Wieder schnippte Pamela mit den Fingern. Aus der Wand sprang die ganze Herde hervor, schoss auf Big Ralf zu und durch ihn hindurch, aber ohne ihn zu verletzen. Wo ihre Köpfe gewesen waren, befanden sich jetzt große Löcher in der Wand, die die Silhouetten der durch sie hindurch gebrochenen Tierkörper formten. Durch diese Öffnungen sah Big Ralf eine düstere Höllenlandschaft. Unter einem roten Himmel mit schwarzen Wolken loderten in einer bizarren Felslandschaft unendlich viele Lagerfeuer, an denen aneinander gekettete Menschen saßen, hinter denen Peitschen schwingende Dämonen standen.
„Dort willst du doch nicht wirklich hin, oder?“ zischte Pamela drohend. Ihr schönes Gesicht verwandelte sich für Bruchteile von Sekunden in einen Schlangenkopf, der sofort wieder verschwand. Das geschah so schnell, dass Big Ralf nicht wusste, ob er nicht halluziniert hatte.
Pamela lächelte den völlig verwirrten Big Ralf freundlich an und schnippte erneut mit den Fingern. Die Löcher schlossen sich. An der unversehrten Wand hingen wieder die ausgebleichten Schädel mit ihrem Gehörn.
Big Ralf stöhnte leise. Er hatte keine Wahl. Das war ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte.
„Also, gut. Zeig mir den Vertrag. Ich will ihn lesen.“
Pamela deutete auf ein Blatt Papier auf seinem Schreibtisch.
Big Ralf stand auf. Angeekelt spürte er die Feuchtigkeit in seiner Hose. Pamela schnippte erneut mit den Fingern. Sofort war er wieder trocken und sauber.
Erleichtert setzte er sich an seinen Schreibtisch und begann zu lesen.
Der Vertrag bestand nur aus einem Satz.
„Während der Lebenszeit des Vertragspartners zu A auf Erden wird der Vertragspartner zu B ihm ein treuer Diener sein und ihm jeden seiner irdischen Wünsche erfüllen. Nach seiner Lebenszeit wird der Vertragspartner zu A dem Vertragspartner zu B ein treuer Diener sein und ihm alle seine Wünsche erfüllen.“ Darunter stand: Vertragspartner zu A: Ralf Schneider. Vertragspartner zu B: Luzifer.
Big Ralf erinnerte sich plötzlich, dass er bei einem seiner seltenen Schulbesuche aufgeschnappt hatte, dass ein gewisser Doktor Hand, Faust oder so ähnlich auch einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte.
„Wenn ein Studierter so einen Vertrag unterschreibt, warum sollte ich es nicht auch tun?“, dachte er.
„Du musst mit deinem Blut unterschreiben, sonst gilt unser Pakt nicht“, flüsterte die hinter ihm stehende Pamela ihm ins Ohr.
Blitzschnell kratzte sie ihn mit ihren spitzen Fingernägeln so heftig am Arm entlang, dass blutige Striemen zurückblieben. Mechanisch tupfte Big Ralf das aus den Kratzern heraustretende Blut mit seinem Zeigefinger ab. Er schrieb damit ein großes R unter den Text. Die Blondine lächelte zufrieden. Sie schnippte erneut und auf dem Blatt erschien ein großes rotes L.
„Damit ist der Pakt geschlossen. Du hast eine weise Entscheidung getroffen. Und jetzt lass mich wissen, was ich als erstes für dich tun soll.“
Big Ralf überlegte nicht lange und sagte es ihr.
Augustus erwachte und sah sich verwirrt um. Er hatte einen sehr intensiven Traum gehabt. Wie Dagobert Duck in dem Comic war er immer wieder in einen prall mit Geldscheinen gefüllten Swimmingpool gesprungen und war in ihm herumgeschwommen. Die sanften Berührungen des weichen Papiers hatten ihm ausnehmend gut gefallen. Er hatte das Gefühl, als sei er die ganze Nacht von Engelshänden massiert worden.
„Schade, dass es nur ein Traum war“, dachte er. Aber er fühlte sich wie neu geboren. Trotz seiner gewaltigen Körperfülle schwang er sich elastisch aus dem Bett und ging ins Bad.
Wie immer drückte er den Steuerungsknopf seiner High-Tech-Dusche. Das perfekt temperierte Wasser schoss mit dem genau seinen Bedürfnissen angepassten Druck aus den über die gesamte Duschkabine verteilten unzähligen Düsen.
Er zog seinen roten Seidenpyjama aus und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. Dann stieg er in die Dusche und genoss mit geschlossenen Augen die wohltuende Ganzkörpermassage.
„Soll ich dich einseifen?“ fragte eine ihm wohlbekannte Stimme plötzlich.
Augustus bekam fast einen Herzinfarkt. Er riss die Augen auf und japste nach Luft.
„Verdammt, musst du mich immer so erschrecken? Irgendwann falle ich noch einmal tot um.“
„Das wäre aber seehrr schaaaadeee“, säuselte die Stimme neben seinem Ohr gedehnt, „dann hättest du meine Dienste nur läppische 21 Jahre in Anspruch genommen. 21 Jahre allerdings, in denen du dank meiner Hilfe zu dem wurdest, was du heute in der Welt bist: ein unglaublich einflussreicher und mächtiger Mann, der über ein riesiges Vermögen verfügt und nach dessen Pfeife die Regierungen der größten Industrienationen ebenso tanzen wie ich. Du musst ein sehr glücklicher und zufriedener Mensch sein.“
„Wage es nicht, mich zu verhöhnen, Luzifer. Wie du richtig sagst, tanzt du nach meiner Pfeife. Erinnere dich, was mein erster Befehl war, um deinen Diensteifer zu testen. Das können wir gerne wiederholen.“
Luzifer sog hörbar Luft ein. Er erinnerte sich genau, wie dieser hinterlistige Hundesohn es gewagt hatte, sofort nach Unterzeichnung ihres Vertrages von ihm zu verlangen, dass er Dschingis Khan herbeihole.
Verwundert hatte er Augustus seinen Wunsch erfüllt.
Als der barbarische Massenmörder und größte Eroberer aller Zeiten erschienen war, hatte er ihm befohlen, Luzifer, der damals die Gestalt von Michelle Pfeiffer, der Lieblingsschauspielerin von Augustus, angenommen hatte, zu fesseln und ihn auszupeitschen.
Nur zu gerne war Dschingis diesem Befehl nachgekommen und hatte sofort begonnen, wie ein Berserker mit seiner Bullenpeitsche auf ihn einzudreschen. Zwar hatte Luzifer die Peitsche sofort in einen weichen Schaumgummihammer verwandelt und keine Schmerzen empfunden. Aber allein die von Augustus geplante Demütigung reichte aus, um ihn sich eine besonders boshafte Rache ausdenken zu lassen, die er ihn sofort nach seinem Ableben angedeihen lassen wollte. Aber noch war es nicht soweit. Noch galt ihr Pakt. Noch.
„Ich erinnere mich genau, lieber Augustus. Und selbst diesen Wunsch habe ich dir erfüllt, obwohl es ein übler Scherz zu meinen Lasten war. Aber lass uns nicht über alte Zeiten reden. Die Gegenwart erfordert deine ganze Aufmerksamkeit.“
„Warte gefälligst, bis ich fertig geduscht habe. Oder gibt es etwas so ungeheuer Dringendes, dass ich es sofort entscheiden muss?“, fragte Augustus lauernd.
„In der Tat. Um dich und deine Pläne zu schützen, habe ich einen Pakt mit Big Ralf geschlossen. Und jetzt hat er von mir verlangt, dass ich dich sofort beseitige, wörtlich sagte er, dass ich dir einen gewaltigen Tritt in deinen fetten Hintern verpassen solle.
Ich soll ihn an deiner Stelle einsetzen und ihn zum neuen Herrscher über dein gesamtes Imperium machen. Und, was meinst du, was soll ich jetzt machen?“
Augustus schnaufte vor Wut.
„Das hast du ja wieder prima hinbekommen, du hinterlistiger Falschspieler. Hatte ich dir nicht aufgetragen, dich um meinen Neffen Caspar zu kümmern? Mit ihm solltest du einen Pakt schließen, der ihn auf meine Seite holt. Wie kommst du dazu, stattdessen einen Vertrag mit diesem Dummkopf Big Ralf zu schließen, der in Wirklichkeit keinerlei Durchblick hat? Kein Wunder, dass er sofort meint, er könne meine Stelle einnehmen.“
„Ach, weißt du, ich habe von meinen amerikanischen Freunden gelernt. Sie haben auch immer einen Plan B. Nein, Spaß beiseite. Schon seit langem beobachte ich, wie Big Ralf dich immer weniger ernst nimmt. Ein körperbewusster Mensch wie er, der jeden Tag ins Fitnessstudio geht, verachtet alle Männer, die sich so gehen lassen wie du.
Schau dich an. Du bist wirklich zu einer schwabbeligen Fettmasse geworden. Und weil er keinen Respekt mehr vor dir hat, hat er angefangen, sein eigenes Süppchen zu kochen. Weißt du, dass er nicht nur die von dir bestellten Teile in der Ukraine geholt hat? Hast du eine Ahnung, was er noch auf dem LKW mitgebracht hat?“
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