Joe ist das ganze Gegenteil.
Nein, wenn er leidet, dann wie ein gestandener Mann. Was ihn nicht umbringt, macht ihn härter. Ein Märtyrer, dessen Körper sich ganz ohne Hilfsmittel zwischen Tod und Leben zu entscheiden hat.
Seit vielen Jahren und mit Absegnung meines damaligen Hausarztes, der ganz begeistert von meiner Rezeptur war, rühre ich für uns Erkältungssalbe an, die wir dann, bei Schnupfen und Husten, auf die Brust reiben und inhalieren. Ich war es irgendwann leid, die teuren Salben zu kaufen, deren Inhaltsstoffe, meiner Meinung nach, oft eher dürftige Unterstützung im Kampf um die Stärkung des Immunsystems boten, dafür aber preislich in stolzer Höhe lagen. So recherchierte ich über Heilpflanzen, kaufte ätherisch reine Öle und Essenzen und braute die eigene Salbe, die uns auch wirklich gut half, die Erkältungszeit zu überstehen.
Uns, meinen Kindern und mir, ja. Nicht meinem Mann. Er weigerte sich sie anzuwenden. Nicht, weil er mir misstraute, sondern weil er sie, mit seinen Worten: nicht bräuchte .
Sein Körper würde auch ohne Heilmittel wieder gesund werden.
Nun, das mochte ich auch nie bestreiten. Er hatte diesbezüglich ja hinreichende Erfahrungen gesammelt. Allerdings war es nicht gerade leicht, seine immer länger werdenden Genesungszeiten, mit Geduld zu überstehen. Zumindest, wenn er tatsächlich hin und wieder den berüchtigten Männerschnupfen bekam.
Stöhnen und keuchend, röchelnd und hustend, sich unruhig windend, wälzte er sich nachts neben mir. An Schlaf war nicht zu denken. Weder für ihn, noch für mich.
Nur unter Zwang, ließ er sich von mir mit Erkältungssalbe einreiben. Aber das auch nur gelegentlich, nach endlosen Debatten und Drohungen meinerseits, ihn auszuquartieren, wenn er sich nicht wenigstens soweit helfen ließe, dass auch wir hin und wieder ein Auge zu machen könnten.
Als Joe sich dann unbewusst einen zwei Zentimeter großen Stein, im Nierenbecken angezüchtet hatte, wand er sich monatelang unter fürchterlichen Koliken, weigerte sich aber zum Arzt zu gehen. Nicht, weil er Angst vorm Doktor hatte, sondern weil er befürchtete, vorübergehend auszufallen und die Arbeitskollegen im Stich zu lassen.
Seine Quittung folgte, als nur noch eine Reihe Operationen möglich waren, die ihn mehrfach in die Klinik und für Wochen zu Hause, ans Bett fesselten.
Sollte man glauben, er habe dadurch gelernt, vielleicht zumindest gelegentlich etwas mehr auf seine Gesundheit zu achten, kannte man Joe nicht. Er weitete teilweise sogar noch aus, auf Dinge zu verzichten, die Schutz bieten könnten. So auch auf Mückenabwehr.
Nach einem sehr regnerischen Frühjahr, folgte ein besonders heißer Sommer und das ganze Land litt unter, besonders nächtlichen, Mückenplagen. Unsere Jüngste, Tara, sah nach zwei Nächten aus, als hätte sie die Windpocken und wir zählten am Körper der Zweijährigen mehr als einhundertneunzig Mückenstiche, die sie juckend quälten.
Auch die restliche Familie glich einem Zuchtlabor für Blattern. Überall waren die wirksamsten Mittel gegen Mücken ausverkauft und auch elektronische Abwehr kaum erhältlich. So beschloss ich, wie damals schon, bei der Erkältungssalbe, eine eigene Abwehr anzurühren.
Ich versetzte Bodylotion mit ätherischen Ölen, deren Geruch von Mücken angeblich als unangenehm empfunden werden, Dezent duftete es, roch nicht einmal unangenehm für uns und ab dem ersten Abend, an dem wir uns einrieben, hatten wir ruhige Nächte.
Nur nicht Joe.
Der lobte die Idee mit der Mückenabwehr, betonte erfreut immer wieder, dass er stolz auf meinen Einfall sei, wenn er sich die nun nicht mehr zerstochenen Kinder ansah. Aber selbst rieb er sich nicht ein.
Jeden Morgen stand er auf, verzweifelt das sich Kratzen unterdrückend und mit jedem Tag schlimmer aussehend, bald kaum noch eine Körperstelle ohne Stiche, dafür auf die kleinen Blutsauger schimpfend und sie verwünschend.
Riet ich ihm, sich doch mit der Mückenabwehr einzureiben, versicherte er mir, das am Abend auch auf jeden Fall zu tun.
Er ging wieder ohne unser Mückenschreck ins Bett, wälzte sich, unter dem hellen Summen der Insekten, hin und her, schlug rhythmisch um sich und brummelte im Schlaf seine Flüche.
Mit dem kühlen Herbst verschwanden die Mücken allmählich und die Erkältungssaison begann. Im Kreis meiner Freundinnen fielen die ersten Opfer unter den Männern und wir saßen bei einem gemütlichen Kaffeeklatsch zusammen.
Wieder drehte sich das Thema um die daheim vor sich hin sterbenden Gatten und irgendwann fiel er wieder, dieser Spruch: „Ach Silia, so gut, wie Du es mit Deinem Mann getroffen hast, hätte ich es auch gern einmal!“
Was für Mutter gut ist, kann nur gut für Vater sein
Über die letzten Jahre hatte das Sehvermögen meines Schwiegervaters gelitten und endlich sprach meine Schwiegermutter ein Machtwort. Er sollte nun einen Termin beim Augenarzt machen. Nur, dort war er einige Jährchen nicht mehr gewesen. Sein früherer Augenarzt längst im Ruhestand, übernahmen wir die Planung. Nicht ganz ohne Hintergedanken.
Einerseits wollten wir kein Risiko eingehen, unseren nicht gut sehenden Pulsbeschleuniger mit dem Bus in die Kreisstadt fahren zu lassen, ohne zu wissen, wo er am Ende tatsächlich landen würde, weil er weder Fahrplan, Notizzettel oder gar die Busbeschriftung entziffern konnte. Andererseits, zwinkerte ich meiner Schwiegermutter zu, war der Termin eine gute Gelegenheit, mit Joes Mutter in einem Café zu schlemmen, während die Männer bei Arzt saßen.
Besorgnis vortäuschend, freuten wir Frauen uns also eher auf den kulinarischen Teil des Nachmittags und endlich war es dann soweit.
Warum wir so breit grinsten, fragte Vadder während der Fahrt – ach, das konnte er also sehen!?
„Na, wir freuen uns, dass Du bald eine neue Brille kriegst und wieder besser gucken kannst!“ konterte Schwiegermutter schlagfertig.
Wir suchten uns ein nettes Café, nah der Augenarztpraxis, versicherten Joe und seinem Vater, wir kämen zurecht, auch wenn wir sie jetzt schon vermissten und mit gestreicheltem Ego, zogen sie von dannen.
Über zwei Stunden saßen wir nun also da, vertrieben uns die Zeit damit, verschiedene Spezialitäten von der Karte zu probieren und kauten gerade an frisch gebackenen Waffeln, in der Form eines Tannenbaum, als mein Mann mit seinem Vater zurück kam.
Pulsbeschleuniger entrüstet, Joe der Verzweiflung nah.
Vorsichtig fragte ich nach, erntete einen Gift sprühenden Blick meines Göttergatten, dafür antwortete Vadder, wie begeistert über diesen Augenarzt sei, all seinen hoch modernen Geräten und dass der sich wirklich viel Zeit genommen habe, um zu klären, warum das Augenlicht meines Schwiegervaters sich so drastisch verschlechtert hatte.
Joe grunzte abfällig, schürzte die Lippen, setzte zum Sprechen an, verwarf den Plan aber wieder und zischte lediglich in meine Richtung: „Später!“
Auch auf der Rückfahrt war mein Mann sehr wortkarg. Erst zu Hause, als wir allein waren, platzte es aus ihm heraus und ich spürte deutlich, es war höchste Zeit, denn innerlich drohte er bereits am Schweigen zu ersticken.
So schimpfte er erst einmal vor sich hin. Mit seinem Vater habe man es aber auch nicht leicht und manchmal erinnere er ihn an ein kleines Kind. Peinlich sei es. Und ganz sicher ließe Joe sich nie wieder auf so ein Abenteuer ein, ohne vorbereitet zu sein.
Ich verstand nichts und sah ihn fragend an.
„Das ist wie damals gewesen, Maus.“ wetterte er „Da, wo Vadder so krank wurde, weißt Du noch? Als meine Mutter anrief und dachte, er stirbt?“
Oh ja, ich erinnerte mich!
Mein Pulsbeschleuniger hatte sich eine Erkältung eingefangen, dazu noch einen Harnwegsinfekt, doch als Joe sich besorgt erkundigte, ob er nicht lieber mit ihm zum Arzt fahren sollten, winkte Vadder nur ab. Er sei bereits versorgt und müsse sich nur ein paar Tage ausruhen.
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