In dieser grübelnden Stimmung wollte Melanie nicht alleine zuhause sitzen. Tally war mit Algin im verlängerten Wellness-Wochenende, weshalb sie es bei Isa versuchte. Zu Melis Überraschung nahm Chantals Nachbarin gleich ab.
«Guten Morgen Isa. Ich hoffe, ich stör dich nicht. Lust auf ein ausgiebiges Sonntagmorgen-Frühstück?»
«Klar. Bei mir oder bei dir?»
«Ich hab genug da. Nur Orangensaft fehlt, falls du welchen willst.»
«Gut, bring ich mit. Brauchst du auch Taschentücher? Oder gibt es einen anderen Grund, weshalb du so früh anrufst?»
Meli schmunzelte. Isa, wie sie leibt und lebte; direkt und ohne Umschweife.
«Keine Taschentücher. Ich bin okay. Brauche nur eine neutrale Meinung.»
Nur eine halbe Stunde später stand die hübsche Rothaarige mit Orangensaft und Sekt vor Melis Türe.
«Danke für die Einladung, Süsse», sagte sie und hauchte ihr zwei Küsschen auf die Wangen. «Und jetzt erzähl!»
«Das Ganze ist eine ziemlich lange Geschichte, die mit dem Tod meines Verlobten vor drei Jahren beginnt», startete Meli ihren Bericht.
«Ist das der Grund, weshalb du dich nicht auf Männer einlässt?», unterbrach Isa sie gleich wieder.
Meli wollte Isa nicht jedes kleine Detail der Geschichte erzählen, musste aber, damit ihre Freundin die Situation verstand, doch etwas weiter ausholen.
«Ja. Ich habe mir lange Zeit Vorwürfe gemacht und die Schuld an Silvans Tod gegeben. Gestern hatte ich ein gutes Gespräch mit seiner Mutter, die mir klargemacht hat, dass ich nichts falsch gemacht hatte.»
«Und dieses Treffen hat dich durcheinander gebracht?»
«Nein … also, doch … aber Julia ist nicht der Grund, weshalb wir hier zusammen frühstücken.»
«Es geht um einen Mann … », mutmasste Isa und ihre Augen leuchteten verschmitzt.
«So ist es», seufzte Meli. «Erinnerst du dich an Roro, meinen ehemaligen Schulfreund? Wir sind ihm vor ein paar Monaten zufällig begegnet, als wir zu dritt brunchen waren.»
«Oh ja. Ich kann mich erinnern. Der war knackig. Und egal was war, Schätzchen: Dieser Typ kann kein Fehler gewesen sein!»
«Kann er doch. Ich bin gestern im Einkaufszentrum regelrecht über ihn gestolpert und wir haben einen Kaffee zusammen getrunken. Alles ganz harmlos. Deshalb habe ich, als er mich am Abend verzweifelt angesimst hat, weil er quatschen wollte und eine Schlafmöglichkeit brauchte, nicht nachgedacht. Ich weiss doch, wie schnell ich mein Herz verliere. Ich habe mich damals innerhalb einer Stunde in Silvan verguckt. Und in Roro war ich schon verknallt, da hatte ich noch nicht mal Brüste.»
«Hattest du Sex mit ihm?»
«Nein, wo denkst du hin!», rief Meli entsetzt aus und rollte die Augen. «Es ist nichts geschehen. Wir haben zwar im gleichen Bett übernachtet, haben aber nur ein bisschen gekuschelt.»
Isabelle runzelte die Stirn.
«Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt.»
«Roro hat eine Freundin. Sie hat ihn zwar vor kurzem betrogen, weshalb der Haussegen schief hängt. Dennoch hat er mir heute Morgen klipp und klar erklärt, dass unser Treffen ein Fehler war.»
«Ich glaube, was du brauchst, ist ein richtiges Date mit einem richtigen Mann. Deine Hormone sind gestern ein bisschen in Wallung geraten. Das kommt vor. Du wirst diesen Schlappi bald wieder vergessen.»
«Ich weiss nicht, ob ich schon soweit bin, Isa. Die Zweifel wegen Silvan sind immer noch da, auch wenn sie schwächer werden. Ein Stückchen meines Herzens wird immer ihm gehören.»
«Ja, ja. Ich weiss. Du bist eigentlich ein „Bis-in-alle-Ewigkeit“-Mädchen. Davon habe ich aber nicht gesprochen. Du brauchst Sex. Hemmungslosen Sex mit einem heissen Mann, der weiss, was du brauchst.»
Blut schoss Meli in den Kopf und ihre Wangen wurden heiss.
«Ich habe nicht so viel Erfahrung mit heissem Sex. Silvan war mein Erster und Einziger. Es war toll mit ihm. Aber wir haben nicht so viel herumexperimentiert oder verrückte, ausgefallene Sachen gemacht», gestand sie peinlich berührt.
«Na, dann wird’s wohl höchste Zeit! Hör zu: Ich geh nächsten Freitagabend zu einem Maskenball. Hast du Lust, mitzukommen? Da kannst du in Ruhe die Männer abchecken ohne von Beginn weg zu viel von dir selbst preis zu geben.»
«Ich weiss nicht so recht. Kann ich dir nächste Woche Bescheid geben?», fragte Meli unsicher. Sie war noch nie zu einer Party gegangen, nur um sich einen Sexpartner zu suchen. War sie soweit über Silvan hinweg, dass sie sich Sex mit einem Fremden vorstellen konnte? War sie ein Mädchen, das Sex und Gefühle trennen konnte? Und war sie genug erfahren, um eine Nacht mit einem Unbekannten zu verbringen?
Isas Vorschlag spukte den ganzen Nachmittag in Melis Kopf herum, auch lange nachdem der gemeinsame Brunch vorbei war. Natürlich wusste sie, dass es viele Frauen gab, die solche Dates regelmässig wahrnahmen und Spass dabei hatten. Sie kannte aber auch welche, die eine solche spontane Entscheidung danach bereut hatten. Da sie selbst noch nie in einer ähnlichen Situation war, wusste sie nicht, zu welcher Gruppe Frauen sie gehörte. Weil sie trotz Kopfzerbrechen zu keinem Ergebnis gelangte, wählte sie die Telefonnummer der einzigen Person, die sie in- und auswendig kannte.
Ihre Schwester meldete sich nach dem dritten Klingeln.
«Hallo?», fragte eine atemlose Anna. «Lea, … nein! … hör auf! Die Mama möchte kurz telefonieren». Meli hörte ein Rascheln, Leas quengelige Stimme im Hintergrund und dann ein leises Räuspern.
«Stör ich, Schwesterchen?»
«Süsse, hi, schön dich zu hören. Nein, du störst nicht. Einen Moment Meli … ja, Lea, du darfst nachher mit deiner Tante sprechen … nein, nicht jetzt sofort. Jetzt sprechen die Erwachsenen … hör sofort auf zu schreien, kleine Lady. Ab in dein Zimmer! Ich komme dich holen, sobald Mama fertig telefoniert hat … also, okay. Aber nur kurz … Meli, Lea möchte hallo sagen»
«Hallo meine kleine Maus. Wie geht es dir?»
«Ich habe heute Dreck gegessen!», berichtete ihre kleine Nichte!
«Das ist ja eklig. Weshalb hast du das gemacht?»
«Weiss nicht! Jetzt habe ich Bauchweh.»
«Armer Liebling. Du solltest jetzt in dein Zimmer und dich ein bisschen hinlegen. Die Mama bringt dir nachher ein warmes Kissen und erzählt dir eine schöne Geschichte. Dann hast du bald kein Bauchweh mehr. Okay?»
«Ja, Tante, ciao!», rief Lea und knallte das Telefon auf die Anrichte.
«‘Tschuldige, Meli. Sie hat heute ein bisschen viel Energie. Bin ich eine böse Mutter, wenn ich mich auf morgen freue, wenn sie ein paar Stunden in die Vorschule darf?», nahm Anna das Gespräch wieder auf.
«Nein, wo denkst du hin. Sonst aber alles im Lot bei euch?»
«Ja, danke. Und was hast du auf dem Herzen, Schwesterherz?»
«Ich habe ein Problem. Nichts Schlimmes. Aber ich weiss nicht mehr weiter», begann Meli und fühlte ein nervöses Kribbeln in der Magengegend aufsteigen. «Versprich bitte, mich weder auszulachen, noch zu verurteilen.»
«Das hört sich spannend an! Aber natürlich, ich versprech’s! Wo drückt der Schuh?»
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