Es ging um die Seefahrt schlechthin, um schöne und miese Erlebnisse, um Probleme in der Partnerschaft, um die ziemlich trostlosen Zukunftsaussichten. Der Koch polemisierte heftig gegen die "Knackfüße", beschwor seinen Hass gegen „alles, was Allah schreit!“ Auch der Zweite Ing hegte seinen Groll: „... Ich mag sie nicht, und damit ist das für mich erledigt!" Aber alle waren sich sicher, gerne zur See zu fahren.
Wir diskutierten leidenschaftlich, es ging alles andere als akademisch oder "political correct" zu, und es fehlte auch tüchtig an einer gewissen Logik. Doch die war sowieso nicht gefragt als das Gespräch endlich eine scharfe Kurve Richtung Südamerika nahm!
Rolf erzählte von seiner Brasilienreise 1970: „...Ich bin siebzehn Monate Brasilien gefahren. Das ging los in Hamburg, Bremen, Stettin, England, dann Rotterdam und so weiter bis Nordspanien und Portugal: Dann nach Gran Canaria bunkern, und der erste Hafen war dann Belém. Dann Recife, Salvador/Bahia, Vitória, Cabadelo, Rio, Santos, Paranaguá, und dann sind wir runtergerutscht nach Montevideo...“
„Wie lange habt ihr immer gelegen?“
„Die längste Liegezeit war vier Wochen in Rio.“
„Hattest du noch Guthaben?“
„Ich hatte noch Guthaben!“, sagte er stolz und erzählte, wie er es bewerkstelligt hatte, mit seinem Geld gut über die Runden zu kommen:
„In Antwerpen lagen wir vier, fünf Tage in der Werft, weil wir ´n Propeller verbogen hatten. Wir hatten da zwei Plattenkühler, und in denen waren früher noch Messingplatten drin. Und da hab ich den Chief und die Assis ganz doof gefragt: "Da wollt ihr ja nichts von haben, ne?" – Und der Chief meinte: "Nee, kannste alles über die Kante schmeißen!" ...“
Rolf, der damals als Reiniger fuhr, hatte aber die pfiffigere Idee: „Allein für die Platten hab ich in Gran Canaria 450 Dollar gekriegt! Und dann hatte ich noch so alte Gas- und Sauerstoff-Flaschen aufgefixt. Die gingen beim Schrotthändler für 60 Dollar das Stück übern Süll. Und Buntmetall, Drehspäne, alles was so gesammelt wurde. Da kriegte ich 650 Dollar von dem Macker. Er hatte aber nur 500 Dollar. Wir haben uns dann geeinigt, dass er mir für die restlichen 150 Dollar Bacardi lieferte. Zwanzig Kisten Bacardi! Dem Steward habe ich später zehn Kisten verkauft. Aber da kamen mit einem Male meine Herren Assistenten. Da sag ich: "Ihr habt doch gesagt, ich soll das außenbords schmeißen!" – Und der Chief hat auch gesagt: "Der Mann hat recht." – Okay, ich hab dann jedem der drei Assis ´ne Kiste Bacardi gegeben, dann war Ruhe.“
Im Laufe des Abends stellte Rolf fest: „...Meiner Meinung nach ist Fortaleza immer noch der schönste Hafen in Brasilien. Der kleinste und der schönste Hafen. Da kannst du Rio vergessen, weil Rio zu teuer ist. Santos ist zu teuer. Fortaleza, Cabadelo, Bahia geht noch... Oder hier in Nordbrasilien Itaquim, ist auch ´n schöner Hafen. Aber Fortaleza ...“
Das kleine Fischerdorf hinterm Leuchtturm... Es waren immer die Rückblenden in Zwielichtiges, Fragwürdiges, die man als "gute Erinnerungen" hätschelte. Fortaleza, ach ja, das war schon ´ne verdammt wilde Zeit, damals, hinter dem alten Leuchtturm!
Es war jener alte Zossen, dessen versoffener Erster dem trinkfreudigen Kapitän den Sprithahn zuzudrehen versuchte, mit dem wir Mitte der Sechzigerjahre Fortaleza ansteuerten. Es war ein Wettrennen gegen die Regenzeit, das wir haushoch verloren. Die "Schürbek" war als Zehn- oder Zwölf-Meilen-Schiff an den Norddeutschen Lloyd verchartert worden. Aber der Kahn lief mit Rückenwind nur noch acht Knoten, so dass wir zum Baumwolle laden genau mit Beginn des großen Regens eintrudelten. Deshalb soff der Alte ja auch so verzweifelt, weil er die Telegramme des Charterers nicht wahrheitsgemäß beantworten konnte. Die dauernd drängende Frage nach unserem Ankunftsdatum, nach dem ETA, der "Estimated Time of Arrival". Und der Norddeutsche Lloyd war in deutschen Schifffahrtskreisen als ein eingebildeter, elitärer Haufen verschrien. Bei Neptuns fischschuppigem Barte, wenn die damals nur geahnt hätten, dass in ferner Zukunft mal ´ne Fusion mit dem Erzfeind "Hapag" stattfinden würde! Unvorstellbar, das Entsetzen! Alte Lloyd- und Hapagfahrer mögen mir meine frechen Bemerkungen verzeihen!
Der Alte trank natürlich auch, weil wir alle kräftig zechten und er mit seinen vom Krieg zerrütteten Nerven am ehesten Grund dazu hatte. Im Mittelmeer – so erzählte er mir einmal – war er innerhalb von vierzehn Tagen dreimal mit torpedierten und bombardierten Handelsschiffen eines Konvois abgesoffen. Und jedes Mal war er gerade noch, einmal sogar als einziger, mit dem Leben davongekommen.
Fortaleza, im nordöstlichen Armenhaus Brasiliens, war eine recht große Stadt. Der Hafen allerdings war eher unbedeutend und lag etwas außerhalb in einer weiten Bucht. Eine hohe Dünenkette erstreckte sich entlang der Küste, die beinahe einer Sandwüste ähnelte und nicht viel von tropischer Amazonasüppigkeit verriet, die man eigentlich erwartete. Hinter der Landzunge Mucuripe, auf deren Ende der rote achteckige Mucuripe-Leuchtturm stand, versteckte sich ein ärmliches Viertel jener Art, in dem sich Seeleute immer wieder zu Hause fühlten.
Hierhin stolperten wir Abend für Abend und zechten den billigen Bacardi-Rum, der in den Kneipen des Elendsviertels keine zwei Mark pro Flasche kostete. Schon damals war eine wertvolle Westerngitarre der Marke "Gibson" meine ständige Begleiterin, die ich nun in diese "Favela" mitschleppte und in den Bars Musik machte. Manche Nacht herrschte eine wirklich romantische Stimmung, die in jeden tropischen Kitschroman gepasst hätte! Im Kreis saßen wir mit den Mädchen beisammen, sangen Lieder, tanzten, lachten, schmusten und alberten und schlürften viel zu viel Cuba-Libre.
Da ich meinem geliebten Schatz im fernen Deutschland treu zu bleiben versuchte und sich der Dritte ein ähnlich schwieriges Vorhaben aufgebürdet hatte, soffen wir uns jede Nacht regelrecht impotent. Irgendwann wusste ich dann nicht mehr, wo meine Gitarre geblieben war, und irgendwann wusste ich auch nicht mehr, wo ich selber war. Aber, jeden Morgen wachte ich im Bett einer fürsorglichen kleinen Indianerin auf!
So ist es ja immer: Wenn man partout nicht will – oder nicht zu dürfen meint, dann hat man die traumhaftesten Chancen! Diese kleine Indianerin, Maria Nazaré, war wie wild hinter mir her. Meine Gitarre und die wonniglich melancholischen Lieder, die ich an Lateinamerikas Küsten gelernt hatte, mussten sie benebelt und verliebt gemacht haben. Sie war kein schönes Mädchen. Aber sie versprach mir die himmlischsten Liebeswonnen, was allerdings auch eine rassige, langbeinige, bildhübsche Mulattin tat, deren Herz mir ebenfalls zugeflogen war. Ach ja! Ich Idiot aber soff mich lieber handlungsunfähig und genoss dann im nüchternen Zustand das wilde Werben der beiden Frauen. Einmal saß ich mit drei oder vier Mädchen und einem Reiniger von Bord in Maria Nazarés engem Kabuff auf der Lasterliege. Die Mädchen rauchten Marihuana, ich klimperte sentimentale Lieder, da tauchte die Mulattin auf und machte mir schöne Augen. Das prachtvolle Weib stellte mir paradiesische Liebesfreuden in Aussicht, beschrieb leckermäulische Liederlichkeiten - wenn ich doch nur mit ihr ginge...
Читать дальше