mehr zu verlieren. Wir haben kein Geld, keinen Proviant, kein Wasser, ich werde mein Schiff mit voller Fahrt in die Hafeneinfahrt setzen. Sie können uns alle erschießen... you can shoot us all!“
Wer die Hafeneinfahrt von Valletta auf Malta kennt, der weiß welche Katastrophe das gewesen wäre. Mit einem Wrack in der engen Einfahrt wäre diese am dichtesten besiedelte Inselgruppe der Welt in eine wirtschaftliche Problemzone gesegelt! Nun schaltete sich endlich die ITF, die Internationale Transportarbeiter-Gewerkschaft ein, und den Verzweifelten wurde ein Mannschaftswechsel, Proviant und Wasser versprochen. So ganz konnte ich den Verdacht nicht unterdrücken, dass hier tüchtig gemauschelt wurde. Man wollte die Leute erst mal beruhigen. Proviant und Wasser werden sie wohl bekommen haben. Aber der Mannschaftswechsel sah mir sehr danach aus, die aufsässigen Männer so schnell wie möglich loszuwerden und in ihr Heimatland abzuschieben. Und dort blühte ihnen unter Umständen eine rücksichtslose Bestrafung. Die Rekrutierungsbüros, die stets den erkauften Schutz der politischen Machthaber hatten, werden den Männern die Seefahrtbücher abgenommen und die ausstehende Heuer als Strafe für Nichterfüllung des Kontraktes einbehalten haben. Und wer aufmuckte, der wanderte in ähnlich gelagerten Fällen einfach in den Knast.
Die Aufzeichnungen ließen sich weiterführen und ausbauen, mit spektakulären Katastrophen würzen, an denen sich die Medien aufgeilen, wenn es sich um attraktive Schiffe, um weltbekannte Reedereien oder aufregende Begleitumstände handelt. Wenn aber der unbekannte Hein Seemann irgendwo mit einem Rattendampfer absäuft, aus Verzweiflung, von mir aus im besoffenen Kopf über die Kante springt oder einfach beim Nachlaschen der Ladung in den Bach fällt und nicht mehr gefunden wird, dann ist das einfach zu wenig für die Revolverblätter und Trivial-TV-Kanäle! Das ist dann eben eine von diesen Belanglosigkeiten, die da irgendwo draußen auf See passieren.
4. HINTER DEM ALTEN LEUCHTTURM
Ende Juli 1981, es herrschte typisch atlantikgraues Mistwetter mit zunehmendem Nordost 6 bis 7. Aber, es waren nur noch Tage bis zu meiner Urlaubsablösung. Ich hockte in der überfüllten Kammer des Motormann Martin (alle Namen geändert), wo noch mein vierkanter Macker Rolf, der Koch, der Zweite Ing und der Decksmann Klaus beim wer weiß wievielten Bierchen saßen. Bereitwillig ließen mich meine Kameraden die Quasselrunde mit meinem sturmerprobten "Uher-Report" mitschneiden.
Читать дальше