Die Freunde waren seit über einer Woche da. Wir hatten inzwischen den Fußboden vom Dachboden angefangen. Schlechtes Wetter hatte Kälte gebracht und machte alles etwas ungemütlich. Doch bei der Arbeit wurde uns wieder warm. Es war Abend, wir saßen im Wohnwagen und kochten. Der Regen trommelte leicht auf das Dach. Draußen stand das Wasser in den Radspuren, nur die Käuzchen waren unterwegs. Von überall her schallten ihre etwas schaurigen Rufe und Antworten. Ich öffnete die Wohnwagentür um mich draußen zu erleichtern, denn das deutsche Bier verursachte einen chronischen Blasendruck. Da sah ich plötzlich durch das Dunkel eine Gestalt sich nähern. Mit Zick-zack-Sprüngen versuchte sie, die Pfützen auf dem Weg zu vermeiden. Wer konnte das sein? Ich machte die Taschenlampe an. Da erkannte ich den Springer: Es war Rudi, unser österreichische Freund! Mit dem hatte ich nicht gerechnet. „Hallo!“, rief er, „so ein Mist! Ich wollte euch überraschen. Doch Ludwig hat mich schon erkannt und euch mein Kommen gemeldet!“ „Ludwig – dein Ankommen?“ Ich blickte nicht ganz durch. Da schrie wieder ein Käuzchen. „Hörst du? Er ruft wieder! Der muss irgendwo da am Hang sitzen!“ „Komm erst mal rein ins Trockene!“, sagte ich. Wir begrüßten uns. Die Anderen rückten etwas zusammen und ich legte einen weiteren Teller auf den kleinen Tisch. Jemand stellte ihm ein Bier hin, ich verteilte das Essen. „Wo bleibt Ludwig, warum kommt der nicht rein?“, wollte er wissen. „Ludwig ist schon seit 10 Tagen nicht mehr da. Er war plötzlich heimgetrampt, ohne was zu sagen!“ Und ich erzählte ihm kurz die Geschichte. „Und ich fahre 1300 Kilometer, um ihn abzuholen! Wir hatten vorgehabt, noch eine Woche durch Frankreich zu fahren, wie Asterix und ‚Die Tour De France‘!“ „Und ich dachte, er hätte dich benachrichtigt!“, gab ich zurück. Wir aßen erst mal und tauschten die Neuigkeiten aus. „Wisst ihr was?!“, meinte er nach einer Weile, „Spanien ist, laut meiner Karte, nicht weit. Morgen fahren wir alle dorthin! Bei dem Sauwetter könnt ihr eh nicht arbeiten!“ Nach dem Essen holte er seinen ‚Musterkoffer‘ aus dem Auto und seine Rollmaschine und baute einen Joint. Er reichte ihn mir zum Anrauchen. „Nein danke!“, lehnte ich ab, „Mit der Baustelle brauche ich einen klaren Kopf. Vorerst bleibe ich noch Abstinenzler!“ Er zündete ihn selber an. Bald verdickte der Rauch die Luft des Wohnwagens. Die Stimmung stieg um ein paar Grade! Er holte sein Tonbandgerät mit den Dubliners aus dem Auto. Später überließen wir ihm den Wohnwagen und stiegen zum Haus hoch.
Am nächsten Morgen machten wir eine Baustellenbesichtigung und schauten unser Land an. Darüber wurde es Mittag. Dann fuhren wir alle vier mit seinem roten Simca über den Pass nach Spanien. Der Regen hatte wieder eingesetzt und oben auf dem Pass befanden wir uns voll in den Wolken. Schade, denn von hier oben hatte man sonst einen sehr schönen Blick auf unseren Hof! Rudi tastete sich langsam die schmale, kurvige Straße hinunter. Schemenhaft sahen wir die von Flechten behangenen Bäume mit dem Unterwuchs aus Buchsbaumboschen. Langsam wurde die Sicht wieder besser. Klar, dass die spanischen Zöllner ein paar Fragen an uns hatten. Im zweiten spanischen Dorf hielt Rudi an. „Ich lade euch alle zum Essen ein!“, meinte er und steuerte ein Gasthaus an. Doch es war schon drei Uhr nachmittags vorbei, selbst für Spanien etwas spät! Man vertröstete uns auf abends. Doch das war zu spät für uns. Wir schlenderten durch die wenig belebten Straßen. Souvenirläden wechselten mit Modebutiken und Zigaretten- und Alkoholläden ab. Wir zogen uns vor dem Nieselregen in eine Kneipe zurück, bestellten vier Gläser Rotwein und knabberten Erdnüsse. Plötzlich klirrten die Gläser in den Regalen und die Flaschen tanzten. Alle rannten hinaus, nur wir blieben, weil wir dachten, hinterm Haus sei ein Zug vorbeigefahren. Ein Mann kam zurück und zog uns an den Ärmeln hinaus. Er sprach irgendwas von ‚Terremoto‘, ‚Seismo‘. Wir hatten verstanden! Alle redeten aufgeregt durcheinander. Als eine Weile alles still blieb, gingen die ersten wieder zurück in die Bar. Wir folgten ihnen und wir alle tranken ein Glas auf das Überleben! Doch bei so einem Wetter ist selbst der sonst so sonnige Süden grau. Mit leeren Mägen fuhren wir wieder zurück nach Frankreich.
Der Regen verwandelte sich langsam in dicke Flocken. Je näher wir der Passhöhe kamen, desto mehr blieb der Schnee auf der Straße liegen. Tief neigten sich die dick mit Schnee beladenen Äste über die Fahrbahn. Das Auto rutschte in den Kurven und wir hatten immer mehr Mühe, vorwärts zu kommen. Wir waren nur 100 Meter von der Passhöhe entfernt, als es immer langsamer wurde und dann zum Stehen kam, aber nur ganz kurz, bis es dann plötzlich rückwärts rutschte. Wir drei schnell raus und schieben, während Rudi vergeblich auf das Bremspedal trat! „Was hast denn du da für Gurken auf den Felgen, das sind ja keine Reifen mehr!“, staunte Rolf. „Ich hatte extra die alten Sommerreifen drauf gemacht, weil ich dachte, hier im sonnigen Süden tun die’s noch gut!“, meinte Rudi. So war das also, und wir konnten nun schauen, dass wir die Karre auf den Pass schoben! Und wir schafften es!
Oben hielt Rudi an, holte seinen Fotoapparat aus dem Handschuhfach und meinte theatralisch: „Solche Momente verdienen es, für die Nachwelt festgehalten zu werden!“ Und bums, hatte er einen Schneeball im Gesicht! Wir ließen ihn alleine runterfahren. Uns war es zu riskant, in seinen Schlitten einzusteigen. Wie weiße Dünen lagen die Berge unter uns. Leider versteckten sich die höchsten in den Wolken. Und auf einer dieser weißen Dünen musste auch unser Hof liegen! Doch all die Hügel sahen sich so ähnlich… „Ich lade euch alle zum Essen ein!“, meinte Rudi. „Das ist schon das zweite Mal, dass du uns heute einlädst, das können wir nicht annehmen!“, frotzelte Reiner. Wir hielten Ausschau nach einem Restaurant-Schild. Im ersten Nest, durch welches sich die enge Straße schlängelte, sahen wir nichts. Doch im zweiten erkannten wir ein Schild: ‚Auberge de l‘Izard‘. Es war aber nur die Bar offen, es war anscheinend Aperitif-Zeit. Fragen kostet nichts… Die Wirtin schaute uns an und überlegte, ob sie uns sagen sollte, dass heute Ruhetag ist. Doch dann siegte ihr Wertschätzungsgefühl und sie schloss eine Seitentür auf. Sie knipste das Licht an und führte uns in einen langen, etwas muffig riechenden Raum, wo zwei Reihen mit Wachstuch bedeckter Tische standen. Sie platzierte uns in der Nähe des offenen Kamins, der jedoch nicht brannte. Sie stellte eine Gasflasche mit einem Heizaufsatz neben uns und fragte, was wir trinken wollten. Alle wollten natürlich einen Pastis, nur ich zog ein Bier vor. Rudi, der gut Französisch sprach, verhandelte schon mit ihr wegen des Essens.
„Die gute Frau fragt, ob wir mit etwas Einfachem zufrieden wären, da sie im Augenblick nicht groß auf Gäste eingestellt sind!“, erklärte uns Rudi. „Egal was!“, meinten wir, „Hauptsache, man kann es essen!“ Inzwischen machte sich ihr Mann am riesigen Kamin zu schaffen, und bald züngelten die ersten Flammen. Von den Wänden schauten Jagdtrophäen auf uns herab. Ein enormer Hirschkopf, mehrere hakenförmige Geweihe, wohl von Gämsen, und der mit Stoßzähnen bewaffnete Kopf eines Wildschwein-Ebers. „140 Kilo!“, meinte der Wirt, als er unseren Blick darauf gerichtet sah. Es entspann sich ein Gespräch, während langsam die Flammen das dicke Holz annagten und etwas Wärme zu uns strahlten. Rudi schien sich mit Jagd etwas auszukennen, und wir erfuhren, dass das Gasthaus ‚Zur Gams‘ hieß, und die Pyrenäengämsen, die etwas kleiner sind als die der Alpen, ‚Isard‘ hießen.
Die Freunde bestellten einen neuen Pastis. Inzwischen hatte die Wirtin eine enorme Terrine dampfender Suppe vor uns gestellt, holte vier tiefe Teller aus einem Wandregal und schöpfte uns voll ein. Tat das gut! Bald schon strömte wohlige Wärme bis in unser Knochenmark! Klar, dass wir uns nochmal nachschöpfen ließen! Wir ließen einen kleinen Rest, nicht aus Anstand, sondern weil wir dachten, dass die Wirtsleute ja auch noch essen mussten! Bald folgte eine Schüssel mit Leberpastete, eine Platte mit Hartwurstscheiben und Schinken darauf, garniert mit winzigen sauren Gürkchen, genannt ‚Cornichons‘, und sie entschuldigte sich, dass sie keinen Salat hatte. Dazu einen Korb mit aufgeschnittenen Baguettes und eine Karaffe Rotwein und eine andere mit Wasser. Klar, dass wir bei diesem Wetter das Wasser unberührt ließen! Uns wurde plötzlich klar, dass wir seit dem Frühstück außer den spanischen Erdnüssen nichts gegessen hatten und machten uns über die ‚Brotzeit‘ her. Die Wirtin schaute bisweilen durch die Tür und schien sich über unseren Appetit zu freuen. Wir wussten nicht, ob es außer dieser ‚Brotzeit‘ noch etwas anderes gab und hauten rein, bis nichts mehr auf den Platten war. Wir fühlten uns wieder wie Menschen!
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