Henny Bode
Fremde Horizonte
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Titel Henny Bode Fremde Horizonte Dieses ebook wurde erstellt bei
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»Herrgottnocheins, können Sie nicht anklopfen?!«
Horatio Ferroulo wischte sich mit der linken Hand den Cognac von seinem Gehrock und blickte grimmig auf die Scherben zu seinen Füßen, die noch kurz zuvor ein edles und vor allem teures Kristallglas gewesen waren.
»Verzeihung...«, murmelte die Besucherin, »ich habe vergessen, dass...«
»Ja, dass ich ein Lebender bin, der so etwas wie Privatsphäre benötigt und der unangemeldete Besucher, die nicht mal die Tür benutzen können, nicht mag!«, schimpfte der Mann mit hochrotem Kopf.
Mit seiner sauberen Hand richtete er Schnauzbart und Koteletten und stellte sich unwillkürlich auf die Zehenspitzen. Da er von eher gedrungener Statur war, hatte er es sich vor langer Zeit schon angewöhnt, nicht nur Schuhe mit hohen Absätzen zu tragen, sondern sich auch in die Höhe zu recken, wenn er sich Respekt verschaffen wollte.
»Soll ich noch mal reinkommen?«, fragte der Geist und schwebte rückwärts Richtung Bürotür.
Horatio räusperte sich und schob die Glasscherben mit einem Fuß lässig zur Seite. »Nein, nicht nötig, nun sind Sie schon mal hier.«
»Es tut mir sehr leid.« Der Geist blickte betreten auf die Bodendielen. »Ich bin ein wenig nervös... Sonst wäre ich ja nicht hier.«
Horatio musterte seine potentielle Klientin von oben bis unten. Es war ein weiblicher Geist, ihre gräulich wabernde Figur offenbarte eine recht hübsche Frau im reifen Alter — zumindest war sie im reifen Alter gestorben. Ihr enganliegendes Kleid, dessen einstige Farbe man nicht mal mehr erahnen konnte, offenbarte trotz all der Rüschen und Schößchen ihren schlanken Körper. Auf dem Kopf trug sie ein Hütchen, das mit Federn und Blumen verziert war, und ihre Hände in den eleganten Spitzenhandschuhen hielten ein geisterhaftes Sonnenschirmchen fest.
Horatio nickte und entschied für sich, dass die Dame anständig genug aussah, um irgendjemandem ein gutes Erbe hinterlassen zu haben. Daher würde sie ihn wohl auch angemessen entlohnen können. Er ließ sich so würdevoll wie möglich auf dem gepolsterten Stuhl hinter seinem Schreibtisch nieder und machte eine einladende Handbewegung.
»Setzen Sie sich bitte. A-a-aber nicht dort...!«, rief er aus, als die Geisterfrau sich gerade auf einen Holzstuhl zu ihrer Linken setzen wollte. »Der ist nur für Lebende geeignet.«
»Huch!«, rief die tote Frau und schnellte sofort wieder in die Höhe. Hätte sie versucht, auf diesem Stuhl zu sitzen, so wäre sie einfach durch ihn hindurch gesunken und wohl auf dem Boden gelandet.
»Keine Aufregung, ich habe natürlich auch Stühle für die verblichene Kundschaft.«
Horatio sprang beflissen auf und zog ihr einen leicht verstaubten Stuhl heran, dessen Oberfläche, ebenso wie der Fußboden und die Tür, mit einem Lack aus sogenanntem Geisterlicht behandelt worden war. Diese schwach leuchtende, goldfarbene Substanz verhinderte, dass Geister diese Barriere durchbrechen konnten, und so waren sie in der Lage, Fußböden oder Gegenstände ganz selbstverständlich zu benutzen. Geister sahen diese Innovation als Segen an. In Wahrheit war das Material jedoch einst erfunden worden, um sie auszugrenzen und um sicherzugehen, dass nicht ein vorwitziger oder gemeingefährlicher Geist einfach ins heimische Bad oder Schlafgemach eindringen konnte.
»Danke«, sagte die Frau höflich und setzte sich.
»Ich würde Ihnen ja gerne etwas anbieten, aber ich habe selten Umgang mit verblichenen Klienten und weiß nicht so recht, was ich Ihnen offerieren kann.«
Horatio nahm sich eine Zigarre aus seinem Intarsien-Kästchen auf dem Schreibtisch und köpfte sie in einer Mini-Guillotine.
»Nein, danke, ich brauche nichts«, erwiderte der Geist und zog ein Taschentuch aus seinem Handtäschchen.
Horatio entzündete seine Zigarre, nahm einen genüsslichen Zug und pustete ein Wölkchen in die Richtung der Frau. Der weißliche Rauchschleier vermischte sich mit dem gräulichen Nebel des Geistes und schwebte weiter, direkt durch sie hindurch.
»Warum finden Sie ausgerechnet zu mir?«
»Oh, das war eine Empfehlung. Mir wurde gesagt, dass Sie ein hervorragender Privat-Ermittler sind und auch einer der wenigen, die Verblichene als Klienten annehmen.«
»Soso, eine Empfehlung...«
Der Ermittler fühlte sich geschmeichelt, auch wenn Empfehlungen an sein Büro keine Seltenheit waren. Horatio Ferroulo hatte schließlich einen guten Namen in Detektiv-Kreisen. Einem Geist war er allerdings noch nie weiterempfohlen worden.
»Und wie kann ich Ihnen helfen?«
»Naja,... zuerst einmal möchte ich mich bedanken, dass Sie mich anhören wollen. Die Polizei hatte meinen Fall nämlich zurückgewiesen und mich ausgelacht.«
»M-hmm...«
Der Ermittler zwirbelte mit seinen Fingern an einem abstehenden Tabakblatt der Zigarre und betrachtete hochkonzentriert seine Arbeit.
»Ich brauche Hilfe in einem Mordfall. Wissen Sie, meine Tochter ist umgebracht worden.«
»Ich weiß nicht, was Sie wollen, für so etwas ist immer noch die Polizei zuständig. Gehen Sie wieder ins Präsidium, um Mord müssen die sich kümmern. Vielleicht haben Sie es ihnen nicht richtig verständlich gemacht.«
»Meine Tochter war auch eine Verblichene.«
Horatio hielt in der Bewegung inne und blickte auf. Er stierte in die weite Ferne des Raumes und gab schmatzende Geräusche von sich, als sein kluges Gehirn dieses simple, aber doch unmögliche Fakt erst einmal begreifen musste.
»Wie war das gerade?«
Der Geist schluchzte. »Meine Tochter war bereits verblichen...«
»Hören Sie, wenn Sie mich zum Narren halten wollen, dann kann ich Ihnen gerne die Tür zeigen, damit Sie genauso heimlich und leise wieder verschwinden können, wie sie vorhin durch sie hindurchgegeistert sind!« Seine Stimme war zur vollen Lautstärke angeschwollen, sein Kopf wieder hochrot vor Zorn. »Und dafür habe ich mir einen teuren Cognac-Schwenker ruiniert!?!«
»Aber es ist wahr!«, verteidigte sich die Frau und fasste bei dem Versuch, nach der Tischplatte zu greifen, mit der Hand einfach hindurch.
»Tote können nicht sterben! Sie sind ja bereits tot. Darum nennt man sie ja auch Tote. Folglich können Tote auch nicht ermordet werden! Lebende können ermordet werden, dann werden sie zu Toten. Aber Tote nicht! Und jetzt verschwenden Sie nicht länger meine Zeit!«
Mit einer wegwischenden Handbewegung in ihre Richtung ließ er sich in den Polstersessel zurückfallen und nahm zur Beruhigung einen tiefen Zug aus seiner Zigarre.
»Haben Sie überhaupt eine Vorstellung, wie es ist, sein eigenes Kind zweimal zu verlieren?« Das Jammern und Schluchzen des Geistes hallte durch das kleine, sonst so gemütliche Büro und verlieh ihm eine schaurige Atmosphäre. »Das erste Mal war ja schon schlimm genug, aber… aber das…! Damals wusste ich wenigstens, was mit ihr passiert. Nur jetzt weiß ich nicht, wohin sie entschwunden ist, und ob ihre Seele überhaupt noch existiert. Ich brauche Sie!«
Flehend ging die Frau vor dem Ermittler auf die Knie. Die Tatsache, dass sie dabei mitten im Schreibtisch kniete, störte sie wenig. Geister nahmen tote Materie schließlich kaum, allenfalls nebelhaft verschwommen wahr.
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