Und dann begann der Albtraum, die Folter, die unendlich langsam verstreichenden Momente grauenvoller Tortur, bei der der Tätowierer – ich habe es genau gesehen, als ich für einen winzigen Moment meine Tränen unterspülten, fest zusammen gekniffenen Augen öffnen konnte – den diabolisch verzerrten Gesichtsausdruck eines Höllensadisten hatte.
Die Pause, die wir nach einer Stunde kurz machten, wollte ich bereits zur Flucht nutzen, sah aber, durch meine verquollenen Augen nicht einmal mehr die Ausgangstür. Zu diesem Zeitpunkt steckten meine Fingernägel längst - ohne mich - in der Unterseite der Liege. Als kühle sich meine Haut ab, wurde der Schmerz für einen Moment erträglicher und da ich eh nicht flüchten konnte, ergab ich mich meinem Schicksal zur zweiten Runde, bei der der Tätowierer noch einmal das ganze Repertoire seiner Folterfähigkeiten unter Beweis stellte.
Es war fast wie bei einer Geburt. Kam der Moment, in dem man fluchend schwor, dies alles überhaupt nicht mehr zu wollen, jetzt einfach zu gehen und alle zusehen zu lassen, wie sie allein weitermachen konnten, war es vorbei. Aber um das zu merken, musste mich der Tätowierer erst einmal aus meinem Trauma rütteln, unter dem ich, noch immer meine Finger in die Liege krallend und mit zu einer Faust verzogenem Gesicht, völlig erstarrt dalag.
Ich verfluchte innerlich alle. Meinen Mann, der eindeutig die Schuld an meinem Schmerz trug, denn wäre er nicht er selbst, hätte ich nie solche Liebe empfunden, die mich in die Verstümmlung trieb. Meine Schwiegereltern, meinem Mann keinen kürzeren Namen gegeben zu haben und überhaupt, dass sie ihn zu dem gemacht hatten, den ich lieben musste.
Zugegeben, das Ergebnis konnte sich sehen lassen, aber das hätte ich in dem Moment, nicht eingestehen wollen. Ich wollte einfach nur nach Hause, ins Haus stürmen und meinen Mann anschreien, um ihm vorzuwerfen, nicht unliebsamer zu sein, denn das hätte mich nie verleiten können, mir dies hier anzutun.
Die erste Wut bekam jedoch der Tätowierer ab, der mich lächelnd ansah und meinte, das Nachstechen sei selbstverständlich kostenlos.
„Am Arsch!“ raunzte ich ihn an „Du kommst nie wieder an meine Haut, Dämon!“
Sein dröhnendes Lachen hörte ich noch, bis ich draußen im Auto saß, zu dem ich mich humpelnd geschleppt hatte.
Zu Hause wartete Joe und sah mich abwartend an. An meinem Gesichtsausdruck erkannte er auch meine Laune, schwieg deshalb, beobachtete mich jedoch weiter. Natürlich war ich mir dessen bewusst und mit jeder Minute, wurde der Zorn ersetzt von Verzweiflung.
Mein Huf pochte und brannte, als wäre er mit Säure übergossen worden. Ich schielte zur Streitaxt, die als Deko am Gebälk hing und fragte mich, ob sie wohl Knochen durchtrennen und meinen sicherlich bereits toten Fuß von mir entfernen könnte. Den Blick meines Mannes auf mir spürend, rollte schließlich eine Träne über meine Wangen, die ich krampfhaft zurück zu halten versucht hatte. Im Nu war Joe bei mir, versicherte, was auch immer ich ihm nun erzählen würde, es gäbe nichts, wofür er nicht Verständnis hatte.
Und dann brach es aus mir heraus.
„Verständnis?“ jaulte ich „Der hat mich so gequält! Joe, lass nie wieder zu, dass ich so etwas mit mir machen lasse!“ Dann heulte ich richtig los.
Mein Mann sprang auf, schnaubte, sein Kopf verfärbte sich in grenzenloser Wut, dann brüllte er los: „Wer ist das Schwein? Den mach ich platt. Ich reiß dem das Bein raus und schlag ihm damit den Schädel ein!“
Und so langsam wurde mir bewusst, dass Joe ja gar nichts von meinem Fuß wissen konnte, wahrscheinlich ganz andere Gedanken im Kopf hatte und nun glaubte, meine Ehre verteidigen zu müssen.
Irgendwie fand ich das nun wieder auch süß von ihm und bevor er noch etwas tun konnte, was er bereute – obwohl ich kurz darüber nachdachte, ihm erst alles zu erzählen, wenn er den Tätowierer durch das Studio geboxt hätte – fasste ich nach seiner Hand, zog ihn zurück auf das Sofa und grinste schief. Dann zog ich das Hosenbein hoch, entfernte die Folie und hielt ihm meinen Fuß entgegen.
Sprachlos starrte er darauf, musste erst einmal begreifen, was ich getan hatte, las seinen Namen, schaute mir in die Augen, riss mich an sich und versicherte mir, wie sehr er auch mich liebe.
Sein nächster Satz versöhnte mich dann auch schon wieder etwas mit den Qualen: „Maus, da müssen wir aber morgen auch los und Dir richtig hübsche, neue Schuhe kaufen!“
Ich dachte nach, nickte und als wir zwei Tage später dann mit den neuen Schuhen nach Hause fuhren, flüsterte ein kleines Teufelchen auf meiner Schulter schon wieder, dass ich doch sicherlich auch über neue Unterwäsche nicht unglücklich wäre, wenn ich mir das Portrait meines Mannes auf die Brust stechen lassen würde.
Diesmal jedoch, blieb ich eisern.
Ich bin stolz auf meinen Mann.
Für ihn steht die Familie und deren Wohlbefinden immer an erster Stelle und es käme ihm gar nicht in den Sinn, zuerst an sich selbst zu denken.
Und oft genoss ich auch lächelnd die fast neidischen Bewunderungen meiner Freundinnen, wenn sie mir versicherten, Joe sei eine seltene Ausnahme, was die männliche Leidensfähigkeit betrifft. Während ihre eigenen Gefährten Vorsorgevollmachten und Testament aufsetzten, zeigten sich auch nur die ersten Anzeichen eines Schnupfen, würde mein Mann selbst noch mit Lungenentzündung, am Steuerrad eines alten Segelschiffs stehen und lachend dem eisigen Sturm entgegen brüllen, ob Wetter und Meer nicht mehr zu bieten hätten, um ihn heraus zu fordern.
Ja, sie hatten recht, Joe klagte selten, zog sich bestenfalls zurück, wenn er kränkelte, aber zugeben, dass ihn ein paar Viren oder Bakterien würden umhauen können, erlebte man bei ihm nicht. In meinen Augen, war er einfach der tapferste Mann, den ich kannte.
Ich selbst ein jammerndes Elend, wie es im Buche steht, drohte auch nur eine Erkältung in mir einzuziehen, schämte mich manchmal, nicht ein wenig mehr sein zu können, wie der Mann meines Herzens.
Er machte auch kaum große Worte, wenn es um seine Gesundheit ging. Anfangs zumindest nicht. Im zunehmenden Alter zeigte sich dann langsam jedoch schon, dass seine Fähigkeit, mit körperlichen Leiden umzugehen, etwas nachließ.
Im Laufe seines Lebens hatte er lächelnd ertragen, wie man ihm, ohne Betäubung einen entzündeten Weisheitszahn zog oder eine kleine Kopfwunde nähte. Nachdem er sich mit einer Kettensäge verletzt und sich tief ins Bein geschnitten hatte, ärgerte ihn eigentlich nur, dass er die Hose, die er gern trug, nun wegwerfen müsste. Einen Ausdruck des Schmerzes, suchte man umsonst in seinem Gesicht.
Den ersten Männerschnupfen, hatte Joe dann zum Ende seines vierzigsten Lebensjahrzehnts. Zum ersten Mal, in all den Jahren, die ich ihn kannte, lag er röchelnd auf dem Sofa und versicherte uns allen immer wieder, wie sehr es ihn innerlich zerriss uns womöglich bald verlassen zu müssen. Bis ich begriff, mein Mann leidet gerade auf die sonst so oft und scherzhaft erwähnte Männerart , glaubte ich tatsächlich, sein Ableben stünde bevor. Doch später witzelten meine Schwiegermutter und ich, dass unser Joe vielleicht einfach ein Spätzünder sein könnte, wenn er erst im fortgeschrittenem Alter Männerschnupfen kennen lernen musste.
Aber auch das war für mich kein Grund, mein Ansehen ihm gegenüber, in irgendeiner Form herab zu setzen. Wusste ich doch, dass ich viel schlimmer bin und war, als er je sein könnte.
Einen großen Unterschied gab es jedoch zwischen uns: Meine Bereitschaft, fühlte ich mich kränklich und wähnte mich im Sterben liegend, nach Heilmitteln zu greifen. In Massen bitte. Hemmungslos Apotheken und Drogerien leer kaufend und selbstverständlich sämtliche Heilpflanzen von Mutter Natur, in innerlichen und äußerlichen Anwendungen verwendend.
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