"Glänzend, Sir", Kenton tat, als sei er bester Laune. "Es ist schon der zweite Törn. Beim Ersten habe ich ein Ding erlebt, das Sie mir bestimmt nicht glauben werden."
"Reden Sie schon", sagte Guillol reserviert.
Haarklein berichtete Kenton, was sich mit den angeblichen Schiffbrüchigen zugetragen hatte.
Guillol tat gelassen, doch die Indizien dünkten ihn eindeutig. Er kannte die Abneigung des Kapitäns gegen die Thiers-Regierung. Anstatt die beiden Verbrecher der Polizei zu übergeben, half ihnen der Alte bei der Flucht. Es passte zu Darnbridge. Auch, dass er seinem Protektionskind Brissac die Angelegenheit anvertraut hatte. Und wenn der Bootsmann seinen Widersacher Kenton so billig davonkommen ließ, dann nur, damit alles fein begraben blieb. Jetzt musste gehandelt werden. "Kehren Sie um", befahl Guillol.
Kenton folgte der Anweisung nur zu gern.
Auf der Kaitreppe sagte Guillol: "Bestellen Sie Mister Simsdale, ich hätte bei Konsul Barroche etwas vergessen, er soll in zwei Stunden wieder ein Boot schicken." Er machte eine unmissverständliche Geste. "Zu wem auch immer, Kenton, kein Sterbenswort von dem, was Sie mir mitgeteilt haben. - Kapiert?"
„Yes, Sir!" Kenton legte ab. Muss der Lackaffe mir nicht erst klarmachen, räsonierte er, würden sie auf der "Plymouth" erfahren, welchen Gefallen ich ihm getan habe, ich kriegte es außer mit Darnbridge und Brissac auch mit allen andern zu tun. Bei diesem Gedanken wich seine Hochstimmung beklommener Nachdenklichkeit. Dein kluges Köpfchen hat den hochnäsigen Guillol fein in Trab gesetzt, was aber, wenn es schiefgeht? Kenton legte die Ruder ein und wischte sich Schweiß von der Stirn. Fangen sie die beiden nicht, werde ich es büßen müssen. Der Erste wird durchblicken lassen, wer ihm die Geschichte aufgetischt hat. Dann habe ich keine gute Zeit mehr auf der "Plymouth".
Guillol schlug den Weg zum Haus des Konsuls ein in der Hoffnung, dort könnte noch jemand wach sein. Zwar hatte er auf der erlesenen Gesellschaft heute Abend den ersten Mann Neukaledoniens, Albert de Cavalleux, kennengelernt, aber er wagte nicht, ihn nachts in seiner Residenz aufzusuchen. Der General war Statthalter und Kommandierender der französischen Streitmacht auf Neukaledonien in einer Person. Guillol schmeichelte noch nachträglich der ausgezeichnete Eindruck, den er offenbar auf de Cavalleux gemacht hatte. Ein nützlicher, wenn auch leicht errungener Erfolg, denn sie waren ja gleicher Gesinnung. De Cavalleux, überzeugter Royalist, fand die Thiers-Regierung noch zu schlapp, er war im Jahr einundsiebzig um seine Ablösung eingekommen. Thiers hatte ihm dann einen Orden verliehen mit der Bitte, in Neukaledonien auszuharren. Bald würde sich Ducos mit gefangenen Kommunarden füllen, und da bedürfe es eines besonders ergebenen und umsichtigen Mannes, der im Notfall hart durchzugreifen sich nicht scheuen würde. Das hatte dem General eingeleuchtet, wie Guillol dem Gespräch entnahm, und de Cavalleux's Kummer bestand im Augenblick darin, dass diese Anbeter des Aufruhrs noch keinen Aufstand auf Ducos ausgeheckt, ihm bisher keinen Anlass geboten hatten, mit eisernem Besen dazwischenzufahren.
Stets um Selbstkontrolle bemüht, wehrte sich Aristide Guillol gegen seine euphorische Stimmung. Der Gedanke, irgendwer könne, ihn für einen Drückeberger halten, bereitete ihm Unbehagen. Das Dokument war ihm heilig, das besagte, er sei auf eigenen Wunsch als Offizier der französischen Marine in Ehren entlassen worden. Für fünf Jahre hatte er auf der "Plymouth" angeheuert, es war die beste Gelegenheit gewesen, der Misere zu entfliehen, die begonnen hatte, als er Annabelle Majeure kennenlernte. Sie war die einzige Tochter des reichsten Fischers von Saint-Nazaire jenem Hafenstädtchen, welches zehn Kilometer entfernt von der Marineschule des Kriegshafens Toulon liegt, in der Guillols Laufbahn begann. Vater Majeure besaß ein halbes Dutzend Fischkutter. Der früh Verwitwete las Annabelle jeden Wunsch von den Augen ab, doch in einem war er unnachgiebig: Der Künftige seiner einzigen Tochter müsse Seemann sein, damit er ihm dereinst das Steuerruder aus den alt gewordenen Händen nehmen könne. Guillol hatte es früh genug von Annabelle erfahren, sonst hätte ihn das Mädchen nach der ersten Nacht nie wieder gesehen. Die Aussicht, bald reich und Kommandeur einer kleinen Fangflottille zu sein, bewog ihn, sich mit Annabelle zu verloben. Es war nicht leicht gewesen, einen ehrenhaften Abschied zu bekommen. Staat und Kirche hatten einen gewissen finanziellen Anteil an der bisherigen Karriere des strebsamen jungen Mannes, und wer verliert gern einen ergebenen Paladin? Guillols Eltern - der Vater Flickschuster in Toulon - waren arm wie die Kirchenmäuse. Als sie in seinem sechsten Lebensjahr kurz nacheinander das Zeitliche segneten, wurde er von wohlhabenden Verwandten aufgenommen, die ihm eine solide Schulbildung angedeihen ließen. Sie waren einverstanden, als er bat, nach dem Gymnasium die Marineschule besuchen zu dürfen, es schien ihm die sicherste Art, voranzukommen. Da Guillol die meisten Klassen mit Auszeichnung absolvierte, hatte es neben der kärglichen Verwandtenunterstützung auch bescheidene Zuschüsse von Seiten des Domvikars, der ehrwürdigen Kirche Saint-Francis-de-Paule in Toulon gegeben. Der gütige Monsieur Vikar hatte nicht nur die Aufnahme Guillols in die Marineschule unterstützt, sondern auch dafür gesorgt, dass er dort, als Stipendiat auf eigene Füße gestellt, seinen Verwandten nicht mehr zur Last fiel. Das war einerseits befreiend, andererseits unbequem. Erst mit fünfundzwanzig Jahren, als er sich die Epauletten eines Leutnants mit der entsprechenden Löhnung erdient hatte, konnte er sich erlauben, ab und zu seriöse Restaurants aufzusuchen, Umschau unter den Töchtern des Landes, zu halten. Da nun war ihm Annabelle über den Weg gelaufen. Sie war verwöhnt, selbstbewusst und trotzdem vom ersten Augenblick an verliebt in den schneidigen Marineoffizier. Drei Jahre waren sie verlobt gewesen. Guillol stand nun im Rang eines Oberleutnants, der Brautvater drängte auf Heirat. Es war eine harte Entscheidung. Guillol fühlte sich als Patriot und treuer Anhänger des dritten Napoleon. Für sein persönliches Fortkommen aber musste man leider selbst sorgen, denn das Vaterland ließ sich damit viel Zeit. Die Aussicht, im Greisenalter vielleicht einmal Admiralsschnüre zu tragen, empfand der ehrgeizige junge Offizier als die Taube auf dem Dach, Annabelle mit ihren Erbaussichten als den Spatz in der Hand. So quittierte er den Dienst, reichte das Aufgebot ein, und Saint-Nazaire bereitete sich auf eine glanzvolle Hochzeit vor. Ein Orkan brachte verheerendes Unglück über die malerische Stadt. Zu den auf See Umgekommenen gehörte auch der alte Majeure mitsamt den Besatzungen seiner sechs Fischkutter. Als sei das für ihn ein Signal gewesen, verschwand der Prokurist Majeures mit dem Barvermögen der alteingesessenen Fang- und Handelsfirma. Über Nacht wurde Annabelle zum armen Mädchen. Wohl gab es da noch Immobilienbesitz, doch der war hypothekenbelastet und warf wenig ab. Guillol besann sich rechtzeitig auf seinen Wahlspruch: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Er musterte auf der "Plymouth" an. Die sieben Meere waren das beste Versteck vor einem Mädchen, das energisch auf Heirat bestand.
Guillol hatte auf ein falsches Pferd gesetzt, und es galt, die Fäden neu zu knüpfen. Sein Ziel war eine Stellung im gehobenen Dienst des Marineministeriums. Die Seefahrt selbst war ihm verleidet, seine Untergebenen mussten es büßen, wobei Guillols Intelligenz ihn davor schützte, Formfehler zu begehen. Noch nie hatte er einen Mann auch nur angerührt, dennoch hassten die Schiffsleute seinen Zynismus, fürchteten seine Strenge.
Erwartungsvoll bog er in die langgestreckte Straße ein, an deren Ende das Haus des Konsuls lag. Reicher, armer Bartoche, spöttelte Guillol in Gedanken, solltest du schon schlafen, muss ich dich aus dem Bett holen.
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