Etwas kitzlig war die Sache nur geworden, als der Trupp in Höhe des Bahnüberganges zur Staßfurter Höhe auf die aus der Restauration „Melle“ angetrunken heimkehrenden „Proleten“ und „Sozis“ traf.
Da geriet es etwas blümerant, wie man so sagt: Scharfe Worte, gegenseitige Beschimpfungen voll Gift und Galle, unbedeutendere Faustkämpfe ohne tragische Folgen. Das war aber ausschließlich auf die allgemeine Besoffenheit, nicht etwa ein Abflauen des Hasses zurückzuführen.
Die Sache hatte auch noch ein Nachspiel. Aber nur für die Ungläubigen, die an den Straßenrändern sich abfällig geäußert oder sich in Keilereien mit der SA eingelassen hatten. Man hatte sich gemerkt, wer sich ob des Ereignisses nicht recht hatte freuen können oder gar offene Feindschaft gezeigt hatte.
Die Stadt war klein. Man wusste, wo die „Volksschädlinge“ nisteten und hatte auf Lästerer und Gegner ein adlerscharfes Augenmerk geworfen.
So kamen sie alle an die Reihe.
Eines Tages im Frühjahr 1933 saß der kleine Mann in der Küche seiner bescheidenen Wohnung. Seine Frau wuchtete schweißtriefend unten in der Waschküche Bettlaken, Bezüge und Decken im Bottich mit einer Holzstange hin -und her.
Da also Waschtag war, hatte Gustav in der Küche seine Ruhe. Kein Herd dampfte und verströmte hitzig-feuchte Schwaden, keine Kohlen qualmten.
Er saß am Tisch, vor sich aufgeschlagen ein Sammelbilderalbum.
Auf dem Dielenboden rutschten seine beiden Söhne, derweil fünfzehn und sechzehn Jahre alt, beide hübsche Kerle und schon einen Kopf größer als der Vater, hin und her und sortierten verstreut herumliegende bunte Bildchen auf kleine Stapel:
Fußsoldaten mit Pickelhauben, säuberlich nach Garde und Linie geschieden, das reitende Völkchen abgesondert; Kürassiere, Dragoner, Ulanen, Husaren, wie sie auch immer hießen.
In der Ecke neben dem Herd hatte Gustav schon länger ein Mauseloch vermutet. Von dort mussten jene Nager kommen, deren er bisher nicht habhaft geworden war. Angefressene Käsestücken zeugten gewöhnlich vom Wirken der lästigen Untermieter. Die Existenz dieser Störenfriede trieb Gustav gewöhnlich zur Weißglut.
Jetzt dachte er nicht daran.
Eben in jener Ecke hatte Ernst, der ältere der Söhne, die Bildchen der „Hohen Herrschaften“ platziert. Ein buntes Panoptikum: der eiserne Kanzler, der alte Kaiser gar selbst, nebst dem Kronprinzen von Sachsen, Königliche Hoheit, und einige andere Verblichene von Rang. Nur der Prinz Friedrich Karl in seiner schmucken roten Husarenuniform blieb verschollen.
Gustav zog aufgeregt an seiner Zigarette, begann sich zu ereifern, glaubte die Mäuse müssten den Prinzen in ihr finsteres Loch gezerrt haben.
Dann lehnte er sich in seinem abgeschabten Unterhemd zurück und streckte die Beine, die in ockerbraunen Breeches und Schaftstiefeln steckten, unter dem Tisch hervor.
„Lass gut sein, Ernst. Dann klebe ich eben erst die Infanterie vom III. und IV. Armeekorps ein.“
Er wandte sich jetzt an Hermann, den jüngeren seiner Söhne.
Der träumte vor sich hin und blickte ganz versonnen durch die Fensterscheiben, fasziniert von einer Meise, die auf einem Zweig des alten Kastanienbaumes im Hof auf und ab hüpfte.
„Reiche mir doch mal den Soldaten vom Leibgrenadier-
Regiment, das ist Bild 31, rüber.“
Lustlos, ohne seinen Vater eines Blickes zu würdigen – er schaute noch immer geistesabwesend nach draußen – hielt er dem Familienvorstand ein Zigarettenbildchen hin. Der griff zu und stöhnte entnervt auf:
„Lernt ihr denn in der Hitlerjugend überhaupt nichts Vernünftiges?
Du kannst ja nicht mal einen Grenadier von einem Husaren unterscheiden!“
In diesem Augenblick schellte leiernd die Wohnungsklingel. Wie elektrisiert sprang der Jüngere auf und rannte zur Tür. Er vermutete seine Mutter dort, die aus der Waschküche nach oben gekommen sein könnte. Aber dann rief er enttäuscht:
„Vati, es ist nur Onkel Fritz. Dürfen wir runter auf den Hof gehen?“
Gustav winkte wegwerfend und meinte, sie könnten verschwinden, das wäre sowieso nichts für sie, wenn richtige Männer etwas miteinander abzumachen hätten.
Kein anderer als der uns bekannte Kuntze, war der Onkel Fritz. In vollem SA-Wichs trat er ein, hob lässig den Arm zum Gruß und bemerkte nur, dass es Arbeit gäbe.
„Gustav, unser Sturmführer schickt mich, wir müssen heute noch so einen Galgenvogel ausheben. Los, beeil Dich.“
Um seinem Obertruppführer gehorsam zu sein, dazu bedurfte es keines besonderen Anstoßes. Der kleine Mann ging ins Schlafzimmer. Aus dem großen Kleiderschrank, der schon in der dritten Generation Dienst tat, nahm er feierlich seine Uniformjacke, ging in den Flur, legte das Koppelzeug an.
Dann führten ihn seine Schritte wieder zu jenem alten Schrank und er entnahm die in einem Schuhkarton vor Frau und Kindern sorgsam versteckte Pistole. Er setzte seine Schirmmütze auf und meldete, halb im Ernst, halb im Scherz:
„Obertruppführer, Scharführer Brennicke meldet sich zum Dienst.“
Als die beiden Braunhemden die Treppe hinuntergingen, lachten sie und alberten herum.
Unten stand ein knatternder Opel-PKW mit zwei weiteren Kameraden.
Alle zusammen fuhren zur Dienststelle der Geheimen Staatspolizei im Grauen Hof. Dort saßen schon der Kriminalkommissar Klamroth und Sturmführer Eggert.
Die Aufträge waren schnell erteilt und dann ging es los.
Zusammen mit zwei Beamten fuhren Kuntze und Gustav zum Liebenwahnschen Plan. Die Kriminaler stiegen aus, gingen in einen hutzeligen Fachwerkbau und schleppten nach einigen Minuten einen jungen Städter heraus. Dieser, mittelgroß, untersetzt, machte Miene sich zu wehren, worauf ihm der eine Beamte die Arme auf den Rücken drehte und ihn mit Macht auf die hintere Sitzbank des Opel drückte.
Der eine Polizist rief noch dem sich sammelnden, auch ehrlich erschrockenen Publikum zu, es gäbe hier nichts zu gaffen und sie möchten doch gefälligst machen, dass sie weiterkämen. Dann sauste der Kraftwagen zum Gerichtsgefängnis am Burgplatz.
Die biederen Kleinstädter, die unfreiwillig Zeugen der Verhaftung geworden waren, trösteten sich in ihrer Mehrzahl damit, dass nun einmal Revolution sei und dass, wo gehobelt werde, auch ganz unweigerlich Späne fallen würden. Und irgendwie würde es der Verhaftete ja auch sicher verdient haben, dass man ihn abholte. Dann wandten sie sich ab und wieder ihrem Tagwerk zu.
Der ergriffene junge Mann namens Huhn war im Auto zwischen den beiden SA-Männern so eingepfercht, dass er sich nicht zu rühren vermochte.
Nach einer Fahrt von nicht mehr als zwei, drei Minuten schlug das hohe eiserne Tor der Anstalt zu. Düstere Mauern und der dumpf vibrierende Widerhall der sich schließenden Einfahrt verkündeten jedem Arrestanten das eine: lass alle Hoffnung fahren.
Die Häscher schoben den Verhafteten in einen kahlen weißen Raum, wo der Klamroth, der vom Revier ins Untersuchungsgefängnis herübergebummelt war, den Huhn schon erwartete. Klamroth war ein beleibter Mitfünfziger, wirkte von Natur aus wie die Gemütlichkeit in Person schlechthin und liebte es, im Försterhabit, also mit mattgrüner Lodenjoppe, keckem Jägerhütchen und Schaftstiefeln aufzutreten. Seine erste Leidenschaft galt dem blauen Dunst. Er nuckelte genüsslich an einem Zigarrenstumpen und schnitt dabei unwillkürlich Grimassen.
Man hieß den Delinquenten auf einem Schemel vor dem groben Holztisch Platz nehmen, hinter dem der Kommissar mit argwöhnisch zusammengekniffenen Augen und lauerndem Blick wachte.
Gustav und den Kuntze wies er an, sich doch bitte schön mit den in der Ecke liegenden Peitschen zu bewaffnen und aufzupassen, dass sich dieser Kerl hier nicht mausig mache und am Ende gar noch aufsässig werde.
Einer der Beamten, die den Huhn angeschleppt hatten, zündete sich gelangweilt eine Zigarette an und meinte dann:
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